Die Arbeitsgruppe Gesundheit der wahrscheinlichen neuen Regierungskoalition hat ein erstes Eckpunktepapier vorgelegt, das auch die künftige Rolle und Finanzierung der Apotheken adressiert. Während die formulierten Absichten auf den ersten Blick den Eindruck einer stärkeren politischen Wertschätzung der Apothekenbetriebe vermitteln, offenbart eine kritische Analyse erhebliche Unschärfen, Unverbindlichkeiten und finanzielle Unwägbarkeiten. Die Reaktionen aus der Branche schwanken daher zwischen vorsichtiger Zuversicht und tiefer Skepsis.
Konkret sieht das Papier vor, Apotheken stärker als wohnortnahe Anlaufstelle für Gesundheitsfragen zu positionieren und ihnen eine aktivere Rolle in der Prävention und Versorgungssteuerung zu ermöglichen. Zur finanziellen Absicherung dieser Aufgaben wird eine „angemessene Vergütung“ in Aussicht gestellt. Im Fokus stehen dabei insbesondere pharmazeutische Dienstleistungen, Notdienste sowie neue Versorgungskonzepte in unterversorgten Regionen. Ergänzt wird dies durch vage Andeutungen zu Innovationsförderung, digitaler Weiterentwicklung und Bürokratieabbau.
Was zunächst nach einem Schritt in die richtige Richtung klingt, erweist sich bei genauerer Betrachtung als ambivalentes Signal. Denn konkrete Angaben zu Umfang, Zeitpunkt und rechtlicher Ausgestaltung der angekündigten Maßnahmen fehlen vollständig. Auch bleibt offen, ob den angekündigten Fördermaßnahmen zusätzliche Mittel zugrunde liegen oder lediglich eine Umschichtung innerhalb des bestehenden Budgets erfolgen soll. Gerade vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage auf Bundesebene ist letzteres nicht auszuschließen – mit potenziell gravierenden Folgen für die ohnehin stagnierende Vergütungssituation im Arzneimittelbereich.
Eine Hochrechnung auf Basis der bisherigen Rahmenbedingungen legt nahe: Selbst bei wohlwollender Interpretation der Aussagen könnten die angedeuteten Reformschritte für eine durchschnittliche Apotheke bestenfalls ein Ergebnisplus von rund 5.000 bis 10.000 Euro jährlich bedeuten. Diese Größenordnung liegt unterhalb der derzeitigen Inflationsrate und reicht nicht aus, um die realen Mehrbelastungen durch Personalengpässe, gestiegene Betriebskosten, gesetzliche Auflagen und IT-Investitionen aufzufangen. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass mit symbolpolitischen Zusagen auf strukturelle Versäumnisse reagiert wird.
Zudem ignoriert das Papier zentrale Problemlagen der Branche. Die wachsende Zahl unbesetzter Filialleitungen, das zunehmende Apothekensterben in der Fläche und die Überforderung durch Dokumentationspflichten werden nicht einmal am Rande erwähnt. Auch der Umgang mit dem Retaxationswesen, das viele Apotheken faktisch in rechtlicher Unsicherheit arbeiten lässt, bleibt unerwähnt – ein Umstand, der von Apothekerverbänden bereits scharf kritisiert wurde. Die angekündigte Bürokratieentlastung bleibt somit eine Worthülse, solange sie nicht durch klare gesetzgeberische Schritte unterlegt ist.
Für Apotheken in ländlichen Regionen könnte sich die Lage paradoxerweise sogar verschlechtern: Zwar sind gezielte Förderungen für strukturschwache Gebiete vorgesehen, doch häufig fehlen dort die personellen und zeitlichen Ressourcen, um Fördermittel effektiv zu beantragen und die damit verbundenen Bedingungen zu erfüllen. Die Gefahr ist real, dass besonders gefährdete Betriebe durch zusätzliche Komplexität eher abgeschreckt als gestärkt werden.
Kommentar:
Das Eckpunktepapier der AG Gesundheit ist ein typisches Produkt politischer Zwischenverhandlungen: wohlklingend, vage und ohne echte Verbindlichkeit. Für Apotheken, die mit sinkenden Margen, Personalmangel und wachsender Bürokratielast kämpfen, bietet es derzeit mehr rhetorische Hoffnung als konkrete Perspektive. Es fehlt nicht an Anerkennung in Worten – wohl aber an Mut zu klaren, kurzfristig wirksamen Entscheidungen.
Dass die pharmazeutischen Dienstleistungen erneut als Hoffnungsträger ins Spiel gebracht werden, zeigt die Ideenarmut der Politik. Schon die Einführung dieser Leistungen war von Verzögerungen, unklarer Finanzierung und praxisferner Umsetzung geprägt. Ohne strukturelle Absicherung und ausreichende Honorierung bleibt auch dieser Bereich ein Tropfen auf den heißen Stein – und für viele Betriebe schlicht nicht umsetzbar.
Noch gravierender ist das Fehlen eines klaren Signals zur Anpassung des Fixhonorars. Seit Jahren stagniert dieses, während die Betriebsausgaben der Apotheken kontinuierlich steigen. Eine realistische Politik müsste hier ansetzen und zumindest eine automatische Inflationsanpassung einführen – ein Mechanismus, der in anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge längst Standard ist. Dass dies erneut nicht einmal erwähnt wird, ist ein fatales Zeichen für die Prioritätensetzung der Politik.
Ebenso problematisch ist die implizite Erwartung, Apotheken könnten quasi über Nacht zu Innovationszentren im Gesundheitssystem werden, ohne dass man ihnen die dafür notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellt. Digitalisierung, Telepharmazie, Prävention und Versorgungsmanagement sind anspruchsvolle Aufgabenfelder – doch solange deren Finanzierung nicht planbar ist, bleiben diese Rollen realitätsfern.
Insgesamt wirkt das Papier wie der Versuch, mit wohlformulierten Absichten über den eigentlichen Stillstand hinwegzutäuschen. Doch die Zeit für symbolpolitische Akrobatik ist vorbei. Was die Apotheken brauchen, ist eine solide wirtschaftliche Grundlage, keine Förderlotterie. Wenn die neue Regierung den Anspruch erhebt, die flächendeckende Arzneimittelversorgung zu sichern, muss sie die Apothekenbetriebe als das behandeln, was sie sind: systemrelevant, unter Druck – und bislang von der Politik weitgehend im Stich gelassen.
Von Engin Günder, Fachjournalist