Apotheken stehen zunehmend im Fokus von Cyberkriminellen, die sich auf gezielte Angriffe über digitale Kommunikationswege spezialisiert haben. Besonders heimtückisch sind sogenannte Business E-Mail Compromise (BEC)-Angriffe. Dabei verschaffen sich die Täter Zugang zu geschäftlichen E-Mail-Konten von Apotheken oder deren Lieferanten, um in laufende Korrespondenzen einzugreifen und dort unauffällig Kontodaten auf betrügerische Bankverbindungen zu ändern. Zahlungen, die ursprünglich für vertraglich verbundene Partner bestimmt waren, fließen so direkt in die Hände der Angreifer – oft unbemerkt über Wochen hinweg.
Derartige Angriffe basieren auf einem hohen Maß an krimineller Professionalität und technischem Know-how. Die Täter analysieren interne Abläufe, imitieren Schreibstile und nutzen bekannte Zahlungsroutinen aus. In vielen Apotheken erfolgt die Begleichung von Rechnungen standardisiert und automatisiert, insbesondere bei langjährigen Geschäftspartnern. Die Sorgfaltspflicht bei der Prüfung von Kontodaten wird dadurch oftmals vernachlässigt – ein Einfallstor für gezielte Manipulation. Der Schaden wird häufig erst entdeckt, wenn Rückfragen aufkommen oder Zahlungsausfälle gemeldet werden.
Die finanziellen Folgen eines BEC-Angriffs sind erheblich. Neben dem unmittelbaren Vermögensschaden können auch betriebliche Störungen, juristische Auseinandersetzungen und langfristige Reputationsschäden entstehen. Gerade für inhabergeführte Apotheken, die ohnehin mit wirtschaftlichen Belastungen kämpfen, kann ein solcher Vorfall existenzbedrohend sein. Die Rückholung von Geldern gestaltet sich in der Regel äußerst schwierig, insbesondere wenn die Täter internationale Geldwäsche-Netzwerke nutzen und die Zahlungen sofort weiterleiten.
Auch die technische Seite spielt eine Rolle: Viele Apotheken verfügen nicht über eine adäquate IT-Infrastruktur, die den Anforderungen eines modernen Bedrohungsszenarios genügt. Veraltete Software, fehlende Zwei-Faktor-Authentifizierung und unzureichende Backup-Systeme sind nach wie vor Realität im Apothekenalltag. Schulungen des Personals zur Erkennung von Phishing- und Social-Engineering-Angriffen erfolgen selten oder nur punktuell. Damit steigt das Risiko, dass digitale Angriffe erfolgreich sind – nicht nur durch externe Täter, sondern auch durch unbeabsichtigtes Fehlverhalten von Mitarbeitenden.
Eine umfassende Risikovorsorge ist unter diesen Umständen unverzichtbar. Neben der technischen Absicherung wird zunehmend auf spezialisierte Versicherungsprodukte verwiesen. Cyber-Versicherungen sollen Apotheken gegen die Folgen von Ransomware, Datenverlust oder Systemausfällen schützen. Sie übernehmen unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten für IT-Forensik, Systemwiederherstellung und Betriebsunterbrechung. Ihre Wirksamkeit hängt jedoch entscheidend von den präventiven Maßnahmen ab, die die versicherte Apotheke im Vorfeld umgesetzt hat. Ohne nachgewiesene Sicherheitsstandards droht im Schadensfall eine Leistungsverweigerung.
Noch gezielter auf Fälle wie BEC-Angriffe ausgerichtet ist die Vertrauensschadenversicherung. Sie greift bei finanziellen Verlusten, die durch betrügerische Handlungen Dritter entstehen – etwa durch manipulierte Rechnungen oder fingierte Zahlungsanweisungen. Besonders Apotheken mit hohen regelmäßigen Zahlungsausgängen an Großhändler und Logistikpartner sind einem entsprechenden Risiko ausgesetzt. Doch auch hier ist die Versicherung nur so gut wie das Sicherheitsniveau im Betrieb. Versicherer fordern klare interne Kontrollmechanismen, insbesondere bei der Prüfung und Änderung von Bankverbindungen.
Neben technischen und versicherungstechnischen Maßnahmen kommt den organisatorischen Abläufen zentrale Bedeutung zu. Jede Änderung sensibler Daten, wie Kontoverbindungen oder Rechnungsmodalitäten, sollte über einen zweiten, unabhängigen Kommunikationsweg rückbestätigt werden – etwa telefonisch. Auch die konsequente Schulung des Personals und die klare Trennung von Funktionen bei Zahlungsfreigaben gelten als essenzielle Schutzmaßnahmen. Die Einführung eines Vier-Augen-Prinzips bei Überweisungen kann entscheidend dazu beitragen, Manipulationen frühzeitig zu erkennen.
Die Bedrohung durch digitale Angriffe ist nicht länger ein abstraktes Risiko, sondern ein konkretes Problem, das Apotheken in Deutschland zunehmend betrifft. Der Fall der Digitalisierung ist nicht mehr nur eine Frage der Effizienz, sondern eine Frage der Sicherheit. Wer nicht investiert – in Technik, Schulung und Struktur – riskiert mehr als nur Geld. Er riskiert die Zukunft seiner Apotheke.
Kommentar:
Zwischen Vertrauen und Täuschung: Die neue Realität für Apotheken im digitalen Zeitalter
Die Realität in deutschen Apotheken verändert sich grundlegend. Was früher mit Handschlag und Rechnungsdurchsicht erledigt wurde, läuft heute digital, effizient – und mitunter gefährlich naiv. Der Vormarsch digitaler Kriminalität trifft die Apothekenbranche unvorbereitet. Dabei geht es längst nicht mehr um klassische IT-Probleme, sondern um die gezielte Täuschung in den Kernprozessen des Geschäftsalltags. Der Business E-Mail Compromise ist kein technisches Versagen – er ist ein Vertrauensbruch mit System.
Dass Kriminelle gezielt auf Routinen und interne Abläufe setzen, verdeutlicht die eigentliche Schwachstelle: die menschliche Komponente. Vertrauen, das einst Grundlage stabiler Geschäftsbeziehungen war, wird nun zur Einfallstür für Betrug. Es ist ein Paradigmenwechsel, der vielen Apothekenbetreibern noch nicht in vollem Umfang bewusst ist. Die Angriffe erfolgen nicht brachial, sondern intelligent, subtil und perfekt getimt. Sie nutzen Kommunikationskanäle, greifen in gewohnte Prozesse ein und tarnen sich im Gewand der Verlässlichkeit.
Erstaunlich ist, wie wenig Bedeutung diesem Wandel bislang in vielen Betrieben beigemessen wird. Trotz wachsender Fälle fehlt es an grundlegender Sensibilisierung, an standardisierten Prüfprozessen und an der Einsicht, dass Digitalisierung nicht nur Effizienz-, sondern auch Risikomanagement bedeutet. Die Vorstellung, mit einer Cyberversicherung allein ausreichend gewappnet zu sein, greift zu kurz. Versicherungen sind Reaktionen – keine Prävention. Sie setzen ein Minimum an Eigenverantwortung und technischer Sorgfalt voraus.
Die Pflicht zur Absicherung beginnt nicht mit dem Versicherungsabschluss, sondern mit dem Aufbau einer Sicherheitskultur im Betrieb. Wer in Zeiten professioneller Cyberkriminalität weiterhin auf Gutgläubigkeit setzt, riskiert nicht nur finanziellen Schaden, sondern gefährdet auch das Vertrauen seiner Kunden und Partner – ein Kapital, das sich nicht versichern lässt.
Apotheken müssen erkennen, dass digitale Sicherheit kein Zusatzthema für Spezialisten ist, sondern zur unternehmerischen Pflichtaufgabe geworden ist. Das erfordert klare Strukturen, Schulung, Investitionen – und die Bereitschaft, sich selbst und die eigenen Prozesse regelmäßig zu hinterfragen. Nur wer diese Realität anerkennt, kann seine Apotheke vor der unsichtbaren Gefahr schützen, die längst Realität geworden ist.
Von Engin Günder, Fachjournalist