Die Häufung gefälschter Rezepte stellt Apothekenbetriebe bundesweit vor eine immer drängendere Herausforderung. Im Fokus stehen dabei insbesondere hochpreisige Arzneimittel wie GLP-1-Rezeptoragonisten und Wachstumshormone, die nicht nur medizinisch verschrieben, sondern auch im Lifestyle-Kontext begehrt sind. Organisierte Tätergruppen nutzen gezielt Schwächen im Abgabesystem aus – häufig mit täuschend echten Rezepten, oft außerhalb üblicher Patienten- und Arztstrukturen. Die Folge ist eine zunehmende Zahl an Abgaben, bei denen Krankenkassen später die Kostenerstattung verweigern. Grundlage dafür ist die Einschätzung, dass es sich um „erkennbar gefälschte“ Verordnungen handelte – eine Beurteilung, die vielfach retrospektiv erfolgt, ohne den betrieblichen Kontext zu berücksichtigen.
Für Apotheken bedeutet dies ein wirtschaftliches Risiko, das in der täglichen Praxis kaum kalkulierbar ist. Insbesondere kleinere Betriebe geraten durch einzelne Nullretaxationen in eine existenzbedrohende Lage. Die Höhe der Einzelschäden variiert je nach Präparat, kann jedoch schnell vierstellige Summen erreichen. Problematisch ist, dass Apotheken für den entstandenen Schaden allein aufkommen müssen, wenn ihnen unterstellt wird, dass sie eine Fälschung hätten erkennen müssen. Gleichzeitig sind viele Rezeptfälschungen so professionell, dass eine Entdeckung im Routinebetrieb kaum möglich ist – besonders unter Zeitdruck, in Notdiensten oder bei unklaren Rückfragewegen.
In dieser Gemengelage rückt der Schutz vor Vermögensschäden durch Retaxationen und Rezeptbetrug in den Mittelpunkt. Klassische Apothekenversicherungen – etwa Inhalts- oder Betriebshaftpflichtpolicen – greifen in derartigen Fällen in der Regel nicht. Zwar existieren Spezialversicherungen, die Schutz gegen bestimmte Arten von Rezeptfälschung oder finanzielle Verluste durch abgelehnte Abrechnungen bieten, doch deren Verbreitung ist gering. Hinzu kommt, dass die Versicherungsbedingungen oft intransparent oder an enge Voraussetzungen gebunden sind. So lehnen viele Anbieter die Regulierung ab, wenn im Nachhinein behauptet wird, dass die Fälschung erkennbar gewesen sei – was sich im Alltag kaum entkräften lässt.
Für Apothekenbetreiber entsteht daraus ein Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen. Zum einen sind organisatorische Maßnahmen erforderlich: Dazu gehört eine strukturierte Prüfung auffälliger Rezepte, die Sensibilisierung des Personals für typische Fälschungsmerkmale sowie ein klar geregeltes Vorgehen bei Verdachtsmomenten. Auch die Dokumentation von Entscheidungen am HV-Tisch wird wichtiger, um im Nachhinein nachweisen zu können, dass mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt wurde.
Zum anderen gewinnt die Auswahl eines geeigneten Versicherungsschutzes an Bedeutung. Eine leistungsstarke, branchenspezifisch konzipierte Police gegen Rezeptfälschung oder Nullretaxationen sollte auf die Besonderheiten des Apothekenbetriebs zugeschnitten sein. Dazu gehört eine realistische Einschätzung der betrieblichen Abläufe, ein praxisnahes Verständnis von Prüfpflichten und ein klarer Leistungskatalog für den Schadenfall. Nicht weniger entscheidend ist die regelmäßige Überprüfung bestehender Policen im Hinblick auf neue Risiken – auch vor dem Hintergrund veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen und zunehmender Angriffe auf das System der Arzneimittelversorgung.
Die Priorität solcher Maßnahmen kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Ohne ausreichende betriebliche Vorsorge und finanzielle Absicherung ist die zunehmende Rezeptfälschung nicht nur ein ärgerliches Einzelrisiko, sondern ein strukturelles Problem mit weitreichenden Folgen für die wirtschaftliche Stabilität der Versorgung.
Kommentar:
Die Rezeptfälschung ist längst kein Randphänomen mehr – sie ist ein strukturelles Risiko, das Apotheken immer häufiger in wirtschaftliche Notlagen bringt. Dass Betrüger gezielt hochpreisige Präparate ins Visier nehmen, ist aus kriminologischer Sicht konsequent. Aus Sicht der Apotheken jedoch ist es ein nicht beherrschbares Risiko, das ohne systemische Unterstützung kaum tragbar ist.
Besonders kritisch ist die Dynamik zwischen Krankenkassen, Apotheken und Versicherern. Während die Kassen bei erkennbaren Fälschungen konsequent retaxieren, bleibt der betroffene Betrieb meist allein zurück. Ob eine Fälschung „erkennbar“ war, wird im Nachhinein entschieden – unter Bedingungen, die mit dem tatsächlichen Arbeitsalltag wenig zu tun haben. Eine Rückfrage beim Arzt ist im Notdienst oft nicht möglich, die Prüfung jedes Rezeptes auf seine Echtheit ist unter Zeitdruck kaum leistbar. Doch genau das wird im Nachgang vorausgesetzt.
Gleichzeitig herrscht ein deutlicher Mangel an wirksamen Versicherungslösungen. Viele Policen sind unklar formuliert, setzen unrealistische Prüfpflichten voraus oder verweigern im Schadensfall die Leistung. Damit verkehrt sich der Gedanke des Versicherungsschutzes ins Gegenteil: Er suggeriert Sicherheit, wo keine verlässliche Grundlage besteht. Apotheken, die sich auf einen solchen Schutz verlassen, können im Ernstfall doppelt verlieren – durch den Schaden selbst und durch eine verweigerte Regulierung.
Was es braucht, ist ein Umdenken auf mehreren Ebenen. Apotheken müssen sich organisatorisch besser aufstellen – das ist richtig. Aber sie brauchen auch verlässliche Partner in der Absicherung, transparente Policen und politische Unterstützung. Die Rezeptfälschung ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – ihre Folgen dürfen nicht auf dem Rücken einzelner Betriebe ausgetragen werden.
Solange das Haftungsrisiko für gefälschte Verordnungen einseitig auf die Apotheken verlagert wird und gleichzeitig ein wirksamer Schutz fehlt, ist das System nicht stabil. Die Folge ist eine gefährliche Aushöhlung des Vertrauens in die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Arzneimittelversorgung. Wer das ernst nimmt, darf sich nicht länger mit Einzellösungen begnügen – sondern muss das Problem als das benennen, was es längst ist: eine systemische Schwachstelle im Gesundheitswesen.
Von Engin Günder, Fachjournalist