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„Die deutsch-russische Struktur ist nicht überlebensfähig“- Interview mit Wolfgang Bläsi, Berater der Ekosem-Agrar AG

(PresseBox) (Brechen, )
Am 3. und 4. Juni 2024 stehen in Heidelberg die jeweils zweiten Gläubigerversammlungen für die geplanten Restrukturierungen der beiden Anleihen 2012/27 (ISIN: DE000A1R0RZ5und 2019/29 (ISIN: DE000A2YNR08) der Ekosem-Agrar AG an. Ziel der Gesellschaft ist dabei, die Zustimmung der Anleihegläubiger für einen Verkauf der Anleihen zu einem Preis von 300 Euro je Schuldverschreibung (30% des Nominalwertes) an einen russischen Investor zu erhalten. Wolfgang Bläsi, ehemaliger CFO der Ekosem-Agrar AG und jetziger Berater des Unternehmens mit Zuständigkeit für die Restrukturierung der Anleihen, erklärt im Anleihen Finder Interview die Hintergründe der aktuellen Situation.

Anleihen Finder: Sehr geehrter Herr Bläsi, warum sollten die Anleihegläubiger einem Verkauf der beiden Ekosem-Agrar Anleihen zu 30% zustimmen? Gibt es keine anderen Optionen?

Wolfgang Bläsi: Wir haben vor über zwei Jahren, direkt nach der militärischen Eskalation des Russland-Ukraine-Konflikts, eine Restrukturierung der Anleihen vorgenommen, die Laufzeiten verlängert, laufende Zinsen reduziert und die Stundungsoption für die Gesellschaft einräumen lassen. Damals wurde uns teilweise vorgeworfen, zu übereilt und weitreichend zu reagieren, weil die Erwartung war, dass der Konflikt nur eine kurzfristige Krise sei. Heute wissen wir, dass das nicht der Fall ist und ohne die damals getroffenen Maßnahmen hätten wir möglicherweise bereits Insolvenz anmelden müssen.

In den letzten Monaten sind sowohl in Deutschland als auch in Russland zunehmend weitere Hürden entstanden, die die Aufrechterhaltung der Deutsch-Russischen gesellschaftsrechtlichen Konstruktion extrem erschweren bzw. unmöglich machen. Dazu gehören steuerliche Änderungen in Deutschland ebenso wie drohende erhebliche wirtschaftliche Risiken in Russland.

Anleihen Finder: Die Anleihen laufen noch bis 2027 und 2029 – warum haben Sie sich gerade jetzt für die gewählte Restrukturierungsoption der Bonds entschieden? Hätten Sie mit dem Thema noch warten können?

„Ein wesentlicher Grund jetzt zu handeln, ist das sog. Steueroasenabwehrgesetz in Deutschland“

Wolfgang Bläsi: Ein wesentlicher Grund ist das sog. Steueroasenabwehrgesetz in Deutschland, das seit dem 1.1.2024 gilt. Es unterwirft sämtliche in Russland erzielten Gewinne der dortigen Agrarbetriebe der Besteuerung der Emittentin in Deutschland. Das lässt sich nur vermeiden, wenn die Ekosem-Agrar AG ihre Beteiligungen bis zum 31.12.2024 wirksam übertragen hat.

Auf russischer Seite droht zudem der Wegfall der für einen Agrarbetrieb sehr wichtigen staatlichen Subventionen, solange die Agrarbetriebe von Gesellschaftern aus dem sog. „unfreundlichen Ausland“ – aus russischer Sicht also auch einer deutschen Gesellschaft – gehalten werden. Außerdem sind bereits einige Unternehmen unter staatliche Verwaltung gestellt worden, was wirtschaftlich einer Enteignung gleichkommt. Solche Maßnahmen können wir für uns nicht ausschließen. Die Tatsache, dass die EU nun die Verzinsung eingefrorener russischer Vermögen zu Gunsten der Ukraine verwenden möchte, macht die Begehrlichkeiten auf russischer Seite sicherlich nicht kleiner und setzt u.U. die Hemmschwelle für die russische Regierung, solche Maßnahmen tatsächlich durchzuführen, herab.

Anleihen Finder: Auf welcher Basis errechnen sich der Kaufpreis i.H.v. 30 % des Nennbetrags bzw. 300 Euro je Schuldverschreibung? Wie kommt dieser Wert zustande und warum bewerten Sie diesen als fair?

Wolfgang Bläsi: Der Kaufpreis i.H.v. 30 % basiert nicht auf einer mathematischen Formel, sondern ist das Ergebnis von Verhandlungen, die wir mit dem Käufer über die letzten Monate geführt haben. Da die Anleihen unbesichert und die Anteile der Emittentin an den russischen Zwischenholdings an russische Banken verpfändet sind, stellen sich diese auf den Standpunkt, dass man die deutsche Mutter in ein Insolvenzverfahren schicken und die Anteile am operativen Geschäft damit kostenlos nach Russland übernehmen kann. Das ist ausdrücklich nicht die Meinung im Unternehmen, sondern von externer Seite. Außerdem werden Zahlungen aus Russland heraus sehr stark reglementiert, Verkäufe mit Beteiligung von Ausländern müssen zum Beispiel durch eine Regierungskommission geprüft und genehmigt werden. All diese Themen wurden in vielen Gesprächen verhandelt und auf dieser Basis sind die 30 % von der Käuferseite als gerade noch darstellbar akzeptiert worden.

„Der Kaufpreis i.H.v. 30 % basiert nicht auf einer mathematischen Formel, sondern ist das Ergebnis von Verhandlungen“

Was fair ist, richtet sich auch immer nach den verbleibenden Handlungsalternativen. Gemessen an den Börsenkursen der letzten Monate, an unseren konkreten Möglichkeiten Liquidität aus Russland herauszubekommen, den politischen Gegebenheiten und auch den Verlusten, die man in den letzten beiden Jahren mit Investments in russische Wertpapiere hinnehmen musste, hält das Unternehmen die vorgeschlagene Lösung tatsächlich für ein gutes Angebot – wenngleich ohne Zweifel für viele Anleger schmerzhaft.

Anleihen Finder: Was passiert, wenn die Gläubiger dem Vorschlag des Unternehmens an den beiden AGVs in Heidelberg nicht in ausreichendem Maße zustimmen? Was wäre dann das wahrscheinlichste Szenario?

Wolfgang Bläsi: Aus heutiger Sicht muss unabhängig hiervon eine Übertragung der russischen Zwischenholdings mit den operativen russischen Gesellschaften nach Russland erfolgen. Ansonsten wäre die Insolvenz der Emittentin wegen der nicht tragbaren zusätzlichen Steuerschulden nach dem StAbwG unvermeidlich. Es würde bei dieser Übertragung dann ein Kaufpreis vereinbart und alle Beteiligten müssten hoffen, dass dieser Kaufpreis (ganz oder teilweise) zu den jeweiligen Fälligkeiten der Anleihen fließen kann. Ob das der Fall ist, ist aus heutiger Sicht jedenfalls mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Im negativen Fall führt das dann im Jahr 2026 in die Insolvenz.

Anleihen Finder: … eine gewissenhafte Abstimmung ohne testierte Jahresabschlüsse ist dennoch schwierig. Zudem scheint die operative Entwicklung des Unternehmens in Russland ja gut zu sein. Können Sie da auch Zweifel der Anleihegläubiger am vorgeschlagenen Konzept verstehen?

“Bei dieser Restrukturierung handelt es sich nicht um eine wirtschaftliche, sondern um eine politische Problemstellung“

Wolfgang Bläsi: Der Abschluss für 2022 wurde kürzlich veröffentlicht – wie die beiden Vorjahre mit einem Versagungsvermerk versehen. Ein Grund dafür war, dass nach Einschätzung der Prüfer keine ausreichenden Nachweise über die Möglichkeit der zukünftigen Ausübung der Kontrolle über die russischen Tochtergesellschaften und die dort vorhandenen Zahlungsmittel sowie über zentrale Planungsannahmen erbracht wurden bzw. werden konnten. Das aber beschreibt genau unsere Situation, weshalb wir die Restrukturierung angestoßen haben.

Der Konzernabschluss 2023 befindet sich nun in der Prüfung – das Jahr war deutlich schlechter als das Ausnahmejahr 2022. Richtig ist jedoch, dass das operative Geschäft weiterhin funktioniert. Das ist aber nur bedingt relevant, weil es sich bei dieser Restrukturierung gerade nicht um eine wirtschaftliche Problemstellung handelt, sondern um eine politische – die deutsch-russische Struktur ist nicht überlebensfähig. Unabhängig hiervon kann ich grundsätzlich jeden Zweifel verstehen und bin selbst nicht frei davon – wir befinden uns in einer Situation massiver Unsicherheit, und auch das Management muss in dieser Situation permanent Entscheidungen treffen, deren Angemessenheit sich erst in der Zukunft zeigen wird.

Anleihen Finder: Welche Formalien müssen Anleihegläubiger bzgl. der Abstimmung beachten?

Wolfgang Bläsi: Anleihegläubiger, die selbst an den Anleihegläubigerversammlungen am 3. und 4. Juni 2024 in Heidelberg teilnehmen möchten, müssen spätestens bei Einlass einen „Besonderen Nachweis mit Sperrvermerk“ vorlegen. Hierzu bitten wir die Anleihegläubiger, sich rechtzeitig mit ihrer depotführenden Bank in Verbindung zu setzen. Ein entsprechendes Musterformular steht auch auf unserer Website auf den Seiten der Anleihe 2012/2027 bzw. der Anleihe 2019/2029 zur Verfügung. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, den von der Emittentin benannten Stimmrechtsvertretern eine Vollmacht mit Weisungen zu erteilen, d.h. die Stimmrechtsvertreter stimmen im Sinne der Anleihegläubiger für sie ab. Das entsprechende Formular „Vollmacht und Weisungen an die Stimmrechtsvertreter der Gesellschaft“ ist ebenfalls auf der Website abrufbar. Anleihegläubiger haben außerdem die Möglichkeit, der SdK Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. eine Vollmacht zu erteilen. Informationen dazu findet man auf der Website der SdK. Ebenso wie für die persönliche Teilnahme ist auch bei Erteilung einer Vollmacht der „Besondere Nachweis und Sperrvermerk“ notwendig – diesen sollten Gläubiger also in jedem Fall bei ihrer depotführenden Bank anfordern. 

INFO: Hier finden Sie die notwendigen Dokumente für die Teilnahme an den AGVs

Ekosem-Anleihe 2012/27: https://www.ekosem-agrar.de/investor-relations/anleihen/agv-2012-2027/

Ekosem-Anleihe 2019/29: https://www.ekosem-agrar.de/investor-relations/anleihen/agv-2019-2029/

Anleihen Finder: Wie sicher ist es überhaupt, dass sowohl der Anleiheverkauf als auch ein Einstieg der Investoren in Russland tatsächlich zu Stande kommen? Ist das alles vertraglich geregelt und abgesichert?

„Vertragliche Vereinbarungen gibt es keine“

Wolfgang Bläsi: Wie bereits erläutert, hat das Management in vielen Gesprächen in Russland das Vorgehen abgestimmt, so dass wir derzeit davon ausgehen, dass bei entsprechenden Beschlüssen der Gläubigerversammlungen auch eine entsprechende Umsetzung erfolgen kann; vertragliche Vereinbarungen gibt es allerdings keine. Fest steht allerdings, dass die Anleihegläubiger ihre Anleihen behalten und sich ihre Position nicht verschlechtert, wenn der Anleiheverkauf nach den von ihnen gefassten Beschlüssen nicht zustande kommen sollte.

Anleihen Finder: Inwiefern hat sich die Kommunikation und Zusammenarbeit sowohl mit den russischen Tochtergesellschaften als auch den dortigen Behörden seit Februar 2022 verändert bzw. erschwert? Seit wann gibt es ihrerseits den festen Beschluss, sich tatsächlich aus dem russischen Markt und den Beteiligungen zurückzuziehen?

Wolfgang Bläsi: Die gruppeninterne Zusammenarbeit hat sich praktisch nicht verändert. Auch die Zusammenarbeit mit Behörden in Russland, die ja von den russischen Mitarbeitern der Gruppe lokal erfolgt, ist unverändert. Veränderungen ergeben sich dadurch, dass die deutsche Emittentin verpflichtet ist, gesetzliche Regelungen in Deutschland bzw. der EU zu erfüllen und die russischen Gesellschaften wiederum die dortigen Vorschriften einhalten müssen. In der Praxis ist dies insbesondere bei den verschiedenen Sanktionsregimen spürbar, die für beide Seiten einen hohen Prüfungs- und Dokumentationsaufwand bedeuten.

Die Formulierung „Rückzug aus dem russischen Markt“ trifft insofern nicht ganz die Situation der Gruppe – diese wird wie bisher weiterhin operativ in Russland tätig sein, nur von der deutschen Muttergesellschaft abgekoppelt.

Anleihen Finder: Nehmen wir an, die Anleihegläubiger stimmen den Beschlussvorschlägen zu.Wie geht es dann für die Ekosem-Agrar AG weiter?Gibt es da schon Planungen?

„Gehen davon aus, dass die AG in ein geordnetes Liquidationsverfahren gehen wird“

Wolfgang Bläsi: Da der einzige Zweck der Ekosem-Agrar AG das Halten der Beteiligung an den russischen Gesellschaften ist, gehen wir im Moment davon aus, dass die AG nach der Restrukturierung der Anleihen und dem Verkauf der Anteile in ein geordnetes Liquidationsverfahren gehen wird.

Anleihen Finder: Besten Dank für die Antworten, Herr Bläsi.

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