Beide Vertragsparteien rühmen die „ausgewogene Regelung“. Die Schweiz hat ihr Bankgeheimnis weitgehend verteidigt – und damit Schaden für den Finanzplatz abgewendet. Und die Berliner Regierungskoalition zeigt sich zufrieden, dass in der Schweiz angelegte deutsche Vermögen jetzt „angemessen besteuert werden“. „Steuerflüchtlinge können sich“, so Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, „nicht mehr hinter dem Schweizer Bankgeheimnis verstecken.“
Anonym und trotzdem straffrei
So ganz stimmt das allerdings nicht: Betroffene haben die Wahl, ihre Bank zu einer freiwilligen Meldung zu ermächtigen oder weiterhin anonym zu bleiben. Dann gilt jedoch: Sobald das Abkommen in Kraft tritt (vorgesehen ist der 1. Januar 2013), muss die Schweizer Bank (oder andere „Zahlstelle“) von den jährlichen Kapitalerträgen 26,375 Prozent als „abgeltende Quellensteuer“ erheben, die dem deutschen Fiskus zufließt. Das entspricht dem deutschen Abgeltungsteuersatz inklusive Solidaritätszuschlag. Dazu kommt die einmalige Nachversteuerung für die Vergangenheit mit „19 bis 34 Prozent auf das Kapital“. Die tatsächliche Belastung hängt laut Bundesfinanzministerium (BMF) von der Dauer der Kundenbeziehung sowie dem Anfangs- und Endbetrag des Kapitalbestands ab. Im Gegenzug können die Kontoinhaber, wenn sie später doch enttarnt werden, unter bestimmten Voraussetzungen mit Straffreiheit rechnen. Gerade daran aber stoßen sich Kritiker wie SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Denn mit der Einmalzahlung sind nicht nur die Steueransprüche aus den Kapitaleinkünften abgegolten, die mit dem in der Schweiz deponierten Vermögen erzielt wurden, sondern auch hinterzogene Steuern, die auf die Erlangung des Kapitalstocks entfallen, zum Beispiel Einkommen-, Gewerbe-, Umsatz- oder Erbschaftsteuer.
Verstoß gegen EU-Recht?
Steinmeier nannte das Abkommen deshalb „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“, zumal die Bundesregierung offiziell erklärt hat, „dass die deutschen Finanzbehörden sich nicht aktiv um den Erwerb von bei Banken in der Schweiz entwendeten Kundendaten“ – volkstümlich Steuer-CDs genannt – „bemühen werden“. Dagegen müssen Steuersünder, die Schwarzgeld in Luxemburg oder Österreich geparkt haben, weiter Angst haben, dass sie durch den Ankauf von Steuer-CDs auffliegen. „Das Abkommen würde zudem den Schweizer Finanzinstituten Wettbewerbsvorteile gegenüber diesen beiden Staaten verschaffen, die ebenfalls nicht zur Meldung von Kapitaleinkünften von Steuerbürgern aus anderen EU-Ländern verpflichtet sind“, sagt Florian Regenfelder, Rechtsanwalt und Steuerberater bei Ecovis. Österreich und Luxemburg müssen nämlich nach der EU-Zinsrichtlinie seit dem 1. Juli 2011 von den Kapitalerträgen der anonym bleibenden Konto- und Depotinhaber 35 Prozent Quellensteuer erheben und davon drei Viertel (also 26,25 Prozent) an Deutschland abführen. Für die Schweiz, die aufgrund eines Abkommens mit der EU ebenfalls dazu verpflichtet ist, gilt dies nur, bis das neue Abkommen mit Deutschland in Kraft tritt. Kritiker sehen in dieser Vorzugsbehandlung einen Verstoß gegen die EU-Zinsrichtlinie; der Finanzausschuss des Europaparlaments hat die EU-Kommission daher aufgefordert, das Abkommen zu prüfen.
Nachversteuerung mit Tücken
Unliebsame Überraschungen für so manchen Betroffenen sind dagegen im Detail verborgen: Der Nachversteuerungsbetrag ist keineswegs, wie die Verlautbarung des BMF vermuten lässt, umso höher, je länger das Schwarzgeld in der Schweiz geparkt und je höher der Kapitalzuwachs ist. Er bemisst sich vielmehr nach einer komplizierten Formel (siehe Abbildung), die zu völlig unerwarteten Ergebnissen führt. Zum Beispiel wird ein deutscher Steuersünder, der 160.000 Euro in die Schweiz geschafft, sie seit acht Jahren dort angelegt und inzwischen einen Kapitalzuwachs von 40.000 Euro erzielt hat, mit 38.000 Euro nachversteuert. Ein anderer, der am Stichtag 31. Dezember 2010 das gleiche Anfangskapital erst ein Jahr lang in der Schweiz liegen hatte und nur 10.000 Euro Zuwachs verzeichnet, muss dagegen fast 40.000 Euro entrichten – das Vierfache der Wertsteigerung.
Generell haben Vergleichsrechnungen von Ecovis ergeben: „Wer dem Finanzamt nur Kapitalerträge verschwiegen hat, kommt häufig mit einer freiwilligen Meldung oder Selbstanzeige billiger weg“, erklärt Monika Deckwerth, Steuerberaterin bei Ecovis. Dies gilt umso eher, je jünger die Steuersünden sind und je geringer der tatsächliche Kapitalzuwachs im Verhältnis zum Anfangskapital ausfällt. Wie man hört, ist die Formel absichtlich so konstruiert, dass die Nachversteuerung die jüngeren Hinterziehungsfälle stärker belastet. Hier unterstellt der Fiskus, dass das neu in die Schweiz gelangte Geld aus nicht versteuerten Einnahmen stammt. Dagegen ist bei längerer Bankbeziehung die Steuerhinterziehung beim Kapitalstock bereits verjährt, sodass dem Finanzamt nur die Kapitalerträge verheimlicht wurden. Für eine rechtzeitige Selbstanzeige spricht auch, dass nur sie Straffreiheit garantiert: „Wer auffliegt, bevor das Abkommen in Kraft tritt (frühestens am 1. Januar 2013), kommt nicht straffrei davon“, so Rechtsanwalt Regenfelder. „Wenn die Selbstanzeige dann auch noch günstiger ist als die Pauschalabgeltung, umso besser für die Betroffenen.“ Wegen der verschärften Voraussetzungen ist es jedoch in jedem Fall ratsam, den Steuerberater hinzuzuziehen.
Worüber wir reden sollten
• Wie kann ich feststellen, ob es besser ist, anonym zu bleiben oder eine freiwillige Meldung zu veranlassen?
• Bis wann ist nach dem Abkommen eine freiwillige Meldung meiner Konten und Depots möglich?
• Habe ich die Wahl, welche Konten und Depots in der Schweiz ich freiwillig melde und welche anonym bleiben?
• Müssen meine Erben anonym bleibende Kapitalbestände im Erb- oder Schenkungsfall offenlegen?