Bei der Erfindung haben historische Experimente von Michael Faraday und Henry Cavendish Pate gestanden. Im Jahr 1832 versuchte der englische Naturforscher Michael Faraday in einem legendären Experiment, die Strömungsgeschwindigkeit der Themse elektrisch zu messen. Kurz zuvor hatte er das Induktionsgesetz entdeckt. Er vermutete nun, das Flusswasser müsse bei seiner Bewegung im Erdmagnetfeld eine elektrische Spannung zwischen linkem und rechtem Ufer erzeugen. Faradays Versuch schlug fehl. Doch dies lag einzig an der Unzulänglichkeit seiner Instrumente; die Idee selbst war richtig. Heute verrichten so genannte Faraday-Durchflussmesser, bestehend aus einem Rohr, einem Magnet und zwei Elektroden, weltweit zu hunderttausenden zuverlässig ihren Dienst in der Industrie, um Cola, Joghurt, Tomatenketchup, Chemikalien und sogar Abwässer zu vermessen.
Ilmenauer Forschern gelingt berührungslose Messung von Salzwasserströmungen
Trotz ihrer weiten Verbreitung haben Faraday-Durchflussmesser ein wesentliches Manko: Sie arbeiten nicht berührungslos. Um die Spannung zu messen, müssen zwei Elektroden in die Flüssigkeit eingetaucht werden, und diese Elektroden können korrodieren oder verschmutzen und so empfindliche Lebensmittel oder hochreine Chemikalien verunreinigen. Lebensmittel- und Arzneimittelhersteller wünschen sich deshalb schon lange elektrodenfreie magnetische Durchflussmesser.
Das ist jetzt einem Forscherteam der TU Ilmenau unter der Leitung von Professor André Thess gelungen. Wie die Fachzeitschrift Applied Physics Letters in ihrer aktuellen Online-Ausgabe berichtet [A. Wegfrass, C. Diethold, M. Werner, T. Fröhlich, F. Hilbrunner, C. Resagk, A. Thess, A. universal noncontact flowmeter for liquids, Appl. Phys. Lett. 100, 194103 (2012)], hat die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte interdisziplinäre Arbeitsgruppe weltweit erstmalig Salzwasserströmungen magnetisch vermessen, ohne dass ihr Messgerät die Flüssigkeit berührte. Selbst die Rohrwand blieb unangetastet.
Patentierte Technologie für flüssige Metalle bereits vor der Marktreife
Die Ilmenauer Arbeitsgruppe erforscht schon seit über zehn Jahren berührungslose magnetische Strömungsmessverfahren und setzt dabei auf sogenannte Lorentzkraft-Durchflussmesser. Wie auch beim Faraday-Durchflussmesser lassen die Ilmenauer ein Magnetfeld auf die Strömung einwirken, so dass die strömende Flüssigkeit die Magnetfeldlinien durchquert. Doch im Gegensatz zum Faraday-Durchflussmesser benötigen die Ilmenauer Messtechniker keine Elektroden. Sie nutzen vielmehr aus, dass strömende elektrisch leitfähige Flüssigkeiten wie etwa Apfelsaft oder flüssiger Stahl beim Vorbeifließen an einem starken Permanentmagnet die Magnetfeldlinien sanft verbiegen. Ähnlich den Barthaaren, an denen ein Kater selbst den leisesten Windstoß spürt, wirkt auf die Magnetfeldlinien und somit auch auf den Permanentmagnet eine winzige Kraft, die sogenannte Lorentzkraft. Je schneller die Flüssigkeit fließt und je besser sie den elektrischen Strom leitet, desto stärker ist die Lorentzkraft. Diese Kraft messen die Ilmenauer Forscher und berechnen daraus die Strömungsgeschwindigkeit.
Bei gut elektrisch leitfähigen Flüssigkeiten wie flüssiger Stahl und flüssiges Aluminium lassen sich Lorentzkraft-Durchflussmesser mit handelsüblichen Kraftmesssystemen bauen, so wie man sie beispielsweise bei Waagen in Obst- und Gemüseabteilungen von Supermärkten einsetzt. So ist es den Ilmenauer Wissenschaftlern schon 2005 erstmalig gelungen, Strömungen von Flüssigaluminium in einer Gießerei nachzuweisen. Seither haben sie ihre Lorentzkraft-Durchflussmesser unter harten Industriebedingungen getestet und verbessert. Die in fünf Ilmenauer Patenten geschützte Technologie steht im Bereich der metallurgischen Anwendungen nun kurz vor der Marktreife.
Herausforderung schwach leitende Flüssigkeiten
Doch während Lorentzkraft-Durchflussmesser für Flüssigmetalle recht zuverlässig und genau funktionieren, stellte ihre Anwendung auf schwach leitfähige Fluide wie Lebensmittel und Chemikalien bis vor kurzem einen weißen Fleck auf der Landkarte der Strömungsmesstechnik dar. Dies, weil die durch die Strömung erzeugten Lorentzkräfte auf den Permanentmagnet bei Lebensmitteln wesentlich kleiner sind als bei Flüssigmetallen. Strömt beispielsweise Cola waagerecht an einem Permanentmagnet vorbei, so wirkt auf ihn eine Seitenkraft, die mehrere Millionen mal keiner ist als seine Schwerkraft. Das Kräfteverhältnis ist etwa so, als wolle eine Maus einen vollbeladenen Lastkraftwagen zur Seite schieben.
Um solch kleine Kräfte zu messen, mussten die Ilmenauer Wissenschaftler ihre bisherigen Kraftmessverfahren über Bord werfen und nach neuen Messmethoden für kleine Kräfte Ausschau halten. Fündig wurden sie in der Gravitationsphysik, wo sie sich von einem historischen Experiment des britischen Naturwissenschaftlers Henry Cavendish aus dem Jahre 1798 inspirieren ließen. Cavendish nutzte in seinem Experiment ein empfindliches Pendel, um die Anziehung von Bleikugeln durch die Gravitationskraft zu messen und somit Newtons Theorie der Schwerkraft zu prüfen. Seither werden solche Gravitationspendel weltweit eingesetzt, um die Newtonsche Gravitationskonstante zu messen.
Machbarkeit im Experiment nachgewiesen
Die Ilmenauer Forscher haben die Pendelidee aufgegriffen. Allerdings nutzten sie das Pendel nicht, um kleine Gravitationskräfte zu messen, sondern um ihre ähnlich kleinen Lorentzkräfte nachzuweisen. In ihrem Experiment ließen sie Salzwasser durch ein Rohr mit 15 Quadratzentimetern Querschnittsfläche strömen. Zwar besitzt die Durchflussmessung von Salzwasser keine praktische Bedeutung, doch hat Salzwasser etwa die gleiche elektrische Leitfähigkeit wie Bier. Es ist deshalb gut als Testflüssigkeit für Lebensmittelanwendungen geeignet.
Im Experiment ließen die Forscher zwei Permanentmagnete auf die Strömung einwirken, die an vier Wolframfäden hingen und ein Pendel bildeten. Zuvor hatten sie durch Computersimulationen berechnet, dass sich das Pendel unter dem Einfluss der Salzwasserströmung um eine winzige Strecke verschieben sollte und dass diese Strecke durch Laser vermessen werden kann. Als sie das Experiment dann durchführten, fanden sie ihre Computersimulationen mit hervorragender Genauigkeit bestätigt. Sie konnten nicht nur ihre Vorhersagen über die Abhängigkeit des Messsignals von der Durchflussmenge nachweisen, sondern auch den Einfluss der elektrischen Leitfähigkeit bestimmen.
Nach dem erfolgreich erbrachten Machbarkeitsnachweis arbeiten die Ilmenauer Wissenschaftler nun daran, das Messprinzip industrietauglich zu machen.