"Wir haben in Deutschland in den letzten Jahren eine mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur entwickelt, die uns innovativ und wettbewerbsfähig macht", bilanzierte Andreas Horst, Referatsleiter im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Daraus ergeben sich auch gute Voraussetzungen für die Einführung neuer Arbeitszeitmodelle. Dies sei auch mit Blick auf den demografischen Wandel entscheidend - denn künftig müssten immer weniger Arbeitnehmer dieselbe Arbeit wie heute leisten.
Zur Einführung in die Thematik stellte Ulrike Hellert von der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Nürnberg gängige Arbeitszeitmodelle vor, mit denen Unternehmen ihren Betrieb organisieren. Sie reichen von starren Regelungen mit festen Anfangs- und Endzeiten, bis hin zu Lösungen mit größtmöglicher Flexibilität. Besonders positiv mache es sich bemerkbar, wenn Beschäftigte Gestaltungsspielräume erhielten. Denn diese fördern Zufriedenheit und Motivation - beides Faktoren, die sich unmittelbar auf die Produktivität auswirken. Die größte Gestaltungsfreiheit sei mit dem Modell der "Vertrauensarbeitszeit" verbunden, bei dem Beschäftigte eigenverantwortlich über Lage und Verteilung ihrer Arbeitszeit entscheiden. "Je größer der zeitliche Spielraum, desto wichtiger wird es, klare Ziele mit seinen Mitarbeitern zu vereinbaren", so die Professorin für Unternehmensorganisation.
Einblicke in die Praxis boten vier Impulsvorträge von Unternehmen, die bereits auf neue Arbeitszeitmodelle setzen. So hat die Lonkwitz Anlagenbau GmbH & Co. KG aus Wetzlar seit der Einführung von Arbeitszeitkonten mehr Planungssicherheit gewonnen und die Auftragsbearbeitung deutlich beschleunigen können. "Unser ältester Mitarbeiter ist 72 und arbeitet noch an drei Tagen in der Woche - weil er Spaß an seiner Arbeit hat und die Anerkennung genießt", berichtete Stefan Beckmann, Geschäftsführer des Betriebs mit 34 Mitarbeitern. Hans Peter Alich von der OBO Bettermann GmbH & Co. KG schilderte, wie sein Unternehmen durch die Umstellung vom Dreischichtbetrieb auf ein Vierschicht-Modell mit Sechs-Tage-Woche die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter senken konnte - bei gleichzeitigem Lohnanstieg. Das Unternehmen aus Menden hatte mit der zeitweiligen Umstellung des Schichtbetriebs die Auslastung der Anlagen erhöht und so einen Engpass in der Produktion überbrücken können.
Betriebsratschef Lutz E. Faßbender von der GIRA Giersiepen GmbH & Co. KG gab Einblicke in die Einführung von Teamarbeit in seinem Unternehmen. Der Hersteller innovativer Gebäudetechnik und moderner Lichtsysteme hat dazu unter anderem auch Vertrauensarbeitszeit eingeführt. Damit haben die Mitarbeiter jetzt die Chance, ihre Arbeitszeit so flexibel einzuteilen, dass sie auch eine Zeitlang um bis zu 120 Stunden im Minus stehen dürfen. "Unsere Mitarbeiter können ihre Life-Work-Balance selbst entscheidend mitgestalten", ist der Elektro-Meister überzeugt.
Wie man durch kreative Nutzung von Arbeitszeitmodellen Schwankungen in der Produktion ausgleichen kann, berichtete Stefan Brinck von der SMA Solar Technology AG aus Niestetal bei Kassel. Das Unternehmen produziert in Spitzenzeiten bis zu achtmal mehr Wechselrichter als bei geringer Nachfrage. Der Leiter der Abteilung "Personalservice" in einem schnell wachsenden Unternehmen erklärte, dass SMA auch die Zeiterfassung der Mitarbeiter über ein Web-basiertes Tool auf Vertrauensbasis durchführt: Es gelten die selbst eingetragenen Angaben des Mitarbeiters. 2.000 Neue hat das Unternehmen aus Niestetal 2010 bereits eingestellt - und damit seine Belegschaft nahezu verdoppelt.
Im Anschluss an die Impulsvorträge hatten die Teilnehmer der Veranstaltung Gelegenheit, Stärken und Schwächen der angewandten Arbeitszeitmodelle zu diskutieren und Fragen aus ihrem eigenen Arbeitsumfeld gemeinsam durchzusprechen.
Kleine und mittlere Unternehmen, die ihre eigenen Innovationspotenziale ausloten und eine Arbeitszeitberatung erhalten möchten, können sich für die Teilnahme am geförderten Modellprojekt "ArbeitsZeitGewinn" bewerben. Projektleiter Hans-Henning Kraeter von der RKW Hessen GmbH erklärte, dass im Beratungsverlauf zunächst eine Ist-Analyse im Unternehmen durchgeführt werde. Anschließend gebe es dann die Option, sich bei der Entwicklung und Einführung neuer Arbeitszeitmodelle begleiten zu lassen. "Bis Ende 2012 können wir 45 Unternehmen mit bis zu 249 Mitarbeitern und fünf größere Unternehmen in das Projekt aufnehmen", so Kraeter. Das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte und von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fachlich begleitete Projekt wird vom RKW Hessen in Kooperation mit der FOM Hochschule für Oekonomie & Management sowie dem RKW Kompetenzzentrum durchgeführt. Projektträger ist die Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung mbH. Weitere Informationen zu dem Pilotprojekt gibt es unter www.arbeits-zeit-gewinn.de.