Ängste gibt es immer dort, wo Unwissenheit herrscht, wenn man nicht weiß, was genau auf einen zukommt, sich nicht eingebunden fühlt oder sich nicht einbringen kann. Es geht dabei am ehesten um ungeklärte Fragen: Was bedeutet Digitalisierung eigentlich? Was kommt auf uns zu? Für viele ist der Blick in die Zukunft noch viel zu nebulös. Plötzlich soll jeder IT-Kompetenzen haben, aber es herrscht große Unsicherheit darüber, ob diese Kompetenzen geleistet werden können. Hinzu kommen Medienberichte über drohende Arbeitslosigkeit, über Menschen, die nicht mehr gebraucht werden, über bessere, flexiblere Roboter. Wir bei Weidmüller informieren unsere Mitarbeiter über die neuen Chancen, die sich durch Digitalisierung ergeben und vermitteln dadurch einen positiven Weg. Das führt zu weniger Ablehnung und zu einer gesunden, kritischen Einstellung.
Die Digitalisierung schafft für Weidmüller neue Visionen. Andererseits empfinden manche Mitarbeiter zu viele Veränderungen auf einmal.
Wandel hat immer auch etwas mit Unsicherheit zu tun, da man nicht genau weiß, was genau auf einen zukommt. Altes kennt man, neues nicht. Das führt oft zu einer überkritischen Einstellung. Dabei muss klar sein, dass ein so umfassender Wandel nicht von heute auf morgen funktioniert, dass er nicht alle Mitarbeiter in gleichem Maße betrifft. Die Chance ergibt sich daraus, ihn gemeinsam zu gestalten, die Leute mitzunehmen, ihr Know-how einzubringen, um einen Mehrwert zu schaffen. Wir müssen stets den praktischen Nutzen hervorheben: Wie können Arbeitsplätze besser gestaltet oder Maschinenlaufzeiten verbessert werden. Letztendlich geht es darum, Nutzen aus der Digitalisierung für die Menschen und das Unternehmen zu ziehen.
Woran arbeiten Sie in diesem Bereich konkret?
Es gibt ein Projekt in Kooperation mit dem von der Bundesregierung gesponserten Spitzencluster „it’s OWL“, dem Fraunhofer Institut Paderborn und den Unis Paderborn und Bielefeld. Hier forschen Technologen, Arbeitswissenschaftler und Psychologen gemeinsam an Fragestellungen zu künftigen Arbeitsabläufen in Zeiten von Industrie 4.0. Bei Weidmüller arbeiten wir gemeinsam mit dem Betriebsrat bereits erfolgreich am Projekt „Arbeit 4.0“, in dem wir die HoloLens als Assistenzsystem nutzen. Fällt beispielsweise eine Maschine in einem Werk in Rumänien aus und die Kollegen vor Ort können sie nicht reparieren, kann über die HoloLens ein Experte in Detmold zugeschaltet werden. Der Kollege in Rumänien sieht durch seine Datenbrille dann exakt dasselbe und kann zur Reparatur angeleitet werden. Im Bereich Augmented Reality binden wir unsere Mitarbeiter also schon sehr konkret ein. Wir informieren sie über sämtliche Funktionen der Brille, schulen sie, um den Missbrauch der Brille zur Überwachung auszuschließen. Daraus können die Kollegen selbstständig Regeln zur Benutzung dieses Systems ableiten. Auch in der Ausbildung setzen wir die ersten Piloten mit dieser neuen Technik auf und schauen, wo wir die Technik gewinnbringend einsetzen können.
Ein weiteres großes Thema bei uns ist Predictive Maintenance. Hier kann man den Mitarbeitern ganz praktisch zeigen, wie die Daten einer Maschine weiter analysiert werden können, wie sie Aufschluss darüber geben, wann eine Maschine gewartet werden muss. Die Zielsetzung ist, dass die Maschine nur noch dann gewartet wird, wenn es notwendig ist. So können die nicht unerheblichen Wartungskosten optimiert und langfristig reduziert werden. Aber auch anhand anderer Lösungen der Digitalisierung lässt sich der Nutzen der Entwicklung erklären. Im Supply Chain Bereich können wir viel effizienter werden, noch kundenorientierter fertigen. Kleinere Stückzahl bei gleichen Kosten, höhere Maschinenlaufzeiten bei geringerem Energieverbrauch. So wollen wir mittels der Digitalisierung unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken.
Aber fallen dadurch nicht bisher „menschliche“ Aufgaben weg?
Natürlich wird es einige Aufgaben, die wir heute kennen, in Zukunft so nicht mehr geben. Das machen wir auch unseren Mitarbeitern klar. Diese Veränderungen geschehen aber nicht von heute auf morgen. Zudem kommen völlig neue Funktionen hinzu. Die Mitarbeiter machen sich natürlich Gedanken, wie ihre Zukunft aussieht, ob sie noch gebraucht werden und wie sich ihre Rolle ändert. Da müssen wir die Mitarbeiter mitnehmen, sie können ihr Wissen einbringen und mitgestalten.
Was übrigens auch oft nicht beachtet wird: Die Digitalisierung betrifft alle Bereiche im Unternehmen, nicht nur die Produktion. Es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Auch in Zukunft brauchen wir gute Facharbeiter, die den Gesamtzusammenhang verstehen und alle Abläufe orchestrieren. Im Gesamtunternehmen wird sich sogar noch mehr verändern als nur in der Produktion. Da Digitalisierung die Gesellschaft insgesamt betrifft, ist eine gesellschaftliche Diskussion notwendig, in der auch ethische Fragen diskutiert werden müssen.
Kann man klassifizieren, wer in der Branche weiter ist und wer nicht?
Bei der digitalen Transformation zur Industrie 4.0 spielen Automatisierer und Unternehmen der Elektro- und IT- Industrie eine entscheidende Rolle. Als Anwender ist hier zum Beispiel die Automobilindustrie zu nennen, topmoderne Produktionsanlagen und Datendurchgängigkeit spielen hier eine sehr große Rolle. Industrie 4.0 und Digitalisierung hängen nicht von der Größe des Unternehmens ab, jedoch stecken viele kleinere Unternehmen bei diesen Themen noch in den Kinderschuhen.
Durch die Digitalisierung werden bei Berufseinsteigern neue Kompetenzen nötig. Sind diese hier gut aufgestellt oder sehen Sie Nachholbedarf?
Es gibt kein Kompetenzbündel das man haben muss, um Industrie 4.0 verstanden zu haben. Ein großer Teil der Kompetenzen wird bereits im Bereich Automatisierung, Informations- und Kommunikationstechnik vermittelt, aber das muss weiter ausgebaut werden. Was zu kurz kommt, ist das Interdisziplinäre, sowohl im Studium als auch in der Ausbildung. Die Interdisziplinarität muss stärker wachsen und vor allem früher geschult werden, damit der Informatiker weiß, was der Maschinenbauer meint und andersrum. Die Hochschulen sind heute noch zu stark in einzelne Fakultäten unterteilt – Informatik, Maschinenbau, Elektrotechnik oder Physik. Die müssen mehr miteinander verwoben werden. Ich sehe keine völlig neuen Berufsbilder auf uns zukommen, mit den vorhandenen können wir auch in Zukunft gut arbeiten. Allerdings müssen wir über die Inhalte nachdenken. In den Unternehmen herrscht in den unterschiedlichen Berufsfeldern schon eine viel größere Interdisziplinarität, das muss sich auch in der Ausbildung niederschlagen.
Hierfür sind doch riesige Investitionen im Bildungssystem nötig.
Bevor man in die technische Infrastruktur an Schulen und Universitäten investiert, sollte man in die Qualifizierung des Lehrpersonals investieren. Auch die benötigen die IT-Kompetenzen, müssen ein didaktisches Konzept haben. Und wir müssen uns fragen: Was ist in Zukunft die Aufgabe eines Lehrers? Heute gibt es viele digitale Lernmedien, mit denen sich die Schüler Wissen selbstständig aneignen können – und zwar in der Geschwindigkeit und auf dem Niveau, wie sie es brauchen. In diesem Lernumfeld besteht die Aufgabe des Lehrers meiner Meinung nach darin, Sozialkompetenzen zu vermitteln, Schüler zusammenzubringen und spezielle Fragen zu erläutern. Lehrer müssen insgesamt das Lernen lehren. Eine umfassende Reformierung des Bildungssystems halte ich für notwendig.
Das Lernen hört mit dem Ende der Ausbildung ja nicht auf. Wie sieht Lernen im Betrieb aus?
Richtig, die Lernwelten ändern sich. Wir müssen über Werte, soziale Kompetenzen und Selbstmanagement sprechen. Durch die Digitalisierung entstehen immer autarkere, selbstständiger arbeitende Bereiche, in denen Maschinen und Menschen zusammen arbeiten. Das führt zu neuen Organisationsstrukturen. Nicht nur das Mensch-Maschine-Verhältnis ändert sich, sondern auch das Mensch-Mensch-Verhältnis. Wir kommen im Moment aus der Sicht der Kontrolle, jetzt gehen wir in dezentrale Strukturen über in Richtung autonomes Arbeiten und höhere Selbstverantwortung.
Also ist lineares Lernen tot, weil wir es mit offenen Systemen zu tun haben?
Aus meiner Sicht schon. Wenn ich zukünftig ein Problem habe, hole ich die entsprechende Information dazu – über ein Assistenzsystem, das Internet oder einen Experten, nicht indem ich einen mehrwöchigen Kurs belege. Lernen wird ein fester Bestandteil des Arbeitens. Die Basis bekomme ich in der Ausbildung oder im Studium. Anschließend fließen Lernen und Arbeiten aber mehr zusammen, Arbeiten wird selbstbestimmter durch den Mitarbeiter gestaltet.
Hat das die Weidmüller Akademie schon verändert?
E-Learning haben wir schon seit langem etabliert. Es kommt vor allem auf die Kombination verschiedener Medien an. Gut kommen zum Beispiel Kurzvideos an. Da kann ich viel mehr Informationen reinpacken, als in eine klassische Beschreibung auf Papier. Medien müssen einfach richtig genutzt werden, wie YouTube oder Austauschplattformen à la Wiki. Wir haben ein mobiles Filmstudio angeschafft, nutzen ein Learning-Management-System, entwickeln eigene Online-Tests. Jetzt wollen wir die Maschinen im Ausbildungsbereich andocken, um über Tablets Daten auslesen und auswerten zu können. Weidmüller geht einen eigenen Weg. Dabei arbeiten wir eng mit Instituten, Verbänden und Universitäten zusammen, um entsprechende Kompetenzen im Unternehmen aufzubauen.
Welche Rolle nehmen Führungskräfte in diesem Zusammenspiel ein?
Die Arbeitswelt ändert sich vom Geplanten, Zentralen, Organisierten hin zu Unsicherheit und Autonomie. Heute entwickelt man, ohne das genaue Ergebnis zu kennen. Das hört sich abgehoben an, aber es bedeutet nichts anderes, als Entwicklungen dezentral, autark, nicht vorbestimmt sind. Das erfordert andere Organisationsstrukturen und ein anderes Führungsverständnis. Führungskräfte haben zukünftig andere Aufgaben, übernehmen neue Rollen. Früher gab es die klassische Führungspyramide. Der Oberste hat vorgesagt und Anweisungen von oben nach unten durchgegeben. Heute wird die Führungskraft mehr zum Ideengeber, hält das Team zusammen, gibt Impulse und zeigt Visionen auf. Aber sie wird nicht mehr der Experte in allen Tiefen sein, das kann sie gar nicht leisten.
Wie sehen Sie die Zukunft des einfachen Arbeiters in der Industrie 4.0?
Wir können immer nur gewisse Zeitzyklen betrachten. Was in 20, 30 Jahren Standard ist, kann heute noch keiner sagen. Sicher ist, dass sich die Rolle und die Aufgaben des Menschen deutlich ändern werden. In vielen Bereichen wird die Bedeutung des Menschen abnehmen, in anderen zunehmen. Letztendlich müssen sich in der Industrie alle Investitionen rechnen – auch die in modernste Maschinen und Roboter. Gesellschaftlich betrachtet muss man fragen: Wofür sind Maschinen da? Die Antwort: Um den Menschen zu unterstützen. Seine Rolle wird also immer eine bedeutende und führende bleiben.