Digitale Arzttermine: Kritik an kommerziellen Portalen und Forderung nach fairer Versorgung
Die Nutzung kommerzieller Onlineportale zur Buchung von Arztterminen nimmt zu – und mit ihr auch die Sorge vor einer systematischen Benachteiligung gesetzlich versicherter und weniger digital affiner Patientengruppen. Nach Einschätzung des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) bieten die Plattformen zwar einen praktischen Zugang zur medizinischen Versorgung, vor allem außerhalb der telefonischen Erreichbarkeitszeiten von Praxen. Problematisch werde es jedoch, wenn Patienten de facto auf kommerzielle Anbieter angewiesen seien, um überhaupt eine Behandlung zu erhalten. Die Verbraucherzentralen fordern daher klare gesetzliche Vorgaben sowie ein flächendeckend funktionierendes, nicht-kommerzielles Terminvergabesystem.
Laut einer aktuellen Umfrage im Auftrag des vzbv hat etwa jeder dritte Internetnutzer in den vergangenen zwölf Monaten einen Arzttermin über eine Onlineplattform gebucht. Rund die Hälfte der Befragten gab an, dass ein telefonischer Kontakt zur Praxis entweder grundsätzlich nicht möglich oder faktisch nicht erreichbar gewesen sei. Die Erfahrungen zeigen: Wer sich nicht digital organisieren kann, hat zunehmend das Nachsehen.
Die gesetzliche Krankenversicherung und die Kassenärztliche Bundesvereinigung sehen dringenden Handlungsbedarf. Während die GKV die verpflichtende, tagesaktuelle Bereitstellung aller freien Termine auf einem unabhängigen Portal fordert, verweist die KBV auf die bestehende Infrastruktur rund um die bundesweite Rufnummer 116 117. Diese ermögliche bereits Terminbuchungen über verschiedene Kommunikationswege und sei frei von kommerziellen Interessen. Im vergangenen Jahr wurden über dieses System mehr als 2,7 Millionen Termine vermittelt. KBV-Chef Andreas Gassen betonte, ein Ausbau dieser Infrastruktur müsse gesamtgesellschaftlich finanziert werden. Arztpraxen allein könnten diese Leistung nicht dauerhaft schultern.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte unterdessen die zunehmende Unerreichbarkeit niedergelassener Praxen. Vor allem betagte, chronisch kranke oder pflegebedürftige Menschen seien durch die digitale Verlagerung der Terminvergabe benachteiligt. Die bestehenden gesetzlichen Instrumente reichten nicht aus, um diese strukturelle Ungleichheit zu beheben. Der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch, warnte vor einer Entwicklung, in der vulnerable Gruppen systematisch von der Versorgung abgekoppelt würden.
Kernpunkt der Kritik bleibt der ungleiche Zugang zu ärztlicher Versorgung – sowohl zwischen technikaffinen und weniger digitalen Bevölkerungsgruppen als auch zwischen gesetzlich und privat Versicherten. Vertreter der GKV betonen, es dürfe bei der Terminvergabe keine Rolle mehr spielen, welcher Versicherungsstatus vorliegt. Nur mit klaren gesetzlichen Vorgaben, einer neutralen technischen Infrastruktur und gesellschaftlich getragener Finanzierung lasse sich ein gerechtes und zugängliches Gesundheitssystem für alle sichern.
Die Debatte um kommerzielle Online-Terminportale berührt einen sensiblen Kern der Gesundheitsversorgung: den gleichberechtigten Zugang zu medizinischer Hilfe. Was auf den ersten Blick wie ein Fortschritt erscheint – flexible Buchungsmöglichkeiten, einfache digitale Wege – offenbart bei näherer Betrachtung gravierende strukturelle Ungleichheiten. Denn der Mehrwert für digital affine Nutzer wird für andere zum Hindernis. Wer keinen Internetzugang hat, mit digitalen Endgeräten überfordert ist oder schlicht auf das persönliche Gespräch angewiesen bleibt, riskiert, im Schatten der Digitalisierung zu verschwinden.
Die Verantwortung liegt dabei nicht allein bei den Anbietern der Portale, sondern vor allem bei der Politik. Seit Jahren wird über digitale Lösungen im Gesundheitswesen gesprochen, doch es fehlt an flächendeckenden, öffentlichen Alternativen, die soziale Teilhabe gewährleisten. Die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen sind ein Schritt in die richtige Richtung, doch ihr Ausbau wird verschleppt, ihre Finanzierung nicht ausreichend gesichert. Dass die Forderung nach einem gesellschaftlich getragenen System nötig ist, zeigt bereits, wie wenig bereit der Staat bislang war, diesen Zugang als öffentliche Aufgabe zu begreifen.
Gleichzeitig zeigt die Entwicklung exemplarisch, wie sehr sich wirtschaftliche Interessen mit gesundheitlicher Versorgung vermischen. Wenn kommerzielle Anbieter de facto notwendig werden, um medizinische Leistungen in Anspruch nehmen zu können, entsteht eine Zwei-Klassen-Infrastruktur, bei der Effizienz gegen Gerechtigkeit ausgespielt wird. Dass sich solche Portale gezielt an privat Versicherte richten oder Zusatzkosten für bestimmte Funktionen verlangen, zementiert bestehende Ungleichheiten.
Auch die Ärzteschaft kann sich ihrer Verantwortung nicht entziehen. Unerreichbarkeit, mangelhafte Telefoninfrastruktur und die zunehmende Auslagerung administrativer Aufgaben auf digitale Anbieter spiegeln nicht nur Ressourcenprobleme wider, sondern auch ein strukturelles Defizit an Patientenorientierung. In einem System, das auf Vertrauen und Zugänglichkeit angewiesen ist, gefährdet dies die Versorgungssicherheit.
Was jetzt gebraucht wird, ist eine verbindliche gesetzliche Regelung, die allen Patientinnen und Patienten unabhängig von technischen Fähigkeiten oder Versicherungsstatus denselben Zugang zur medizinischen Versorgung ermöglicht – ohne Hürden, ohne Umwege, ohne Kommerzialisierung. Terminvergabe ist kein Luxusservice, sondern ein integraler Bestandteil eines solidarisch finanzierten Gesundheitssystems. Wer diesen Zugang auslagert oder privatisiert, hebelt nicht nur Fairness aus, sondern rüttelt an den Grundfesten eines Systems, das eigentlich für alle da sein soll.
Datenschutzurteil zwingt Versandapotheken zum Rückzug von Amazon
Nach einem wegweisenden Urteil des Bundesgerichtshofs zum Online-Vertrieb rezeptfreier, aber apothekenpflichtiger Medikamente ziehen sich erste Versandapotheken vom Amazon-Marktplatz zurück. Die Entscheidung markiert einen Wendepunkt im digitalen Arzneimittelhandel und wirft grundlegende Fragen zur Rolle von Plattformen im Gesundheitswesen auf.
Im Zentrum der juristischen Auseinandersetzung steht der Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten. Der BGH stellte klar, dass eine Bestellung von OTC-Arzneimitteln über Amazon ohne ausdrückliche Einwilligung der Kunden gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstößt. Die Verantwortung dafür liege nicht beim Plattformbetreiber, sondern bei den anbietenden Apotheken. Ohne die Möglichkeit, eine konforme Einwilligung einzuholen, drohen ihnen rechtliche Konsequenzen.
Eine der größten Versandapotheken, Sanicare, hat darauf bereits reagiert und den Verkauf entsprechender Produkte über Amazon eingestellt. Weitere Apotheken könnten folgen, da Amazon bislang keine technische Lösung zur Einholung der erforderlichen Einwilligungen anbietet. Laut Sanicare ist damit zu rechnen, dass rezeptfreie Arzneimittel ab Ende April nicht mehr über die Plattform erhältlich sein werden.
Amazon selbst gibt sich zugeknöpft. Auf Anfrage teilt das Unternehmen mit, man kommentiere die Situation aufgrund laufender Verfahren nicht, befinde sich aber im Austausch mit den betroffenen Partnern. Der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) betont, dass die Plattformnutzer in der Verantwortung stehen. Ohne passende Infrastruktur riskieren Apotheken empfindliche Strafen von bis zu 250.000 Euro.
Für Amazon hat der Rückzug der Apotheken wirtschaftliche Konsequenzen. Der Konzern verliert nicht nur direkte Umsätze durch Provisionen, sondern auch Werbeeinnahmen. Der BVDVA warnt vor negativen Folgen für die Versorgungssicherheit und sieht ein Innovationshemmnis im digitalen Gesundheitsmarkt. Verbraucher könnten auf weniger regulierte Bezugsquellen ausweichen, wenn etablierte Anbieter verdrängt werden.
Das Urteil entfaltet damit Wirkung über den Einzelfall hinaus. Es zwingt Apotheken zu einem grundsätzlichen Umdenken beim Einsatz großer Verkaufsplattformen und zwingt zugleich Amazon, sich den Anforderungen des europäischen Datenschutzrechts im Gesundheitsbereich zu stellen. Die Entwicklung offenbart einen strukturellen Zielkonflikt zwischen Plattformökonomie und regulatorischem Schutzauftrag im Gesundheitswesen.
Der Rückzug von Versandapotheken vom Amazon-Marktplatz ist mehr als ein juristisches Nachspiel – er ist Ausdruck eines strukturellen Versagens im Zusammenspiel von Plattformen, Apotheken und Regulierungsbehörden. Das Urteil des Bundesgerichtshofs hat mit chirurgischer Präzision offengelegt, was längst offensichtlich war: Der digitale Vertrieb von Arzneimitteln in Deutschland operiert auf einer infrastrukturell wie regulatorisch unzureichenden Grundlage.
Amazon, das sich gern als neutraler Marktplatz geriert, trägt in dieser Konstellation eine indirekte, aber nicht minder bedeutsame Verantwortung. Denn die Plattform profitiert wirtschaftlich von Arzneimittelverkäufen, verweigert sich jedoch der Mitverantwortung für die Einhaltung zentraler Datenschutzprinzipien. Dass der Konzern bislang keine Möglichkeit zur Einholung einer rechtskonformen Einwilligung eingerichtet hat, ist angesichts seiner technischen und finanziellen Möglichkeiten ein bemerkenswerter Befund – und ein strategisches Kalkül.
Auf der anderen Seite stehen die Apotheken, die unter Druck geraten sind, digitale Vertriebswege zu erschließen, ohne dass ihnen die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen dafür verlässlich zur Verfügung stehen. Die derzeitige Rechtslage zwingt sie dazu, entweder fahrlässig mit Datenschutzstandards umzugehen oder auf einen relevanten Absatzkanal zu verzichten. Diese Zwickmühle ist kein Betriebsunfall, sondern das Ergebnis fehlgeleiteter politischer Steuerung und mangelnder digitaler Infrastrukturförderung.
Besonders besorgniserregend ist jedoch die gesellschaftspolitische Dimension: Wenn seriöse Anbieter aus dem Markt gedrängt werden, weil sie die DSGVO einhalten wollen, während Grauzonenakteure weiterhin agieren, verschiebt sich der Gesundheitsmarkt in gefährliche Bereiche. Patientensicherheit und Arzneimittelqualität geraten ins Hintertreffen, während Plattformlogik und Profitorientierung die Oberhand gewinnen.
Was bleibt, ist ein regulatorisches Vakuum, das dringend politisch geschlossen werden muss. Weder die Apotheken noch die Verbraucher dürfen länger unter einem System leiden, das klare Regeln verlangt, aber keine Umsetzungsmöglichkeiten schafft. Die Bundesregierung ist gefordert, Plattformen wie Amazon stärker in die Pflicht zu nehmen, ohne dabei die Innovationskraft im E-Commerce zu ersticken. Datenschutz darf kein Innovationshemmnis sein – aber Innovation ohne Datenschutz ist im Gesundheitsbereich keine Option.
Redcare setzt auf organisches Wachstum und verstärkt Marketingoffensive im Rx-Markt
Der niederländische Online-Apothekenkonzern Redcare verfolgt trotz wachsender Marktverwerfungen einen Kurs ohne Akquisitionen. Wie Unternehmenschef Olaf Heinrich gegenüber der Börsen-Zeitung betonte, sei die aktuelle Strategie auf organisches Wachstum ausgelegt. Übernahmen anderer Wettbewerber stünden demnach nicht auf der Agenda. Stattdessen setzt der Konzern auf hohe Investitionen in das eigene Markenprofil, um insbesondere im lukrativen Markt für verschreibungspflichtige Arzneimittel weiter zu wachsen.
Im Zentrum dieser Wachstumsstrategie steht eine intensive Werbekampagne, die mit prominenten Gesichtern wie Günther Jauch gezielt auf die Einlösung von E-Rezepten über die Shop-Apotheke-App abzielt. Die Kampagne wird unter anderem mit großformatigen Plakaten unmittelbar vor stationären Apotheken umgesetzt – ein Schritt, der von vielen Branchenvertretern als Provokation wahrgenommen wird. Redcare will sich so bewusst von Plattformmodellen abgrenzen und als vollwertige digitale Apotheke positionieren.
Um die dafür nötigen Investitionen abzusichern, hat das Unternehmen kürzlich eine Wandelanleihe über 300 Millionen Euro begeben. Die zusätzlichen Mittel sollen unter anderem in digitale Infrastrukturen und die Kundenbindung fließen. Der Fokus liegt klar auf Skalierbarkeit und Automatisierung, nicht auf Integration fremder Geschäftsmodelle. Die Bilanz des ersten Quartals scheint diesen Weg zu stützen: Mit einem Umsatz von 717 Millionen Euro übertraf Redcare die Erwartungen leicht. Besonders bemerkenswert ist dabei das starke Wachstum im deutschen E-Rezept-Markt, wo sich der Umsatz auf 108 Millionen Euro fast verdreifachte.
Die Entwicklung ist nicht zuletzt dem Durchbruch von CardLink zu verdanken – einer technischen Lösung, die die Einlösung von E-Rezepten per Smartphone deutlich vereinfachte. Zuvor war die Digitalisierung des Rezeptprozesses ins Stocken geraten, was sich auch negativ auf die Umsatzentwicklung ausgewirkt hatte. Erst mit der verbesserten technischen Anbindung im Mai 2024 gelang Redcare ein substanzieller Zuwachs in diesem Bereich.
Die Entscheidung, derzeit auf Übernahmen zu verzichten, dürfte auch als Reaktion auf die gescheiterten Konsolidierungserwartungen am Markt zu verstehen sein. So hatten Spekulationen über eine mögliche Übernahme von DocMorris im Dezember 2024 kurzzeitig die Aktienkurse beflügelt, ohne dass es zu einer Transaktion kam. Redcare demonstriert nun strategische Eigenständigkeit in einem von steigender Regulierung und Preisdruck geprägten Umfeld.
Die Entscheidung Redcares, in einem zunehmend verdichteten Online-Apothekenmarkt bewusst auf Übernahmen zu verzichten, markiert mehr als eine unternehmerische Weichenstellung – sie ist Ausdruck eines tiefgreifenden Strukturwandels in der digitalen Gesundheitsversorgung. Während Teile der Branche noch immer auf Skaleneffekte durch Konsolidierung hoffen, stellt Redcare klar: Größe allein sichert keine Zukunftsfähigkeit. Der Konzern verfolgt eine Strategie, die konsequent auf Selbstbehauptung durch Markenmacht, technologische Effizienz und regulatorische Anpassungsfähigkeit setzt.
Diese Haltung ist vor allem im Kontext des sich wandelnden E-Rezept-Markts relevant. Die anfängliche Ernüchterung nach dem Start der digitalen Verordnungspflicht wich erst dann realer Wachstumsdynamik, als technische Barrieren durch CardLink beseitigt wurden. Das verweist auf ein strukturelles Defizit: Die Digitalisierung der Arzneimittelversorgung wurde in Deutschland zu lange als administrativer Prozess und zu wenig als nutzerzentrierte Transformation verstanden. Hier übernehmen Konzerne wie Redcare Funktionen, die ursprünglich dem Gesetzgeber und der Selbstverwaltung oblagen – ein Signal für die Schwäche institutioneller Steuerung.
Gleichzeitig wirft Redcares aggressive Werbestrategie vor Apotheken Fragen nach der Fairness im Wettbewerb auf. Die bewusste Platzierung von Plakaten direkt vor stationären Apotheken zielt nicht nur auf Sichtbarkeit, sondern provoziert ein symbolisches Kräftemessen zwischen digitalem Fortschritt und analoger Versorgung. Das ist ein riskanter Drahtseilakt: Was als Ausdruck von Innovationswillen gemeint ist, kann leicht als Angriff auf lokale Gesundheitsstrukturen gelesen werden – insbesondere in ländlichen Regionen, wo die Apotheke oft letzte niedrigschwellige Anlaufstelle im Gesundheitswesen ist.
In der politischen Dimension lässt sich Redcares Strategie als Gradmesser für regulatorisches Versagen lesen. Die schleppende Umsetzung des E-Rezepts, die fehlende digitale Infrastruktur und die strukturelle Unsicherheit im Umgang mit telemedizinischen Geschäftsmodellen haben ein Vakuum geschaffen, das nun von marktorientierten Akteuren gefüllt wird. Hier offenbart sich ein grundlegendes Problem: Während Plattformen und Anbieter längst im 21. Jahrhundert agieren, bleiben politische Rahmenbedingungen oft fragmentiert und unkoordiniert.
Was Redcare in diesem Kontext bietet, ist keine Blaupause für die gesamte Branche, aber ein Lehrstück in unternehmerischer Anpassungsfähigkeit. Die Frage ist nicht, ob das Modell Schule macht, sondern ob die gesellschaftlichen und regulatorischen Institutionen in der Lage sind, mit dieser Dynamik Schritt zu halten. Andernfalls droht die Apotheke als Gesundheitsdienstleister weiter an Relevanz zu verlieren – nicht weil sie schlechter ist, sondern weil sie im System schlechter gestellt wird.
Digitale Rezeptkontrolle, lokale Abholung: Wie CardLink neue Wege im Apothekenalltag eröffnet
Ein digitales Rezept einsehen, prüfen und sich anschließend bewusst für die persönliche Abholung in der Apotheke vor Ort entscheiden – das CardLink-Verfahren eröffnet Patientinnen und Patienten genau diesen Handlungsspielraum. Die Schnittstelle zwischen Versandhandel und lokaler Versorgung sorgt für neue Impulse im Apothekenalltag. Ein Beispiel dafür ist die Olympia-Apotheke im badischen Durmersheim. Schon bevor stationäre Apotheken offiziell an das CardLink-System angebunden waren, profitierte Inhaberin Karin Schlenker vom neuen Einlöseweg: Ein Kunde nutzte die App der Shop Apotheke, um seine E-Rezepte zu sichten – entschied sich dann aber gegen den Versand und reichte die Verordnungen bei der Apotheke vor Ort ein.
Der Fall zeigt, dass digitale Prozesse nicht zwangsläufig zu einer Abwanderung in den Versandhandel führen müssen. Vielmehr können Transparenz und Kontrolle über digitale Anwendungen das Vertrauen in die örtliche Apotheke stärken – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen stimmen. Für Apotheken bietet das Verfahren die Chance, frühzeitig Informationen zu erhalten, besser zu disponieren und Wartezeiten zu reduzieren. Die flächendeckende Einführung von CardLink als zusätzlicher Einlöseweg soll diesem Potenzial Rechnung tragen. Der Umweg über Plattformen wie die Shop Apotheke wird dabei zur Brücke zurück in den persönlichen Kontakt – ein Szenario, das viele stationäre Apotheken bislang als Widerspruch verstanden haben. Der Fall aus Durmersheim deutet an, dass die Zukunft hybrider sein könnte, als bisher gedacht.
Der Einzelfall aus Durmersheim mag unscheinbar wirken, ist aber symptomatisch für einen grundlegenden Strukturwandel im Verhältnis zwischen Digitalisierung, Versandhandel und wohnortnaher Versorgung. Mit dem CardLink-Verfahren wird sichtbar, wie technologische Neuerungen klassische Fronten aufbrechen: Der Versandhändler liefert die App, die Kundschaft den digitalen Impuls – doch die Versorgung findet lokal statt. Die Frage ist nicht mehr, ob stationäre Apotheken im digitalen Ökosystem bestehen können, sondern wie sie es aktiv für sich nutzen.
Diese Entwicklung verlangt eine neue Haltung – sowohl von politischen Entscheidungsträgern als auch von den Institutionen der Apothekerschaft. Bisher war die Debatte geprägt von Abgrenzung und Verteidigung, nicht von Gestaltungswillen. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Vor-Ort-Apotheke ist nach wie vor hoch. Doch dieses Vertrauen muss mit digitaler Anschlussfähigkeit kombiniert werden. Wer es verpasst, digitale Kontaktpunkte zu besetzen, überlässt sie dauerhaft den Plattformbetreibern. Der entscheidende Hebel liegt daher nicht in der Ablehnung solcher Verfahren, sondern in der eigenen Innovationsbereitschaft.
Gleichzeitig offenbart der CardLink-Ansatz eine strukturelle Schwäche im aktuellen Gesundheitswesen: Die Integration technischer Lösungen hängt häufig von der Initiative Einzelner oder vom Geschäftsmodell Dritter ab. Eine staatlich koordinierte, patientenzentrierte Digitalstrategie fehlt nach wie vor. Während Ministerien an Reformgesetzen feilen, regeln Plattformen bereits die Praxis – mit unklarer Verantwortlichkeit, aber hohem Einfluss. Das erzeugt eine gefährliche Asymmetrie zwischen Infrastrukturmacht und Versorgungspflicht.
Wenn digitale Rezeptwege nicht zur Entsorgung des persönlichen Kontakts, sondern zu seiner Stärkung führen sollen, braucht es klare politische Rahmenbedingungen, digitale Souveränität und faire Wettbewerbsbedingungen. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens muss als Infrastrukturprojekt verstanden werden – nicht als Geschäftschance Einzelner. Nur dann kann ein Verfahren wie CardLink wirklich Brücke und nicht Einbahnstraße sein.
CardLink in Apotheken: Digitalisierung mit Gebührenfalle
Das CardLink-Verfahren für die Einlösung von E-Rezepten gewinnt im Apothekenalltag an Bedeutung. Immer mehr Patientinnen und Patienten nutzen die Möglichkeit, ihre elektronischen Verordnungen durch Einscannen des auf ihrer Gesundheitskarte gespeicherten Tokens direkt an ihre Vor-Ort-Apotheke zu übermitteln. Für Apotheker wie Peter Schmieder aus Brandenburg ist der digitale Kanal ein Fortschritt: „Es wird sukzessive mehr und ich nutze es gerne“, berichtet er. Gleichzeitig verweist Schmieder auf ein zentrales Problem: Jede über CardLink vermittelte Einlösung ist für die Apotheke mit Gebühren verbunden, die an die Gesellschaft für digitale Services der Apotheken (Gedisa) abzuführen sind.
CardLink wurde als Übergangslösung etabliert, um die digitale Reichweite von E-Rezepten ohne App-Zwang zu verbessern. Zwar bietet das Verfahren Vorteile für die Kundschaft, die ihre Gesundheitskarte lediglich fotografieren muss, doch Apotheken zahlen einen Preis für die technische Infrastruktur. Die Gebührenstruktur ist dabei intransparent und stößt zunehmend auf Kritik im Berufsstand. Während E-Rezepte grundsätzlich kostenlos über die Gematik-App eingelöst werden können, entstehen bei CardLink für die Apotheken laufende Kosten – obwohl sie selbst keine Einflussmöglichkeit auf das Einlöseverhalten ihrer Kundschaft haben.
Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) hat die Einführung von CardLink in der Vergangenheit unterstützt, betonte jedoch, es handle sich um eine Brückentechnologie. Ob und wann die Gebührenpflicht entfällt, ist bislang unklar. Der Wunsch vieler Apotheker, dass die finanzielle Belastung künftig entfällt oder zumindest reduziert wird, bleibt bislang unerfüllt. Das Verfahren zeigt exemplarisch, wie technische Lösungen zwar digitalen Fortschritt suggerieren, in der Umsetzung jedoch wirtschaftliche Risiken für die Beteiligten schaffen können – insbesondere in einer Branche, die ohnehin unter steigenden Betriebskosten und stagnierenden Honoraren leidet.
CardLink ist ein Paradebeispiel für digitalpolitische Halbherzigkeit im deutschen Gesundheitswesen. Die Idee, Patientinnen und Patienten durch niedrigschwellige Verfahren den Zugang zur E-Rezept-Nutzung zu erleichtern, ist im Grundsatz richtig – und sie kommt an. Doch was der Öffentlichkeit als innovativer Service verkauft wird, entpuppt sich für die Vor-Ort-Apotheken als kostspieliger Systemkompromiss, der auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Dass Apotheker für jede über CardLink vermittelte Einlösung Gebühren an die Gedisa zahlen müssen, zeigt ein strukturelles Missverhältnis: Die Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen wird nicht nur schleppend umgesetzt, sie verlagert die Kosten für ihre Defizite auf die Leistungserbringer.
Die Politik hat es versäumt, klare und faire Rahmenbedingungen für digitale Infrastrukturen zu schaffen. Anstatt die technischen Voraussetzungen aus öffentlichen Mitteln bereitzustellen oder zentrale Standards durchzusetzen, setzt man auf proprietäre Zwischenlösungen, deren Kosten letztlich die ohnehin unterfinanzierten Apotheken tragen. Dabei ist die Nutzung von CardLink nicht freiwillig im eigentlichen Sinne – wer digital sichtbar bleiben will, muss sich beteiligen, ob er will oder nicht.
Diese Form der Digitalisierung dient weniger der Effizienz als der Symbolpolitik. Die Verantwortlichen in Politik und Selbstverwaltung dürfen sich nicht hinter vermeintlicher Innovationsfreude verstecken, während die Umsetzung in den Apotheken mit realen wirtschaftlichen Nachteilen verbunden ist. Gerade in einer Zeit, in der viele Betriebe um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen, ist es fahrlässig, zusätzliche Gebührenstrukturen einzuführen, ohne deren Legitimation und Belastung transparent zu verhandeln.
Es braucht eine digitale Strategie, die Versorgungssicherheit, Fairness und wirtschaftliche Tragfähigkeit zusammendenkt – nicht ein Flickwerk von Übergangslösungen, das neue Ungleichgewichte schafft. Die Einführung von CardLink muss daher als Mahnung verstanden werden, technische Innovationen nicht als Selbstzweck zu betrachten, sondern sie so zu gestalten, dass sie für alle Beteiligten tragbar sind – insbesondere für jene, die die Gesundheitsversorgung vor Ort sichern.
Lars Klingbeil spricht erstmals über Krebserkrankung und mahnt politische Verantwortung an
SPD-Parteichef Lars Klingbeil hat in einem mehrstündigen Interview erstmals öffentlich über eine überstandene Krebserkrankung gesprochen. In der aktuellen Folge des Podcasts „Alles gesagt?“ der Wochenzeitung Die Zeit berichtet der 47-Jährige, dass bei ihm im Jahr 2014 Zungenkrebs diagnostiziert wurde. Die Erkrankung sei frühzeitig erkannt worden, eine erfolgreiche Behandlung habe einen Rückfall verhindert. Seitdem gilt Klingbeil als geheilt. Der SPD-Vorsitzende bezeichnete die damalige Diagnose als existenzielle Erfahrung, die seine Sicht auf das Leben grundlegend verändert habe.
Nach eigenen Angaben war Klingbeil zuvor starker Raucher. Er habe erst mit etwa 25 Jahren damit begonnen, in Spitzenzeiten aber bis zu 40 Zigaretten täglich konsumiert. Bereits seit elf Jahren sei er nun rauchfrei. Die Krebserkrankung habe bei ihm einen tiefgreifenden Wandel ausgelöst, sowohl im Umgang mit der eigenen Gesundheit als auch im persönlichen Auftreten. Das häufig an ihm beobachtete Maß an Gelassenheit führt er auf diese Zäsur zurück.
Neben den persönlichen Einblicken äußerte sich Klingbeil auch zu aktuellen politischen Themen. Mit Blick auf die laufenden Koalitionsverhandlungen mit der Union stellte er sein Verhältnis zum CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz als sachlich, aber nicht freundschaftlich dar. Beide wüssten um ihre gemeinsame Verantwortung, ein privates Näheverhältnis strebe keiner von beiden an. CSU-Chef Markus Söder attestierte Klingbeil hingegen Verhandlungsgeschick und Kompromissfähigkeit – eine Seltenheit im aktuellen politischen Klima.
Im Zusammenhang mit dem laufenden SPD-Mitgliedervotum über den Koalitionsvertrag ging Klingbeil auch auf innerparteiliche Kritik ein. Insbesondere aus den Reihen der Jusos wird die vereinbarte Migrationspolitik kritisiert. Der SPD-Vorsitzende machte deutlich, dass er eine Ablehnung des Koalitionsvertrags für falsch halte, ohne die innerparteilichen Einwände zu diskreditieren. Es sei wichtig, offen zu diskutieren, zugleich aber den Blick auf die Gesamtverantwortung nicht zu verlieren.
Auch außenpolitisch positionierte sich Klingbeil mit klaren Aussagen. Er betonte seine transatlantische Grundhaltung und warnte vor einer voreiligen Abkehr von den Vereinigten Staaten. Selbst bei einem möglichen Wahlsieg Donald Trumps müsse der Dialog erhalten bleiben. Die USA seien durch keine andere Macht zu ersetzen. Mit Blick auf China warnte Klingbeil vor einem strategischen Kurzschluss, wie ihn die deutsche Russlandpolitik vergangener Jahre geprägt habe. Eine wertebasierte Außenpolitik bleibe trotz ökonomischer Abhängigkeiten unabdingbar.
Das Interview gibt Einblick in die Persönlichkeit eines Spitzenpolitikers, der sich bewusst zwischen politischer Verantwortung und persönlicher Offenheit bewegt. Klingbeil präsentiert sich als reflektierter Akteur, der biografische Brüche nicht ausblendet, sondern in seine politische Haltung integriert.
Lars Klingbeils Offenheit über eine überstandene Krebserkrankung ist mehr als ein persönliches Bekenntnis – sie markiert einen seltenen Moment politischer Transparenz in einem System, das persönliche Schwäche häufig mit Machtverlust gleichsetzt. Der SPD-Vorsitzende nutzt die Plattform eines Langzeitinterviews, um ein Thema zu adressieren, das in der politischen Öffentlichkeit oft tabuisiert wird. Damit durchbricht er eine rhetorische Konvention, ohne den Eindruck strategischer Inszenierung zu erwecken. Seine Krankheitserfahrung wird nicht zum politischen Kapital gemacht, sondern dient als Hintergrund einer Haltung, die Gelassenheit und Verantwortungsbewusstsein verbindet.
Dass Klingbeil diese Erzählung mit seiner Rolle in den laufenden Koalitionsverhandlungen verknüpft, verweist auf eine tiefere Ebene politischer Kommunikation: Die Bereitschaft zur Selbstoffenbarung steht in direktem Kontrast zur gegenwärtigen Polarisierung vieler Debatten. Während auf vielen politischen Ebenen Vereinfachung, Emotionalisierung und Parteitaktik dominieren, setzt Klingbeil auf Differenzierung, auch im Umgang mit parteiinterner Kritik. Gerade seine Einordnung der Juso-Vorwürfe zur Migrationspolitik als legitim, aber nicht zielführend in der Konsequenz einer Vertragsablehnung, zeugt von politischem Feingefühl in einer aufgeheizten Lage.
Auffällig ist zudem seine Haltung zur außenpolitischen Orientierung Deutschlands. In Zeiten wachsender globaler Spannungen positioniert sich Klingbeil bewusst als transatlantischer Pragmatiker. Seine Warnung vor einer strategischen Gleichsetzung von China und den USA ist ebenso deutlich wie seine Selbstkritik an der deutschen Russlandpolitik der vergangenen Jahrzehnte. Damit benennt er ein strukturelles Defizit deutscher Außenpolitik: den Hang, wirtschaftliche Interessen über langfristige Wertebindungen zu stellen. Indem Klingbeil diesen Widerspruch offenlegt, fordert er eine strategische Neuausrichtung, die auf Resilienz statt auf kurzfristige Opportunitäten setzt.
Auch seine Bewertung der Beziehungen zu Friedrich Merz und Markus Söder zeugt von einem nüchternen, aber sachorientierten Politikstil. Keine gespielte Harmonie, keine übertriebenen Gegensätze – sondern ein Bekenntnis zur politischen Professionalität. In Zeiten zunehmender Personalisierung ist das bemerkenswert.
Der Fall Klingbeil zeigt, wie politisches Handeln an biografischer Tiefe gewinnen kann, wenn persönliche Erfahrungen nicht verdrängt, sondern produktiv reflektiert werden. Es ist ein leiser, aber klarer Gegenentwurf zum Modus des permanenten Machterhalts durch Imagepflege. Wer Politik als Raum für Verantwortung begreift, kann sich Schwäche eingestehen – und daraus Stärke gewinnen. Insofern liegt in diesem Interview auch ein Impuls für die politische Kultur insgesamt: mehr Ehrlichkeit, mehr Differenzierung, mehr Mut zur Ambivalenz.
Apotheken in Hamburg: Koalitionsvertrag blendet Versorgungsnotstand aus
Trotz der weiter sinkenden Apothekenzahl in Hamburg haben SPD und Grüne im neuen Koalitionsvertrag keine konkreten Maßnahmen für die Arzneimittelversorgung vor Ort verankert. Dabei hatten beide Regierungsparteien im Februar noch einen gemeinsamen Antrag in die Hamburgische Bürgerschaft eingebracht, in dem sie auf die Dringlichkeit der Lage verwiesen. Angesichts der bundesweit rückläufigen Apothekenlandschaft sollte geprüft werden, wie auch auf Landesebene finanzielle Unterstützung für inhabergeführte Apotheken geleistet werden kann – etwa durch Förderprogramme oder Modellprojekte. Der Antrag betonte die systemrelevante Rolle wohnortnaher Arzneimittelversorgung und sah vor, den Bund zur Mitfinanzierung aufzufordern.
Im jetzt veröffentlichten Koalitionsvertrag fehlt jegliche Erwähnung der Apotheken. Weder wird der dramatische Rückgang – allein in Hamburg sind laut ABDA innerhalb von zehn Jahren rund 15 Prozent der Apotheken verschwunden – thematisiert, noch finden sich Aussagen zu landespolitischen Strategien für deren Erhalt. Die Landesregierung verweist auf Nachfrage auf die Zuständigkeit des Bundes, ohne jedoch den eigenen Handlungsspielraum zu konkretisieren. Fachkreise kritisieren diese Leerstelle als Signal politischer Gleichgültigkeit gegenüber einer Berufsgruppe, die unter strukturellem Reformstau, massiven Lieferengpässen und Personalmangel leidet.
Vertreter der Hamburger Apothekerschaft zeigen sich enttäuscht. Man habe von der neuen Koalition Impulse erwartet, wie sie etwa in Bayern oder Nordrhein-Westfalen mit regionalen Innovationsfonds oder Entbürokratisierungsinitiativen erprobt werden. Stattdessen bleibt Hamburg auf die Umsetzung bundespolitischer Reformen angewiesen, die aktuell allerdings durch das Apothekenreformgesetz ins Stocken geraten sind. Während Gesundheitsminister Lauterbach auf bundesweit standardisierte Versorgungskonzepte setzt, klafft in der Praxis vielerorts eine gefährliche Versorgungslücke – insbesondere in sozial benachteiligten Stadtteilen.
Der Ausschluss der Apotheken aus dem Hamburger Koalitionsvertrag ist ein politisches Versäumnis mit weitreichenden Folgen – nicht nur für die Betroffenen im Berufsstand, sondern auch für die Bevölkerung, die auf verlässliche Arzneimittelversorgung angewiesen ist. In einer Zeit, in der Gesundheitsversorgung flächendeckend unter Druck steht, demonstriert Hamburgs Landesregierung damit nicht nur strategisches Desinteresse, sondern entzieht sich auch der Verantwortung für ein funktionierendes Versorgungssystem auf kommunaler Ebene.
Zwar mag der Bund formell für die Honorierung und Regulierung der Apotheken zuständig sein, doch Länder verfügen durchaus über Möglichkeiten, gezielt zu entlasten – sei es über Innovationsförderung, Mietzuschüsse oder strukturelle Anreize für die Eröffnung von Apotheken in unterversorgten Gebieten. Dass SPD und Grüne zunächst selbst einen Antrag auf den Weg brachten und die Bedeutung wohnortnaher Versorgung betonten, dann aber in ihrem zentralen Regierungsdokument kein Wort darüber verlieren, legt eine bedenkliche Diskrepanz zwischen Problemerkenntnis und politischem Handeln offen.
Diese Leerstelle ist kein bloßes Redaktionsversäumnis, sondern Ausdruck eines strukturellen Missverständnisses: Gesundheitspolitik wird allzu oft als rein technische Zuständigkeit des Bundes gesehen – dabei beginnt Gesundheitsversorgung vor Ort, im Quartier, an der Tür der Apotheke. Wer diesen Aspekt ignoriert, riskiert nicht nur Versorgungslücken, sondern auch den Vertrauensverlust in die Politik. Wenn Apotheken in prekären Stadtteilen schließen und die Wege zur nächsten Versorgungseinrichtung immer länger werden, trifft das vor allem vulnerable Gruppen: ältere Menschen, chronisch Erkrankte, Familien ohne Auto.
Die strukturelle Verantwortung liegt auch bei den Ländern. Ein Koalitionsvertrag, der dies nicht abbildet, ignoriert eine der zentralen Herausforderungen im Gesundheitswesen. Es bleibt der Eindruck zurück, dass Apotheken als unverzichtbare Glieder der Gesundheitsinfrastruktur zwar rhetorisch gewürdigt, aber praktisch im Stich gelassen werden. Hamburg hätte die Chance gehabt, ein politisches Signal für den Erhalt und die Stärkung der öffentlichen Arzneimittelversorgung zu setzen. Stattdessen steht nun ein weiteres Dokument für politische Sprachlosigkeit angesichts eines systemischen Notstands.
Digitale Signatur für pharmazeutische Dienstleistungen vorerst gestoppt
Ab dem 1. Mai 2025 wird die digitale Signaturfunktion im Softwaremodul IXOS.PDL von Pharmatechnik für pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) deaktiviert. Grund für diesen Schritt ist eine aktualisierte Rechtsauslegung des Rahmenvertrags, nach der eine handschriftliche Unterschrift auf einem Papierdokument für die Abrechnung pharmazeutischer Dienstleistungen derzeit weiterhin als zwingend erforderlich gilt.
Das Unternehmen teilt mit, dass die Entscheidung auf Basis juristischer Rückmeldungen getroffen wurde und zunächst als vorläufige Maßnahme verstanden werden müsse. Auch wenn die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter voranschreite, lasse die bestehende vertragliche und gesetzliche Grundlage derzeit keine vollständig digitale Umsetzung der Unterschrift für pDL zu.
Für Apotheken bedeutet das eine Rückkehr zur analogen Dokumentation: Patienten müssen ihre Zustimmung zu erbrachten pharmazeutischen Dienstleistungen handschriftlich auf Papier leisten, bevor diese zur Abrechnung eingereicht werden können. Der elektronische Workflow in IXOS.PDL bleibt zwar bestehen, doch die digitale Signatur wird bis auf Weiteres deaktiviert, um rechtliche Risiken bei der Erstattung durch die Krankenkassen zu vermeiden.
Die betroffenen Apotheken werden damit konfrontiert, ihre Prozesse erneut anzupassen, was insbesondere in bereits digitalisierten Arbeitsabläufen einen Rückschritt bedeutet. Ob und wann eine Rückkehr zur digitalen Signatur möglich sein wird, ist derzeit offen und hängt von weiteren Abstimmungen zwischen Softwareanbietern, Kassenverbänden und dem Gesetzgeber ab.
Die Deaktivierung der digitalen Signaturfunktion für pharmazeutische Dienstleistungen ist mehr als ein technischer Rückschritt – sie ist ein symptomatischer Ausdruck für die tiefgreifenden Widersprüche in der Digitalisierungsstrategie des deutschen Gesundheitswesens. Während politische Sonntagsreden die Apotheke der Zukunft als digital vernetzten Gesundheitsknotenpunkt beschwören, entlarvt die aktuelle Entwicklung die strukturelle Trägheit und regulatorische Unentschlossenheit, die hinter den Kulissen herrscht.
Dass eine handschriftliche Unterschrift auf Papier als zwingende Voraussetzung für die Vergütung moderner pharmazeutischer Dienstleistungen gilt, ist nicht nur anachronistisch – es ist Ausdruck eines veralteten Verwaltungsverständnisses. Hier versagt nicht die Technik, sondern die politische und juristische Bereitschaft, neue Prozesse zu legitimieren und rechtssicher zu gestalten.
Verantwortlich sind nicht einzelne Softwarehersteller oder Apotheken, sondern die Träger der Selbstverwaltung und der Gesetzgeber, die es versäumt haben, klare und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Statt Digitalisierung als konsequente Reform des Gesamtsystems zu verstehen, wird sie auf technische Spielereien reduziert, deren rechtliche Substanz nicht gesichert ist.
Die Folge: Apotheken, die sich im Vertrauen auf Zukunftsfähigkeit und Effizienz bereits auf digitale Prozesse eingestellt haben, müssen erneut zurückrudern. Der Aufwand steigt, das Vertrauen sinkt. Eine Strategie, die Digitalisierung an rechtlichen Grauzonen scheitern lässt, gefährdet nicht nur die Akzeptanz bei den Leistungserbringern, sondern untergräbt auch das politische Versprechen eines modernen Gesundheitswesens.
Diese Episode offenbart damit nicht nur ein Versäumnis in der technischen Umsetzung, sondern einen Systemfehler im Zusammenspiel von Digitalisierung, Recht und Verantwortung. Wer Innovation will, muss nicht nur Software liefern – sondern auch tragfähige rechtliche und politische Strukturen. Alles andere bleibt Symbolpolitik auf dem Rücken derjenigen, die täglich Gesundheitsversorgung sichern.
Merck verhandelt über Milliardenübernahme von Springworks Therapeutics
Der Darmstädter Konzern Merck steht unmittelbar vor einer milliardenschweren Akquisition in den USA. Wie das Unternehmen bestätigt, befindet sich der DAX-notierte Konzern in fortgeschrittenen Gesprächen über den Kauf des amerikanischen Biotechunternehmens Springworks Therapeutics. Der Kaufpreis soll sich auf rund 3,5 Milliarden US-Dollar belaufen, was einem Angebot von etwa 47 US-Dollar pro Aktie entspricht. Eine endgültige Entscheidung ist laut Merck noch nicht gefallen, rechtlich verbindliche Vereinbarungen liegen derzeit nicht vor.
Springworks Therapeutics wurde 2017 als Ausgliederung von Pfizer gegründet und hat sich auf die Entwicklung von Arzneimitteln gegen seltene Tumorerkrankungen und bestimmte Formen von Blutkrebs spezialisiert. Das Unternehmen mit Sitz in Connecticut verfügt bereits über ein in den USA zugelassenes Medikament zur Behandlung fortschreitender Weichteiltumoren. Mit der Übernahme würde Merck seine Position im Onkologiegeschäft ausbauen und sich Zugang zu einer Nischenkompetenz verschaffen, die im globalen Pharmamarkt zunehmend an Bedeutung gewinnt.
Der mögliche Zukauf erfolgt vor dem Hintergrund zunehmenden Innovationsdrucks. Merck hatte in den vergangenen Jahren mehrere Rückschläge in der klinischen Entwicklung potenziell lukrativer Medikamente hinnehmen müssen. Infolge dieser Misserfolge hatte das Unternehmen seinen strategischen Kurs teilweise angepasst und sich auf Lizenzvereinbarungen mit externen Forschungspartnern konzentriert. Die nun angestrebte Übernahme markiert eine Rückkehr zu umfassenderen Investitionen in eigene Forschung und Entwicklung – mit dem Ziel, die Pipeline durch gezielte Akquisitionen zukunftsfähig aufzustellen.
Für Merck wäre der Erwerb von Springworks die größte Übernahme im Pharmabereich seit Jahren. Zuletzt hatte der Konzern 2019 den US-Halbleiterzulieferer Versum Materials übernommen. Die größte Transaktion der Unternehmensgeschichte bleibt weiterhin der Kauf von Sigma-Aldrich im Jahr 2015 für 13 Milliarden Euro. Mit dem potenziellen Deal unterstreicht Merck seinen Anspruch, auch in einem durch hohe Entwicklungskosten und intensiven Wettbewerb geprägten Marktumfeld innovationsfähig zu bleiben und langfristiges Wachstum zu sichern.
Die geplante Übernahme von Springworks Therapeutics durch Merck ist mehr als eine strategische Investition in einen wachsenden Sektor der Onkologie. Sie ist Ausdruck eines strukturellen Problems, das viele forschende Pharmaunternehmen derzeit trifft: die Erosion traditioneller Innovationsmodelle. Während die Kosten für Forschung und klinische Studien kontinuierlich steigen, sinkt die Zahl tatsächlicher Neuzulassungen mit bahnbrechendem Potenzial. Dass Merck nach mehreren gescheiterten Entwicklungsprojekten nun einen fokussierten Spezialisten einkaufen will, offenbart eine Verschiebung der Risikoabwägung – weg vom eigenen Labortisch, hin zu extern validierten Forschungsergebnissen mit Marktanschluss.
Diese Strategie folgt einem Muster, das in der Branche zunehmend zur Norm wird: Große Konzerne kaufen gezielt kleinere, agile Biotechunternehmen auf, die in Nischenmärkten bereits Erfolge vorweisen können. Was betriebswirtschaftlich nachvollziehbar ist, wirft zugleich Fragen nach der Zukunft unabhängiger Forschung und der Rolle des öffentlichen Gesundheitsinteresses auf. Denn der Trend zur Externalisierung von Innovation verengt den pharmazeutischen Fortschritt auf kaufmännisch vermarktbare Therapieansätze. Seltene Krankheiten, komplexe Krankheitsbilder ohne klar abgrenzbaren Markt oder frühe Forschungsansätze ohne verwertbare Patente bleiben in diesem System häufig zurück.
Zudem zeigt die geplante Akquisition, wie stark wirtschaftlicher Druck unternehmerisches Handeln dominiert – auch in einem Bereich, der im Kern dem medizinischen Fortschritt verpflichtet sein sollte. Die Verantwortung, therapeutische Lücken zu schließen, liegt längst nicht mehr allein bei der forschenden Industrie, sondern muss gesamtgesellschaftlich verhandelt werden. Die Politik kann sich nicht darauf verlassen, dass private Investitionen automatisch öffentliche Versorgungsinteressen abbilden. Gerade bei Erkrankungen, die hohe Kosten verursachen, aber geringe Gewinnerwartung versprechen, braucht es regulatorische Anreize, gezielte Förderprogramme und internationale Koordination.
Merck agiert im Rahmen unternehmerischer Rationalität. Doch die wiederholten Kurswechsel zwischen eigener Forschung, Lizenzstrategien und nun aggressiver Expansion verdeutlichen ein tiefer liegendes Dilemma: Die pharmazeutische Innovation droht zur spekulativen Investition zu verkommen. Eine verantwortungsvolle Arzneimittelpolitik muss dieser Entwicklung klare Leitplanken setzen – und zugleich offen über die Grenzen marktgetriebener Gesundheitsversorgung sprechen.
Kristallbildung in Opzelura: Hersteller ruft Apotheken und Patienten zum Rücktausch auf
Der Pharmakonzern Incyte warnt in einem aktuellen Rote-Hand-Brief vor kristallartigen Partikeln in der Creme Opzelura mit dem Wirkstoff Ruxolitinib. Demnach kann es bei einzelnen Tuben zu sichtbaren Ablagerungen kommen, die vermutlich auf eine Umwandlung des Wirkstoffs in seine Dihydrat-Form zurückzuführen sind. Zwar wird ein gesundheitliches Risiko durch die Partikel ausgeschlossen, jedoch könnten sie beim Auftragen auf die Haut ein unangenehmes Gefühl verursachen.
Betroffene Tuben sollen daher nicht weiter verwendet werden. Apotheken sind angehalten, bei Rückgabe durch Patientinnen und Patienten kostenfreien Ersatz zur Verfügung zu stellen. Die entsprechende Abwicklung erfolgt über den Hersteller, der bereits eine Hotline für medizinische Rückfragen eingerichtet hat. Auch sollen Apothekenteams bei der Abgabe auf mögliche Partikel in der Creme hinweisen und Betroffene dazu anleiten, die Anwendung bei Auffälligkeiten sofort zu unterbrechen.
Laut Incyte handelt es sich bislang um Einzelfälle. Seit der Markteinführung von Opzelura im Mai 2023 wurden kristalline Partikel in etwa sechs von 10.000 ausgelieferten Tuben nachgewiesen. Nach Einführung zusätzlicher Kontrollmaßnahmen konnte die Beanstandungsrate nach Unternehmensangaben auf rund eine pro 10.000 Tuben gesenkt werden. Begleitende Beschwerden an der Applikationsstelle wie Schmerzen, Kribbeln oder Rötungen traten bislang nur in Ausnahmefällen auf und gelten als nicht schwerwiegend.
Die genaue Ursache der Kristallbildung ist weiterhin Gegenstand interner Untersuchungen. Der Hersteller vermutet, dass sich im Rahmen des Herstellungsprozesses Partikel aus dem eingesetzten Ruxolitinibphosphat bilden, die sich im Produkt als Dihydrat niederschlagen. Um die Produktqualität sicherzustellen, wurden zusätzliche Prüfverfahren bei der Chargenfreigabe eingeführt. Zudem wird an einer stabileren Formulierung gearbeitet, um das Risiko künftiger Kristallbildung zu minimieren.
Opzelura ist zur Behandlung der nichtsegmentalen Vitiligo mit Beteiligung des Gesichts bei Jugendlichen ab zwölf Jahren und Erwachsenen zugelassen. Die Creme enthält den Januskinase-Inhibitor Ruxolitinib, der entzündliche Immunreaktionen hemmt und so die Repigmentierung betroffener Hautareale unterstützt. Die Anwendung erfolgt in der Regel über mehrere Monate hinweg.
Die Vorkommnisse verdeutlichen einmal mehr die Bedeutung sorgfältiger Produktions- und Kontrollprozesse bei lokal applizierbaren Arzneimitteln. Gleichzeitig zeigt der Fall, wie engmaschig das Meldesystem in der Arzneimittelsicherheit mittlerweile funktioniert – auch bei Vorfällen, die nicht mit gravierenden Nebenwirkungen verbunden sind.
Die jüngste Qualitätsmeldung zu Opzelura ist auf den ersten Blick ein technisches Detail: sichtbare Kristalle in einer Creme, die nach Aussage des Herstellers kein Gesundheitsrisiko darstellen. Doch bei genauer Betrachtung offenbart der Fall gleich mehrere Schwächen im System – und ebenso viele Stärken.
Dass ein neuer Wirkstoff wie Ruxolitinib, der mit hohen Erwartungen im Bereich dermatologischer Entzündungstherapien eingeführt wurde, in der galenischen Aufbereitung instabil ist, ist keine Kleinigkeit. Es geht um die praktische Anwendbarkeit, um Therapietreue, um Vertrauen. Und das betrifft nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern auch Apotheken, die als erste Instanz mit der Reklamation konfrontiert sind.
Die Pflicht zur Rückgabe, der organisierte Austausch, das Angebot eines medizinischen Informationsdienstes – all das ist gut gemeistert. Aber die Ursachenklärung bleibt unbefriedigend. Wenn sich der Wirkstoff bereits unter Standardbedingungen in eine kristalline Form umwandelt, stellt sich die Frage, wie tief die Stabilitätsanalysen im Zulassungsprozess tatsächlich gingen. Hier ist nicht nur der Hersteller, sondern auch die Aufsichtsbehörde gefragt. Die Überwachung darf sich nicht auf Stichproben und retrospektive Korrekturen beschränken.
Gesellschaftlich betrachtet zeigt der Fall, wie hoch die Sensibilität für Produktqualität inzwischen ist – zu Recht. Selbst nicht-schwerwiegende Beschwerden wie Kribbeln oder Hautrötung sind heute Anlass für transparente Kommunikation und strukturierte Rückrufverfahren. Doch diese Transparenz darf kein Selbstzweck sein. Sie muss mit einer konsequenten Fehleranalyse und strukturellen Konsequenzen verbunden sein.
Das Vertrauen in pharmazeutische Innovation lebt nicht allein von der klinischen Wirksamkeit, sondern auch von ihrer sicheren, konsistenten Darreichung. Bei Opzelura steht nicht nur ein Produkt auf dem Prüfstand, sondern ein ganzer Prozess: von der Wirkstoffsynthese bis zur Qualitätssicherung. Dass Incyte nun an einer alternativen Formulierung arbeitet, ist richtig – aber es ist auch eine späte Reaktion auf ein Problem, das offenbar systemisch unterschätzt wurde.
Pharmazeutische Qualität ist kein Versprechen, sondern eine permanente Verpflichtung. Wenn selbst modernste Arzneien mit physikalisch-chemischen Problemen kämpfen, darf das nicht hinter PR-Sätzen verschwinden. Es braucht eine offene Fehlerkultur, regulatorische Konsequenz – und eine kritische Öffentlichkeit, die nicht nur Fragen stellt, wenn es um schwere Nebenwirkungen geht, sondern auch dann, wenn „nur“ Kristalle in einer Creme auftauchen.
Sucht in Deutschland: Zehntausende Tote, Milliardenkosten – und kaum politische Gegenwehr
In Deutschland sterben jedes Jahr rund 147.000 Menschen an den Folgen von Tabak- und Alkoholkonsum. Etwa 99.000 Todesfälle sind laut aktueller Auswertung auf das Rauchen zurückzuführen, weitere 47.500 auf Alkoholkonsum. Hinzu kommen mehrere Millionen Menschen mit Suchterkrankungen. Das geht aus dem aktuellen Jahrbuch Sucht 2025 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen hervor. Die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Zahlen sind erheblich – doch konkrete politische Konsequenzen bleiben aus.
Besonders alarmierend ist die Schätzung, dass mehr als 20 Prozent der Bevölkerung Alkohol in riskantem oder abhängigkeitserzeugendem Ausmaß konsumieren. Bei neun Prozent liegt eine manifeste Missbrauchs- oder Abhängigkeitsdiagnose vor – bezogen auf die Altersgruppe zwischen 18 und 64 Jahren. Ältere Personen und Minderjährige sind in dieser Statistik noch gar nicht enthalten. Der Alkoholkonsum zieht eine lange Liste medizinischer und sozialer Folgeprobleme nach sich, darunter Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychische Störungen, Unfälle sowie Gewalt- und Verkehrsstraftaten.
Alkohol gilt medizinisch als Zellgift, das selbst in moderaten Mengen gesundheitsschädlich sein kann. Dennoch ist er in Deutschland preislich leicht zugänglich und nahezu unbegrenzt bewerbbar. Die Preise für alkoholische Getränke sind in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich langsamer gestiegen als für andere Lebensmittel. Ein Beispiel: Während der Preis für Orangensaft jüngst erneut anzog, blieb jener für Wodka nahezu unverändert. Im europäischen Vergleich ist Alkohol in Deutschland besonders erschwinglich. Gleichzeitig erhebt der Staat keine Verbrauchsteuer auf Wein, und auch auf Bier liegt die Abgabenlast weit unter dem internationalen Durchschnitt.
Suchtforscher warnen davor, diese politische Laxheit weiter fortzusetzen. Modellrechnungen zeigen, dass bereits ein durchschnittlicher Preisanstieg von fünf Prozent bei alkoholischen Getränken den Konsum spürbar senken und hunderte Todesfälle jährlich verhindern könnte. Zudem würden jährlich bis zu 1,4 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen generiert. Doch diese Zahlen werden von Teilen der Politik bislang ignoriert. Die Union zweifelt etwa an der Wirksamkeit höherer Preise bei suchtkranken Menschen – eine Argumentation, die Experten als kurzsichtig bewerten.
Auch beim Tabakkonsum zeigt sich eine ähnliche Dynamik. Über 30 Prozent der Erwachsenen in Deutschland rauchen, mit volkswirtschaftlichen Folgekosten von rund 97 Milliarden Euro pro Jahr. Der Konsum herkömmlicher Zigaretten geht unter jungen Menschen zwar leicht zurück, wird jedoch zunehmend durch alternative Nikotinprodukte wie E-Zigaretten und Tabakerhitzer ersetzt. Zwar liegt deren Verbreitung derzeit noch bei rund drei Prozent, doch die Entwicklung bereitet Experten zunehmend Sorge.
Darüber hinaus mehren sich Berichte über das verstärkte Auftreten von Crack und hochpotenten synthetischen Opioiden wie Fentanyl in deutschen Städten. Die Substanz gilt als besonders gefährlich und hat in den USA eine Überdosis-Epidemie ausgelöst. Die Ausbreitung solcher Drogen in Deutschland ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass Suchtpolitik dringender Reformen bedarf.
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen fordert angesichts dieser Entwicklungen eine entschlossene gesundheitspolitische Neuausrichtung. Sucht- und Drogenprobleme müssten an die Spitze der gesundheitspolitischen Agenda rücken. Gefordert werden höhere Verbrauchsteuern, eine Einschränkung der Werbung, gezielte Präventionsprogramme sowie deutlich stärkere Investitionen in die Suchthilfe. Die Realität aber ist: Deutschland bleibt in vielen Bereichen suchtpolitisch nahezu untätig – mit dramatischen Konsequenzen für Gesundheitssystem, Gesellschaft und Steuerzahler.
Die gesellschaftliche Tragweite des deutschen Suchtproblems ist seit Jahren bekannt, doch die politische Reaktion verharrt im Zustand struktureller Ignoranz. Dass jährlich knapp 150.000 Menschen an vermeidbaren Folgen von Alkohol- und Tabakkonsum sterben, müsste längst ein Aufschrei sein – ist aber in der öffentlichen Debatte kaum mehr als eine Randnotiz. Die Zahlen des neuen Jahrbuchs Sucht 2025 sind ein Spiegel gesellschaftlicher Verdrängung und politischer Passivität. Ein Land, das Orangensaft stärker besteuert als Spirituosen, hat offenbar den Ernst der Lage nicht begriffen.
Die Argumente der politischen Gegnerschaft zu höheren Alkoholsteuern, wie sie etwa aus Reihen der Union kommen, sind schwach. Der Einwand, dass Süchtige sich auch durch höhere Preise nicht vom Konsum abbringen ließen, ignoriert das zentrale Ziel jeder präventiven Steuerpolitik: die Breitenwirkung. Preismaßnahmen wirken vor allem bei Gelegenheits- und Vielkonsumenten, sie senken den Einstiegskonsum Jugendlicher und führen insgesamt zu einer gesellschaftlichen Verschiebung der Normen. Dass Deutschland hier nach wie vor auf einem der letzten Plätze im internationalen Vergleich steht, ist Ausdruck eines gefährlichen Reformstaus.
Noch gravierender ist der politische Umgang mit den drohenden Entwicklungen im Bereich harter Drogen. Das zunehmende Auftreten synthetischer Opioide wie Fentanyl in urbanen Drogenmilieus ist ein Warnsignal mit Ansage. Wer aus den Erfahrungen Nordamerikas nichts gelernt hat, riskiert eine ähnliche Gesundheitskatastrophe auf deutschem Boden. Die strukturelle Schwäche der Suchthilfe, chronisch unterfinanziert und personell überfordert, steht in krassem Missverhältnis zur Größe des Problems.
Gesundheitspolitisch betrachtet, zeigt sich hier ein eklatantes Missverhältnis zwischen Risiko und Reaktion. Während Milliardenkosten durch Suchtmittelverbrauch das System belasten, bleibt der politische Wille zur Korrektur schwach ausgeprägt. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt ein ingraves kulturelles Selbstverständnis, das Alkohol als harmloses Genussmittel verklärt und seine sozialen Verwüstungen konsequent verharmlost. Dabei wäre ein radikaler Kurswechsel nicht nur gesundheitspolitisch geboten, sondern auch fiskalisch vernünftig.
Eine substanzielle Wende erfordert Mut zur Konfrontation mit mächtigen Interessengruppen – von der Alkohol- bis zur Tabaklobby. Doch es braucht vor allem eins: die Bereitschaft, den gesundheitlichen Schutz der Bevölkerung über kurzfristige politische Opportunität zu stellen. Wer angesichts derart klarer Datenlagen nicht handelt, trägt Mitverantwortung für jedes weitere vermeidbare Todesopfer. Die Bundespolitik muss sich endlich der Realität stellen: Sucht ist kein individuelles Versagen, sondern ein strukturelles Problem. Und strukturelle Probleme verlangen nach strukturellen Antworten.
Salbutamol-Mangel weitet sich aus: Inhalationslösung erstmals offiziell betroffen
Die anhaltenden Lieferengpässe bei Salbutamol-haltigen Arzneimitteln zur Inhalation spitzen sich weiter zu. Erstmals ist nun auch eine Inhalationslösung für Vernebler auf der offiziellen Engpassliste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verzeichnet. Die Sultanol Inhalationslösung des Herstellers GSK wird dort seit März mit einem voraussichtlichen Versorgungsengpass bis zum 19. Mai geführt. Als Grund nennt das Institut unzureichende Produktionskapazitäten. Bereits seit Ende 2023 sind mehrere Salbutamol-Dosieraerosole aufgrund von Lieferausfällen eingeschränkt verfügbar. Die Gesamtlage gilt weiterhin als angespannt.
Im Dezember 2023 hatte das Bundesgesundheitsministerium einen offiziellen Versorgungsmangel für salbutamolhaltige Arzneimittel in pulmonaler Darreichungsform festgestellt. Diese Einstufung erlaubt erleichterte Importe zur Stabilisierung der Versorgung. Als Ursachen für die Engpässe werden internationale Produktionsprobleme sowie ein weltweit steigender Bedarf an Inhalationsprodukten genannt – insbesondere vor dem Hintergrund saisonaler Atemwegserkrankungen und zunehmender Erkrankungszahlen bei Asthma und COPD.
Während laut BfArM andere salbutamolhaltige Inhalationslösungen und Fertiginhalate bislang nicht in relevanter Weise betroffen sind, markiert die Aufnahme einer Lösung für Vernebler einen kritischen Punkt. Auch wenn Salbutamol in flüssiger oraler Form für Kinder derzeit verfügbar bleibt, verschärft sich die Lage bei den inhalativen Darreichungsformen spürbar. Das betroffene Arzneimittel ist zur akuten und präventiven Behandlung von reversiblen Atemwegsverengungen zugelassen und wird regelmäßig zur Therapie chronischer Lungenleiden eingesetzt.
Der Beirat für Liefer- und Versorgungsmängel hat begleitende Maßnahmen empfohlen, um die knappen Bestände gezielt zu steuern. Ärztinnen und Ärzte sollen auf Vorratsverordnungen verzichten, Rezepte sollen nur bei akutem Bedarf ausgestellt werden. Zudem wird angeraten, ausschließlich die kleinste Packungsgröße zu verordnen, um die Versorgung möglichst breit sicherzustellen. Die Empfehlungen zielen darauf ab, regionalen Engpässen und individualisierten Lagerhaltungen vorzubeugen.
Die wiederholten Versorgungsengpässe bei essenziellen Arzneimitteln wie Salbutamol werfen erneut die Frage nach strukturellen Schwächen in der Arzneimittelversorgung auf. Trotz politischer Maßnahmen und punktueller Interventionen gelingt es offenbar nicht, die Versorgungssicherheit dauerhaft zu gewährleisten. Betroffen sind nicht nur chronisch erkrankte Menschen, sondern auch Notfallpatienten, die auf eine zuverlässige Verfügbarkeit lebenswichtiger Medikamente angewiesen sind.
Die anhaltenden Lieferprobleme bei Salbutamol-haltigen Inhalationspräparaten sind kein isoliertes Versorgungsproblem, sondern Ausdruck eines systemischen Defizits in der Arzneimittelstrategie Deutschlands. Dass nun auch die Inhalationslösung für Vernebler betroffen ist, zeigt, wie fragil selbst zentrale Pfeiler der Notfall- und Basistherapie geworden sind. Wenn selbst ein jahrzehntelang bewährtes und breit eingesetztes Medikament wie Salbutamol nicht mehr durchgehend verfügbar ist, liegt der Fehler nicht nur bei einzelnen Herstellern, sondern im politischen und wirtschaftlichen Ordnungsrahmen der Arzneimittelversorgung.
Die Verantwortung liegt bei mehreren Akteuren. Die pharmazeutische Industrie hat – teilweise aus nachvollziehbaren ökonomischen Gründen – Produktionskapazitäten ins Ausland verlagert und ihre Lieferketten auf Effizienz statt auf Resilienz getrimmt. Gleichzeitig fehlt es auf Seiten des Staates an strategischer Vorratshaltung, verbindlichen Transparenzvorgaben und nachhaltiger Steuerung. Das Bundesgesundheitsministerium reagiert zu spät und zu punktuell, während das BfArM zwar dokumentiert, aber strukturell nicht interveniert. Die kurzfristige Importerleichterung ist ein Tropfen auf den heißen Stein, solange eine grundsätzliche Neuausrichtung der Versorgungspolitik ausbleibt.
Besonders gravierend ist, dass chronisch kranke Menschen – etwa mit Asthma oder COPD – in eine therapeutische Unsicherheit gedrängt werden, obwohl ihre stabile Medikamentenversorgung eine Grundvoraussetzung für Lebensqualität und Teilhabe darstellt. Hier versagt der Sozialstaat an einer seiner Kernaufgaben. Wer Arzneimittelengpässe in dieser Häufung und Dauer hinnimmt, riskiert nicht nur individuelle Gesundheit, sondern beschädigt das Vertrauen in das Gesundheitswesen als Ganzes.
Hinzu kommt, dass die bisherigen Empfehlungen zur Verordnungspraxis – etwa die Begrenzung auf kleinste Packungsgrößen – symptomatisch wirken, aber keine Ursachen bekämpfen. Sie verschieben Verantwortung auf die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, die zwischen medizinischer Indikation und bürokratischen Restriktionen lavieren müssen. Gleichzeitig werden Apotheken zur Improvisation gezwungen, die mit jeder neuen Engpassmeldung ihre Versorgungsaufträge unter erschwerten Bedingungen erfüllen müssen.
Ein wirklicher Wendepunkt wäre erst erreicht, wenn die Politik bereit ist, Arzneimittelversorgung nicht mehr als bloßes Marktprodukt, sondern als Teil kritischer Infrastruktur zu begreifen – inklusive nationaler Produktionskapazitäten, strategischer Lagerhaltung und transparenter Lieferketten. Solange das nicht geschieht, bleibt der aktuelle Salbutamol-Mangel ein Menetekel für weitere Versorgungslücken – bei Antibiotika, Krebsmedikamenten oder Schmerzmitteln. Die Wiederholung wird zur Regel, nicht zur Ausnahme.
Nahrungsergänzung für die Haut: Steripharm erweitert Portfolio um Folio beauty care
Zum 1. April hat der Berliner Hersteller Steripharm sein Nahrungsergänzungs-Sortiment um das Präparat Folio beauty care ergänzt. Zielgruppe sind insbesondere Frauen ab 30 Jahren, für die das Produkt als Bestandteil einer erweiterten Hautpflege von innen positioniert wird. Die Kombination aus Vitaminen, Spurenelementen und bioaktiven Substanzen soll körpereigene Prozesse der Zellregeneration, der Hautstrukturstärkung und der Feuchtigkeitsbindung unterstützen.
Im Zentrum steht ein sogenanntes Q4-Nährstoffquartett, bestehend aus Silicium, Folsäure, veganer Hyaluronsäure und einem Algenextrakt mit hochkonzentrierter Superoxid-Dismutase (TetraSOD). Diese Zusammensetzung soll nicht der Reparatur bereits sichtbarer Hautveränderungen dienen, sondern präventiv die strukturelle Hautintegrität sichern. Weitere Bestandteile sind Biotin und Jod, die Funktionen des Zellstoffwechsels und der Schilddrüse abdecken. Die tägliche Einnahme erfolgt über eine vegane Kapsel, die frei von Laktose und Gluten ist.
Folsäure liegt in bioaktiver Form als L-Methylfolat vor und ist an der Zellteilung, der Synthese von Nukleinsäuren und der Homöostase des Proteinstoffwechsels beteiligt. In Kombination mit den Vitaminen B6 und B12 wird ein synergistischer Effekt auf epidermale Regenerationsprozesse und Immunfunktionen erwartet. Silicium in Form von Siliciumdioxid ergänzt diese Wirkung durch seine Rolle in der Kollagen- und Elastinbildung, die zur strukturellen Festigkeit der Haut beiträgt.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem marinen Antioxidans TetraSOD, das aus Mikroalgen gewonnen wird und laut Herstellerangabe eine stark verstärkte antioxidative Wirkung entfalten soll. Ergänzt durch enzymatische Kofaktoren wie Glutathionperoxidase und Katalase richtet sich die Formulierung gezielt gegen oxidativen Stress als einen zentralen Faktor der Hautalterung. Die pflanzenbasierte Hyaluronsäure aus Tremella fuciformis soll durch ihre hohe Wasserbi