Die deutschen Telekommunikationsverbände BREKO, BUGLAS und VATM bedauern die Entscheidung von EU-Kommissar Günther Oettinger, kein so genanntes „Phase-II-Verfahren“ – ein spezielles, eingehendes Prüfungsverfahren aufgrund ernsthafter Zweifel – bezüglich des neuen Vectoring-II-Beschlussentwurfs der Bundesnetzagentur einzuleiten. Die deutsche Regulierungsbehörde hatte am 20. Juni einen neuen Entscheidungsentwurf an die EU-Kommission übermittelt. Ihren vorherigen, im April veröffentlichten Entwurf, hatte sie offenbar aus taktischen Überlegungen noch kurz vor einer bevorstehenden, nach Informationen der Verbände sehr kritischen Stellungnahme des europäischen Regulierergremiums BEREC zurückgezogen.
Auch der neue Beschlussentwurf der Bundesnetzagentur räumt dem Bonner Ex-Monopolisten ein weitreichendes Quasi-Monopol zum (Vectoring-) Ausbau in den so genannten Nahbereichen innerhalb einer Entfernung von etwa 550 Metern bis zum Hauptverteiler (HVt) ein. Die Regulierungsbehörde hatte ihren geplanten Beschluss vor der erneuten Übermittlung nach Brüssel nur geringfügig („kosmetisch“) angepasst und für die Wettbewerber in bestimmten Punkten sogar noch verschlechtert. Hinzu kommt, dass die von den Wettbewerbern angebotenen, teils erheblichen und regional flächendeckenden Ausbauzusagen auch im neuen Entwurf überhaupt keine Berücksichtigung finden.
„Der gewählte Verfahrensweg hat die EU-Kommission in eine schwierige Lage gebracht und erheblich unter Druck gesetzt, so dass letztlich offenbar kein Spielraum mehr für einen Ausweg bestand“, kommentieren BREKO-Geschäftsführer Dr. Stephan Albers, BUGLAS-Geschäftsführer Wolfgang Heer und VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützner die Entscheidung aus Brüssel. „Dennoch setzen wir darauf, dass die durchaus kritischen Kommentare der EU-Kommission doch noch Berücksichtigung im finalen Beschluss der Bundesnetzagentur finden werden.“ Die Kommission fordert insbesondere, dass für Wettbewerber ein leistungsfähiges Vorleistungsprodukt (VULA) zur Verfügung steht, das mit dem direkten, physischen Zugang zur „letzten Meile“ vergleichbar sein muss. Einen entsprechenden Vorschlag soll die Bundesnetzagentur erarbeiten und der EU-Kommission vorlegen.
Auch die Ergebnisse der am vergangenen Freitag zu Ende gegangenen Marktabfrage zum modifizierten Beschlussentwurf, die nur aufgrund erheblicher Kritik von allen Seiten überhaupt durchgeführt wurde, müssen nach Ansicht der Verbände entsprechend berücksichtigt werden. Und die deutsche Politik hat nun die letzte Chance, noch einzugreifen und so die Zukunft für den Wirtschaftsstandort Deutschland positiv zu gestalten.
BREKO, BUGLAS und VATM bewerten den Ablauf des gesamten Verfahrens als nicht professionell. Das von der Bundesnetzagentur gegen jegliche Kritik – auch von Seiten der Wissenschaft sowie unabhängiger Institutionen wie Monopolkommission oder Bundeskartellamt – gezeigte Beharren auf den entscheidenden Teilen des vorgelegten Entwurfs zeige, dass die Behörde offensichtlich einen Teil ihrer Unabhängigkeit eingebüßt habe. Nach Ansicht der Verbände hat die Bundesnetzagentur die Chance auf einen wettbewerbsverträglichen Einsatz von Vectoring im Nahbereich bereits zu Beginn verpasst, indem sie sich auf das Exklusivausbau-Angebot des Ex-Monopolisten Deutsche Telekom eingelassen hat, mit dem sich der Konzern zu einem im Wesentlichen auf der kupferbasierten und auf Dauer nicht zukunftssicheren Vectoring-Technologie basierenden Ausbau verpflichten will, ohne hierbei aber eine konkrete Mindestbandbreite zu garantieren.
„Der für die kommende Gigabit-Gesellschaft so wichtige Ausbau mit hochmoderner Glasfaser bis direkt ins Gebäude oder die Wohnung (FTTB / FTTH) wird in den betroffenen Gebieten nun in vielen Fällen unmöglich, da dieser ‚echte‘ Glasfaserausbau ohne den Einbezug der in der Regel dichter besiedelten Nahbereiche meist nicht rentabel realisierbar ist“, warnen die Verbandsgeschäftsführer. „So wird das notwendige Ziel flächendeckender Gigabit-Netze durch eine Versorgung mit in puncto Bandbreiten äußerst limitierter Übergangstechnologie auf Kupferbasis in Verbindung mit einem kurzfristigen Planungshorizont bis zum Jahr 2018 konterkariert. Aus Vectoring in der vorgesehenen Form wird genau das Gegenteil einer Beschleunigung des Breitbandausbaus.“
Hintergrund: Je mehr Kabelverzweiger (KVz) die Deutsche Telekom in einem Nahbereich bereits erschlossen hat – dies dürfte (unter anderem durch Kabel-Konkurrenten) vor allem in „lukrativen“ Gebieten wie Städten und Ballungsräumen in höherem Maße der Fall sein –, desto schwieriger ist es für einen alternativen Netzbetreiber, den mit dem modifizierten BNetzA-Entwurf zusätzlich eingeführten Mindestabstand (33 Prozentpunkte mehr erschlossene KVz als die Deutsche Telekom) erfüllen zu können. Gerade in solchen Gebieten müsste ein Wettbewerber damit vielfach weit über 50 Prozent aller „grauen Kästen“ bereits erschlossen haben, um zum Zuge zu kommen. Hinzu kommt, dass der Regulierer sich bis heute weigert, bereits existierende FTTB/FTTH-Anschlüsse in die Berechnung miteinfließen zu lassen und einen technisch wie wirtschaftlich unsinnigen Überbau hochleistungsfähiger Glasfasernetze zu unterbinden. Die Wettbewerber werden auf diese Weise in die Peripherie verdrängt und in eine ökonomische Situation gebracht, in der sie auf ihr Ausbaurecht auch dort verzichten (müssen), wo sie die Voraussetzungen für ein Erschließungsrecht erfüllen würden.
Nach der Entscheidung der EU-Kommission steht für Dr. Stephan Albers (BREKO), Wolfgang Heer (BUGLAS) und Jürgen Grützner (VATM) mehr denn je fest: „Die Politik muss die Gigabit-Gesellschaft viel klarer in den Fokus nehmen und in diesem Sinne noch vor der Bundestagswahl weitsichtige Ziele festlegen. Ansonsten wird die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im internationalen Vergleich immer weiter an Boden verlieren!“