Angesichts der wirtschaftlichen Belastungen, unter denen viele Apotheken in Deutschland zunehmend leiden, rückt das StaRUG – das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen – stärker in den Fokus betriebswirtschaftlicher Überlegungen. Die gesetzliche Grundlage ermöglicht es, bereits bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit Sanierungsmaßnahmen einzuleiten, ohne ein Insolvenzverfahren durchlaufen zu müssen. Doch obwohl das Instrument seit Anfang 2021 zur Verfügung steht, herrscht bei vielen Apothekeninhabern Unsicherheit darüber, wann und wie es konkret angewendet werden kann – und was dabei zwingend zu beachten ist.
Zentraler Ausgangspunkt ist die wirtschaftliche Früherkennung. Apothekenbetreiber sind verpflichtet, ihren Betrieb nicht nur pharmazeutisch, sondern auch betriebswirtschaftlich aktiv zu führen. Das bedeutet, dass eine regelmäßige Auswertung von Umsatzentwicklung, Kostenstruktur, Liquiditätsreserven und Verschuldungsgrad zwingend notwendig ist. Sinkende Roherträge, rückläufige Packungszahlen oder eine Umsatzrendite von unter fünf Prozent können erste Hinweise auf eine strukturelle Schieflage sein. Besonders kritisch ist die Entwicklung der Liquidität: Wenn Rezeptabrechnungen vorgezogen, Lieferantenrechnungen gestundet oder Kontokorrentlinien regelmäßig überzogen werden, besteht dringender Handlungsbedarf.
Im Rahmen des StaRUG ist die Feststellung einer sogenannten drohenden Zahlungsunfähigkeit die juristische Eintrittsvoraussetzung. Sie liegt laut Insolvenzrecht dann vor, wenn innerhalb eines Prognosezeitraums von bis zu 24 Monaten keine ausreichende Liquiditätsdeckung mehr erwartet werden kann. In der Praxis wird hierzu die sogenannte Liquiditätskennzahl herangezogen. Ein Wert unterhalb von 0,9 signalisiert eine sich zuspitzende Lage.
Doch nicht jede wirtschaftlich angeschlagene Apotheke ist automatisch berechtigt, das StaRUG-Verfahren zu nutzen. Betreiber müssen nachweisen, dass sie ihren steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen ordnungsgemäß nachkommen. Wer Rückstände bei Finanzämtern oder Krankenkassen hat, gilt als unzuverlässig im Sinne des Gesetzes und ist vom Verfahren ausgeschlossen. Auch strafrechtlich relevante Pflichtverletzungen – etwa im Bereich der Abrechnung – können dazu führen, dass die Sanierungsoption versperrt bleibt.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Erstellung eines tragfähigen Restrukturierungsplans. Dieser muss nicht nur die Ursachen der wirtschaftlichen Krise benennen, sondern auch konkrete, umsetzbare Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung enthalten. Dazu zählen etwa die Aufgabe defizitärer Geschäftsbereiche wie Heimversorgung oder Verblisterung, die Neuverhandlung von Leasing- und Mietverträgen oder die Umschuldung bestehender Verbindlichkeiten. Der Plan muss zudem eine realistische wirtschaftliche Prognose enthalten und von mindestens 75 Prozent der betroffenen Gläubiger akzeptiert werden.
Die Einbindung von Fachexperten ist nicht vorgeschrieben, wird jedoch dringend empfohlen. Steuerberater, Fachanwälte für Insolvenzrecht und betriebswirtschaftliche Berater mit Branchenerfahrung können helfen, die notwendigen Analysen korrekt durchzuführen und den Sanierungsplan rechtssicher zu formulieren. Auch eine gerichtliche Bestätigung des Plans ist möglich und bietet zusätzliche Rechtssicherheit – etwa gegenüber widersprechenden Gläubigern oder zur Abwehr von Einzelvollstreckungen.
Neben den formalen Anforderungen ist vor allem eines entscheidend: die Zeit. Das StaRUG setzt ein frühzeitiges Handeln voraus. Ist die Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten, greift das Instrument nicht mehr. Für Apothekeninhaber bedeutet das, dass sie sich nicht allein auf kurzfristige Überbrückungsmaßnahmen verlassen dürfen, sondern strukturelle Veränderungen in Betracht ziehen müssen – auch wenn diese tiefgreifend sind.
Kommentar:
Das StaRUG bietet Apothekeninhabern einen strukturierten und rechtssicheren Weg, wirtschaftliche Probleme zu bewältigen, bevor eine Insolvenz notwendig wird. Doch das Instrument entfaltet seine Wirkung nur dann, wenn es rechtzeitig eingesetzt wird – und wenn die Verantwortlichen bereit sind, unangenehme Entscheidungen zu treffen. In vielen Fällen bedeutet dies, sich von verlustreichen Geschäftsmodellen zu trennen, Kostenstrukturen radikal zu hinterfragen und neue Wege in der Betriebsführung zu beschreiten.
Was bislang fehlt, ist ein breiteres Bewusstsein in der Apothekerschaft für diese Möglichkeit der Krisenbewältigung. Noch immer überwiegt in vielen Betrieben das Prinzip des Durchhaltens – auch dann, wenn betriebswirtschaftlich längst gegengesteuert werden müsste. Dabei ist eine Restrukturierung nach dem StaRUG kein Zeichen von Schwäche, sondern von Verantwortungsbewusstsein. Es geht darum, den Betrieb zukunftsfähig zu machen, bevor externe Zwänge Entscheidungen diktieren.
Wirtschaftliche Probleme entstehen nicht über Nacht – und sie lassen sich auch nicht mit kurzfristigen Maßnahmen lösen. Die Anwendung des StaRUG setzt eine Kultur der betriebswirtschaftlichen Achtsamkeit voraus, die in vielen Apotheken erst entwickelt werden muss. Wer als Inhaber bereit ist, die eigenen Zahlen kritisch zu hinterfragen, externe Expertise einzubeziehen und offen mit Gläubigern zu verhandeln, hat gute Chancen, den Betrieb zu stabilisieren.
Das Zeitfenster dafür ist allerdings begrenzt. Wer zu lange zögert, riskiert den Verlust der Sanierungsfähigkeit – und mit ihr die unternehmerische Kontrolle über die eigene Apotheke. In einer Branche, die zunehmend unter strukturellem Reformstau leidet, kann die rechtzeitige Sanierung mit StaRUG das letzte wirksame Mittel sein, um auf Kurs zu bleiben.
Von Engin Günder, Fachjournalist