Der Verkauf einer Apotheke markiert nicht nur das Ende einer beruflichen Ära, sondern auch den Beginn einer intensiven Auseinandersetzung über den „wahren“ Wert des Betriebs. Oft sind sich Verkäufer und Käufer uneinig, was den fairen Kaufpreis angeht – eine Diskrepanz, die bei emotional aufgeladenen Entscheidungen häufig ist. Der Verkäufer sieht oft ein Lebenswerk, geprägt von harter Arbeit und persönlichem Engagement. Der Käufer hingegen bewertet den Betrieb als wirtschaftliche Investition, die sich nach finanziellen Kriterien rentieren muss. Um diese Kluft zu überwinden und ein gerechtes Ergebnis zu finden, kommt das Ertragswertverfahren ins Spiel. Es gilt als Standard für eine fundierte Apothekenbewertung und kann eine objektive Grundlage für den Verkaufsprozess schaffen. Doch nicht nur Zahlen und Bilanzen sind entscheidend: Weitere Faktoren, die über die reine Ertragskraft hinausgehen, beeinflussen maßgeblich den Wert einer Apotheke und sollten daher in einem umfassenden Bewertungsansatz nicht fehlen.
Ertragswertverfahren: Der Goldstandard zur Bestimmung des Unternehmenswerts
Das Ertragswertverfahren erweist sich als zuverlässige Methode, um die potenzielle Rentabilität eines Betriebs wie einer Apotheke auf ein realistisches Maß zu bringen. Der Grundgedanke ist, die nachhaltig erzielbaren Gewinne der nächsten Jahre zu ermitteln und auf den heutigen Zeitpunkt abzuzinsen – dies ergibt den sogenannten Kapitalwert. Der Ertragswert bildet somit den erwartbaren finanziellen Nutzen, den der Betrieb langfristig generiert, und spiegelt die wirtschaftliche Substanz wider, die für den Käufer relevant ist. Diese Berechnung ist ein Balanceakt: Einerseits gilt es, eine realistische Gewinnprognose zu entwickeln, andererseits müssen Unsicherheiten und Risiken der Zukunft in die Kalkulation einfließen. Diese werden im Ertragswertverfahren durch einen Kapitalisierungszinssatz abgebildet, der das Risiko des Betriebs berücksichtigt.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Eine Apotheke erwirtschaftet jährlich etwa 250.000 Euro Gewinn. Bei einer Wachstumsprognose von 3 % und einem Kapitalisierungszinssatz von 5 % wird der Ertragswert als Grundlage zur Preisfindung herangezogen. Der Kapitalisierungsfaktor, der das Risiko widerspiegelt, bestimmt hierbei die Diskontierung des erwarteten Gewinns in heutige Euro, was letztlich den fairen Wert des Betriebs definiert. Das Ertragswertverfahren erlaubt dabei eine feine Justierung anhand spezifischer Risikofaktoren der Apotheke, wie etwa Standort, regionales Umfeld oder die Wettbewerbssituation.
Eine Apotheke, die in einer Region mit wachsendem Bevölkerungsanteil älterer Menschen liegt, hat beispielsweise ein höheres Wachstumspotenzial, was sich in einem höheren Ertragswert widerspiegeln kann. Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht diesen Zusammenhang: Eine städtische Apotheke in der Nähe eines Krankenhauses könnte höhere Ertragschancen haben als eine Apotheke in einer strukturschwachen Region, in der die Kundenbasis schrumpft. Solche regionalen und branchenspezifischen Faktoren werden in der Bewertung mit einbezogen und beeinflussen den letztlich errechneten Wert.
Zusätzliche Einflussfaktoren: Jenseits der reinen Ertragskraft
Doch der Wert einer Apotheke basiert nicht allein auf ihrer wirtschaftlichen Leistung. Es gibt weitere Einflussfaktoren, die den Verkaufspreis erheblich beeinflussen können und oft nur schwer zu quantifizieren sind. Ein Beispiel ist das Personal: Ein erfahrenes und eingespieltes Team trägt maßgeblich zum Betriebserfolg bei und kann für einen Käufer ein wichtiger Faktor sein, da es einen reibungslosen Übergang und kontinuierliche Betriebsführung gewährleistet. Hinzu kommen das Kundenklientel und das Ansehen der Apotheke in der Region. Eine Apotheke mit einer etablierten Stammkundschaft, die in der Bevölkerung für Beratung und Verlässlichkeit geschätzt wird, besitzt immaterielle Werte, die auf den Kaufpreis wirken. Auch infrastrukturelle Aspekte wie das digitale Engagement – beispielsweise eine etablierte Online-Präsenz oder digitale Warenwirtschaft – können den Wert steigern, da sie die Wettbewerbsfähigkeit in einem zunehmend digitalisierten Markt sichern.
Um eine umfassende und ausgewogene Bewertung zu erstellen, ist es ratsam, über die Zahlen hinauszuschauen. Hier bietet eine modellhafte Beispielrechnung Einblick in die Einflüsse der Zusatzfaktoren: Angenommen, die Apotheke verfügt über ein breitgefächertes Angebot, von Beratung über digitale Bestellmöglichkeiten bis hin zur Lieferung von Medikamenten. Solche Angebote erweitern das Geschäftspotenzial und machen den Betrieb attraktiver für Käufer, die sich dadurch langfristig wettbewerbsfähig aufstellen möchten. Der finale Kaufpreis ergibt sich also nicht nur aus dem Ertragswert, sondern aus einem fein abgestimmten Zusammenspiel aller wesentlichen Faktoren.
Kommentar: Der faire Kaufpreis als Balanceakt
Die Suche nach einem fairen Kaufpreis ist in Verkaufsverhandlungen eine der größten Herausforderungen. Häufig sind sich die Parteien uneins, da subjektive Werte wie emotionales Engagement und der ideelle Wert des Lebenswerks die Sicht des Verkäufers prägen. Der Käufer hingegen verfolgt eine klare Renditeorientierung und möchte eine verlässliche Investitionsbasis. Die Diskrepanz zwischen diesen Positionen führt häufig zu intensiven und komplexen Verhandlungen. Ein gerechter Verkaufspreis setzt daher eine transparente und möglichst objektive Bewertung voraus – genau hier setzt das Ertragswertverfahren an. Es bietet einen auf Fakten basierenden Ansatz, der Klarheit schafft und sich für die realistische Einschätzung der wirtschaftlichen Leistung einer Apotheke eignet.
Doch auch die fundierteste Berechnung ist nicht immer in der Lage, den ideellen Wert abzubilden, den der Verkäufer seinem Betrieb zuschreibt. Das Lebenswerk eines Apothekers lässt sich kaum in einem Zahlenwert ausdrücken, ebenso wenig wie persönliche Beziehungen zu Stammkunden oder die emotionale Bindung an die eigenen Mitarbeiter. Diese „weichen“ Faktoren haben oft eine große Bedeutung und sind ein essenzieller Teil des Verhandlungsgesprächs. Gerade der Käufer sollte berücksichtigen, dass es für den Verkäufer meist nicht einfach ist, die Apotheke abzugeben. Ein emotionales Verständnis für diese Seite kann den Prozess erleichtern und das Fundament für eine offene Kommunikation schaffen.
Auch der Käufer hat jedoch legitime Erwartungen: Er trägt das wirtschaftliche Risiko und muss sicherstellen, dass die gekaufte Apotheke den prognostizierten Ertrag erbringt. Im besten Fall finden beide Parteien eine Einigung, die den betriebswirtschaftlichen Realitäten gerecht wird und gleichzeitig den immateriellen Wert des Betriebs anerkennt. Der Schlüssel zu einer gelungenen Verhandlung liegt letztlich in der Bereitschaft zur Kompromissfindung. Verkäufer und Käufer sollten das Ziel verfolgen, eine Lösung zu erarbeiten, die beiden Interessen entspricht. Nur so kann ein Verkauf erfolgreich und nachhaltig gestaltet werden.
Von Engin Günder, Fachjournalist