Ihr Wissen ist gefragt. In der bundesweiten Hochschullandschaft gibt es gerade einmal vier dieser speziellen Echtzeit-Simulatoren, mit denen sich die Herausforderungen von Stromproduktion, -transport und -speicherung durchspielen lassen. Ein spannungsgeladenes Forschungsfeld. Schon deshalb, weil jede Stunde Blackout Deutschland bis zu 600 Millionen Euro kosten würde.
Die Stromnetzbetreiber stehen zum Beispiel bei erneuerbaren Energien vor ernsthaften Problemen. Wenn Wind und Sonne „arbeiten“, stoßen die Stromnetze immer häufiger an ihre Kapazitätsgrenze – trotz millionenschwerer Investitionen in die vorhandenen Netze. Bei Flaute und Dunkelheit hingegen fehlt der notwendige Strom.
„Das Thema ist hochkomplex. Um die Energieversorgung der Zukunft zu sichern, müssen heute die richtigen Investitionen getätigt werden. Nur weiß keiner so ganz genau, wie die einzelnen Parameter aufeinander wirken und was das für die Leitsysteme und die Netze bedeutet. Das kann man auch nicht im echten Leben ausprobieren, sondern einzig simulieren.“, sagt Prof. Kutzner und führt einen Vergleich ins Feld: „Mit dem neuen Airbus fliegt ja auch niemand im Steigflug unter Volllast senkrecht in die Höhe, um die Grenzen des Machbaren auszuloten. Material und Mensch würden auf der Strecke bleiben. Hier hilft die Simulation.“
Was passiert bei einem Stromausfall? Das Szenario: Ein Blitz schlägt in eine Überlandleitung ein. Der dabei erzeugte Kurzschluss führt zu einem Lichtbogen. Das System meldet einen Fehler und der betroffene Abschnitt wird automatisch vom Netz getrennt. Das alles passiert in etwa hundert Millisekunden. Der nach wie vor fließende Strom verteilt sich auf andere Leitungen. Kommt es bedingt dadurch zu einer Überlastung, fällt auch die nächste Leitung aus. Es kommt zum Dominoeffekt, der zum Blackout führt.
„Die deutschen Systeme müssen einen Ausfall von 150 Millisekunden fehlerfrei standhalten können. Im Stromnetz ist das schon eine kleine Ewigkeit. Nach der Fehlerklärung läuft das System von alleine weiter, ohne dass der Verbraucher davon etwas merkt“, sagt Prof. Wenzel. Je länger ein Stromausfall dauert, desto mehr systemrelevante Komponenten bis hin zum Kraftwerk können in Mitleidenschaft gezogen werden – und eine Kettenreaktion auslösen.
„Hier setzen wir mit unseren Simulationsmodellen an, feinjustieren an allen möglichen Stellschrauben, um Szenarien wieder und wieder reproduzierbar durchzurechnen und die Schwachstellen zu analysieren. So können wir dabei helfen, die Netze für die Zukunft sicher zu machen“, sagt Prof. Kutzner, der im Fachgebiet Regelungstechnik und Mechatronik an der Fakultät I lehrt. Sein Kollege Prof. Wenzel lehrt auf dem Gebiet der elektrischen Energieversorgung und Smart Grids.
E-Mobilität ist ein integrativer Bestandteil der Energiewende und der ganzheitlichen Systembetrachtung – denn Elektroautos sind rollende Energiespeicher. Miteinander vernetzt in einem virtuellen Kraftwerk, können sie Lastschwankungen in großem Maße ausgleichen, Energie zwischenspeichern und auch wieder abgeben. Zumindest wenn sie bidirektional laden können. „Noch ist das keine Kenngröße, mit der wir rechnen. Die Elektromobilität spielt momentan in der Energieversorgung noch keine nennenswerte Rolle.“, sagt Prof. Wenzel.
Gut 30 Studenten arbeiten im betreffenden Masterstudiengang der Hochschule mit dem unscheinbaren Echtzeit-Simulator, der die Größe einer Gefrier-Kühl-Kombi hat. Sie spielen Fehler im Stromnetz und Schaltvorgänge durch, um am Bildschirm anhand von oszillierenden Kurven ablesen zu können, welche Auswirkungen diese auf eine sichere und zuverlässige Energieversorgung haben. Weiterhin untersuchen sie, was das für den Stromfluss bedeutet, wo Systeme verbessert werden und Komponenten nachgerüstet werden müssen.