dm plant Versand von OTC-Arzneimitteln – Apothekenaufsicht prüft rechtliche Voraussetzungen
Die Drogeriemarktkette dm bereitet sich darauf vor, noch in diesem Jahr den Versand von rezeptfreien Arzneimitteln (OTC) an Verbraucher in Deutschland zu starten. Das Projekt befindet sich aktuell in der entscheidenden Phase: Drei Monate nach Beginn der Pilotphase im Juli soll der Regelbetrieb anlaufen. Voraussetzung dafür ist jedoch die Klärung regulatorischer Fragen. Medienberichten zufolge kam es nun zu einem Treffen mit der zuständigen Apothekenaufsicht, bei dem offene Punkte diskutiert wurden.
Im Zentrum der Gespräche steht die Frage, ob und unter welchen Bedingungen ein Unternehmen wie dm – ohne eigene Apothekenstruktur – OTC-Arzneimittel rechtssicher versenden darf. Die rechtliche Grauzone betrifft vor allem den Versand aus einer sogenannten „Versandhandelsplattform“, die formal mit einer Partnerapotheke verknüpft ist. Zwar erlaubt das Arzneimittelgesetz den Versand apothekenpflichtiger, nicht verschreibungspflichtiger Medikamente, jedoch ausschließlich durch zugelassene Apotheken. dm möchte dieses Modell über Kooperationspartner realisieren, sieht sich aber mit detaillierten Anforderungen der Aufsichtsbehörden konfrontiert.
Nach Informationen aus Branchenkreisen habe dm gegenüber den Behörden ein umfassendes Konzept vorgelegt, das sowohl Qualitätssicherung als auch Kundensicherheit berücksichtigen soll. Ziel sei es, regulatorisch auf der sicheren Seite zu stehen und die bereits bestehende Infrastruktur im E-Commerce nahtlos für den Medikamentenversand zu nutzen. Die Apothekenaufsicht prüft derzeit, inwieweit das dm-Modell den Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung, des Heilmittelwerbegesetzes und des Arzneimittelrechts entspricht. Entscheidungen oder verbindliche Stellungnahmen stehen bislang noch aus.
Kritiker beobachten die Entwicklung mit Skepsis. Die Apothekerschaft befürchtet eine weitere Verschiebung von Marktanteilen zulasten der inhabergeführten Apotheken. Auch sei unklar, in welchem Maße die Beratungspflicht eingehalten werden kann, wenn der Versand über externe Plattformen erfolgt. dm selbst betont, man wolle keine „Online-Apotheke“ sein, sondern lediglich einen rechtssicheren Vertriebskanal für rezeptfreie Produkte schaffen.
Ob und wann die Genehmigung tatsächlich erteilt wird, bleibt offen. Der Ausgang der Gespräche mit der Aufsicht dürfte jedoch Signalwirkung für den gesamten OTC-Markt haben – insbesondere für andere Handelsketten, die ein ähnliches Modell prüfen.
Der Vorstoß von dm, in den Versandhandel mit OTC-Arzneimitteln einzusteigen, ist kein harmloses Experiment, sondern ein strategischer Meilenstein mit potenziell weitreichenden Folgen für die Apothekenlandschaft in Deutschland. Dass der Konzern regulatorisch auf Nummer sicher gehen will, zeigt das Bemühen um ein juristisch belastbares Modell – doch genau darin liegt auch die Brisanz. Denn wenn die Aufsichtsbehörden dem Konzept zustimmen, öffnet das Tür und Tor für andere Handelsakteure, sich künftig ebenfalls in diesem Marktsegment zu positionieren.
Für Apothekenbetreiber ist dieser Trend alarmierend: Die zunehmende Entgrenzung zwischen Drogerie- und Apothekenmarkt rüttelt an den Grundfesten eines bislang klar regulierten Versorgungssystems. Es droht eine Verwässerung der Beratungspflichten und ein weiterer Rückgang der stationären Frequenz. Die Rolle der Aufsicht wird daher zur Weichenstellung für den gesamten Apothekenmarkt: Es geht nicht nur um die Frage, ob das dm-Modell legal ist, sondern ob das bisherige Verständnis von Arzneimittelsicherheit und Versorgung auch in einer digitalen Handelswelt Bestand haben kann.
Der Fall zeigt einmal mehr, dass die Politik dringend klare Leitplanken definieren muss, bevor Marktmechanismen Fakten schaffen, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Die Diskussion um den OTC-Versand durch Nicht-Apotheken ist deshalb mehr als nur eine juristische Prüfung – sie ist ein Lackmustest für die Zukunftsfähigkeit der Arzneimittelversorgung in Deutschland.
Apotheken zwischen Reformillusion und Realität – Viel Ankündigung, wenig Substanz
Die Apotheken in Deutschland stehen vor einem grundlegenden Wandel – zumindest in der Theorie. Die politische Agenda der Bundesregierung sowie das sogenannte Zukunftskonzept der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zeichnen das Bild einer neuen, modernen Apothekenlandschaft. Im politischen Sprachgebrauch ist von erweiterten Aufgaben, digitaler Kompetenz, Präventionsarbeit und flächendeckender Versorgung die Rede. Doch bei genauerer Betrachtung geraten zentrale Elemente dieser Erneuerung ins Wanken: Zeitpläne sind vage, Finanzierungszusagen fehlen, und die strukturellen Rahmenbedingungen bleiben unklar.
Im Koalitionsvertrag wird eine Stärkung der Apotheken explizit angesprochen. Zusätzliche pharmazeutische Dienstleistungen, mehr Verantwortung in der Primärversorgung und eine Integration in digitale Versorgungsnetzwerke zählen zu den Zielsetzungen. Doch nahezu alle dieser Punkte sind an Vorbehalte gebunden: Die Finanzierung wird mit dem Zusatz versehen, dass sie nur „im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel“ möglich sei. Die Umsetzung hängt von einer Expertenkommission ab, deren Arbeit noch nicht abgeschlossen ist. Spätestens im Jahr 2027, so heißt es, sollen Ergebnisse vorliegen. Für Apotheken, die heute unter wirtschaftlichem Druck stehen, ist das keine Perspektive, sondern eine Vertröstung.
Auch das Zukunftskonzept der ABDA wirkt bei näherem Hinsehen ernüchternd. Was als strategische Neuausrichtung angekündigt wurde, entpuppt sich als Konsenspapier, das von den 34 Mitgliedsorganisationen getragen werden muss – mit der Konsequenz, dass nur der kleinste gemeinsame Nenner durchsetzbar ist. Der Anspruch, Apotheken fit für die Zukunft zu machen, bleibt damit weitgehend deklaratorisch. Wichtige Fragen zur Finanzierung, zur personellen Entlastung und zur Positionierung im Wettbewerb werden ausgeklammert. Gleichzeitig bedeutet das Konzept vor allem eines: Mehrarbeit. Die Anforderungen steigen, die Honorierung bleibt unklar.
Während sich Standesvertretungen und Politik in strukturellen Debatten verheddern, verändert sich der Markt längst unabhängig davon. Mit dm drängt ein Großakteur in das OTC-Geschäft und erprobt neue Modelle der Kundenbindung und Arzneimittelberatung außerhalb der klassischen Apothekenstruktur. Unterstützt durch digitale Plattformen und eine starke Handelslogistik könnte das Unternehmen mittelfristig zum ernsthaften Wettbewerber werden – vor allem in den Bereichen, in denen Apotheken bereits heute durch Lieferengpässe, Personalmangel und wirtschaftliche Engpässe unter Druck stehen.
Die wirtschaftliche Realität vieler Apotheken steht im krassen Gegensatz zur politischen Programmatik. Die Zahl der Betriebsstätten sinkt kontinuierlich, die Nachfolgesuche gestaltet sich schwierig, der Druck durch Bürokratie und Retaxationen nimmt zu. Zusätzlich zur Grundversorgung sollen Apotheken nun auch noch Medikationsanalysen, Impfdokumentation, Präventionsberatung und Notfallversorgung übernehmen – bei gleichbleibender oder gar sinkender Vergütung.
Die angekündigte Reform droht damit zur Überforderung zu werden, wenn sie nicht durch klare gesetzliche Rahmenbedingungen, verlässliche Finanzierung und eine zielgerichtete Aufgabenverteilung flankiert wird. Ohne diese Basis bleibt die Apotheke der Zukunft eine rhetorische Vision – ein Leitbild ohne Fundament.
Wer sich die Mühe macht, zwischen den Zeilen des Koalitionsvertrags und des ABDA-Zukunftskonzepts zu lesen, erkennt schnell: Die Reform der Apotheken ist weniger eine durchdachte Strukturmaßnahme als vielmehr ein Sammelsurium politischer Absichtserklärungen und berufsständischer Kompromisse. Das Problem liegt nicht im Mangel an Ideen – es liegt im Fehlen von Umsetzungsrealismus, Finanzierungssicherheit und systemischer Stringenz.
Die Apotheke wird zum Projektionsraum für alles, was das Gesundheitswesen versäumt hat: Versorgungslücken auf dem Land, Präventionsdefizite in der Fläche, Überlastung der Hausarztpraxen, digitale Rückstände im Versorgungsalltag. Doch statt die Apotheken gezielt zu entlasten und ihre Rolle neu zu definieren, überhäuft man sie mit Aufgaben, die ohne Strukturreformen nicht tragfähig sind.
Das ABDA-Papier zeigt in bedrückender Klarheit, was passiert, wenn politische Führung durch föderalen Konsens ersetzt wird: ambitionierte Ankündigungen, verwässert durch Rücksichtnahme auf jede Landesstruktur. Es fehlt der Mut zur Differenzierung – etwa zwischen tragfähigen Großbetrieben und gefährdeten Einzelstandorten – ebenso wie der Wille, wirtschaftliche Realitäten anzuerkennen.
Währenddessen agieren andere längst entschlossener: Handelsketten wie dm entwickeln digitale Plattformlösungen, die Patientenbindung jenseits der Apotheken schaffen. Der Gesetzgeber steht hier vor einer Richtungsentscheidung: Will er inhabergeführte Apotheken als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge schützen – oder öffnet er schrittweise die Tür für eine marktliberale Umstrukturierung des Arzneimittelvertriebs?
Derzeit spricht vieles für Letzteres. Und wenn das so bleibt, wird die schön beschriebene Zukunft der Apotheken bald von den Realitäten des Marktes überholt sein – ohne dass man es politisch gewollt oder standespolitisch verhindert hätte.
Strukturierte Mitarbeitergespräche stärken Führungskultur in Apotheken
Mitarbeitergespräche sind in Apotheken ein zentrales Führungsinstrument, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Vor allem Filialleitungen sind gefordert, diese Gespräche nicht nur regelmäßig, sondern auch strukturiert und zielorientiert zu führen. In Zeiten personeller Engpässe, wachsender Anforderungen und zunehmender Fluktuation kommt der Gesprächsführung eine tragende Rolle für Motivation, Teamentwicklung und Arbeitsqualität zu.
Damit ein Mitarbeitergespräch seine Wirkung entfalten kann, ist eine sorgfältige Vorbereitung entscheidend. Die Apothekenleitung sollte vorab klären, welche Ziele verfolgt werden: Geht es um Leistungsreflexion, Entwicklungsperspektiven oder die Klärung konkreter Probleme im Arbeitsalltag? Eine klare Zieldefinition ermöglicht eine strukturierte Gesprächsführung und schafft Verbindlichkeit.
Auch die Einladung sollte präzise formuliert sein. Mitarbeitende müssen wissen, worauf sie sich einstellen sollen – etwa ob es um Weiterbildung, neue Aufgaben oder Rückmeldungen zu konkreten Arbeitssituationen geht. Gespräche verlaufen nachweislich effektiver, wenn Themen im Vorfeld benannt und im besten Fall durch vorbereitende Selbsteinschätzungen ergänzt werden. Bewertungsbögen für beide Seiten können dabei helfen, unterschiedliche Perspektiven sichtbar zu machen und Gemeinsamkeiten oder Diskrepanzen systematisch zu erfassen.
Das Gespräch selbst sollte in einem ungestörten Rahmen stattfinden – möglichst außerhalb des üblichen Betriebsumfelds – und ausreichend Zeit bieten, um Anliegen beidseitig zu erörtern. Die Gesprächsführung sollte von gegenseitigem Respekt geprägt sein. Auch wenn die Führungsrolle gewahrt bleiben muss, ist eine Kommunikation auf Augenhöhe essenziell, um Vertrauen zu schaffen und Entwicklungsgespräche als partnerschaftlichen Dialog zu gestalten.
Ebenso bedeutend wie die Gesprächsführung ist die Nachbereitung. Vereinbarungen müssen dokumentiert und deren Umsetzung zu einem späteren Zeitpunkt überprüft werden. Dies betrifft sowohl individuelle Zielsetzungen – etwa in Bezug auf Fortbildungen oder qualitative Verbesserungen in der Patientenberatung – als auch strukturelle Anpassungen innerhalb des Teams. Ohne schriftliche Fixierung droht die Verbindlichkeit zu verpuffen.
Fachliche Empfehlungen betonen darüber hinaus, dass die Durchführung von Mitarbeitergesprächen als feste Aufgabe in den Arbeitsverträgen von Filialleitungen verankert sein sollte. Nur so lässt sich gewährleisten, dass Gespräche nicht dem Tagesgeschäft zum Opfer fallen, sondern als integraler Bestandteil professioneller Führung wahrgenommen werden.
Im Ergebnis zeigt sich: Mitarbeitergespräche bieten eine niederschwellige, aber wirkungsvolle Möglichkeit, Klarheit zu schaffen, individuelle Perspektiven zu fördern und die Zusammenarbeit im Team nachhaltig zu stärken – sofern sie gut vorbereitet, zielgerichtet geführt und konsequent nachbereitet werden.
Apotheken sehen sich mit einem strukturellen Wandel konfrontiert, der weit über Fragen der Honorierung hinausgeht. Der zunehmende Druck auf die Betriebsorganisation, der Mangel an qualifiziertem Personal und die Notwendigkeit, interne Prozesse effizienter zu gestalten, verlangen nach einer neuen Führungsqualität – insbesondere in Filialbetrieben.
Gerade hier bieten regelmäßige Mitarbeitergespräche ein unterschätztes, aber wirkungsvolles Mittel zur Stärkung der innerbetrieblichen Kommunikation. Sie sind mehr als nur ein Instrument der Personalentwicklung. Richtig angewendet, machen sie Führungsverantwortung sichtbar, schaffen Transparenz und tragen dazu bei, Konflikte frühzeitig zu erkennen und konstruktiv zu bearbeiten.
Doch der Erfolg steht und fällt mit der Verbindlichkeit der Umsetzung. Gespräche, die aus Zeitgründen verschoben oder halbherzig geführt werden, verlieren nicht nur ihren Nutzen, sondern können auch das Vertrauen der Mitarbeitenden untergraben.
Deshalb gilt: Wer Mitarbeiterbindung ernst meint, muss Führung als kontinuierlichen Dialog begreifen – nicht als Ausnahmezustand. In einem zunehmend kompetitiven Gesundheitsmarkt ist dies kein Luxus, sondern ein betriebswirtschaftliches Gebot.
Retax über 3,21 Euro entfacht Grundsatzkritik – Krankenkassen wegen systemischer Ineffizienz unter Beschuss
Ein aktueller Fall aus Nordrhein-Westfalen hat eine Debatte über die Sinnhaftigkeit und Systematik von Retaxationen durch gesetzliche Krankenkassen neu entfacht. Im Mittelpunkt steht eine Rückforderung über lediglich 3,21 Euro, die einem Apotheker in Hamm zugestellt wurde – begleitet von einem bürokratischen Aufwand, der in keinem Verhältnis zum Betrag steht. Der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) spricht von einem "Schildbürgerstreich" und kritisiert nicht nur die Verhältnismäßigkeit, sondern auch die strukturellen Fehlanreize im Abrechnungssystem zwischen Apotheken und Krankenkassen.
Die betreffende Retaxation wurde dem Apotheker Martin Schwarzer per Einschreiben zugestellt – allein das Porto belief sich auf 4,75 Euro, der Streitwert wurde also bereits durch die Versandkosten deutlich übertroffen. Hinzu kamen neun DIN-A4-Seiten Begleitdokumentation sowie interner Personalaufwand für Prüfung und Bearbeitung. Der AVWL sieht darin ein Beispiel für einen zunehmend ausufernden Verwaltungsapparat, der sich von wirtschaftlicher Vernunft entfernt hat. Die Krankenkassen hätten die Pflicht, mit Versichertengeldern sparsam und zweckgebunden umzugehen – der vorliegende Fall zeige jedoch das Gegenteil.
Noch schwerer wiegt aus Sicht des Verbandes, dass es sich dabei nicht um einen Ausnahmefall handelt. Retaxationen über Kleinstbeträge aufgrund formaler Rezeptfehler seien gängige Praxis – oftmals automatisiert durch Subunternehmen, die im Auftrag der Kassen handeln. Dabei gehe es selten um tatsächliche Falschabrechnungen oder eine fehlerhafte Patientenversorgung, sondern um winzige Unstimmigkeiten in Form und Format. Der AVWL weist darauf hin, dass viele Apotheker aus ökonomischer Vernunft auf eine Überprüfung oder einen Widerspruch verzichten, obwohl die Retaxation häufig unberechtigt sei. Der Arbeitsaufwand stehe in keinem Verhältnis zur Summe – und genau das machten sich die Krankenkassen zunutze, so der Vorwurf.
Im Jahr 2023 konnte der AVWL nach eigenen Angaben rund eine halbe Million Euro an Retaxationen zurückfordern, die sich im Nachhinein als unbegründet erwiesen – ein klarer Hinweis darauf, dass das System systematisch Fehler produziert und zulasten der Apotheken arbeitet. Noch gravierender sei jedoch die Dunkelziffer: Zahlreiche Apothekeninhaber verzichteten aus Zeit- und Kostengründen auf Einsprüche bei Bagatellbeträgen, wodurch die Kassen jährlich Einsparungen auf Kosten der Leistungserbringer erzielen – nicht durch Effizienz, sondern durch formale Strenge ohne medizinische Relevanz.
Kritik übt der AVWL auch an den hohen Verwaltungsausgaben der Krankenkassen. Während die Vor-Ort-Apotheken für ihre Beratung und Versorgung durchschnittlich weniger als zwei Prozent der Kassenbudgets erhielten, liege der Anteil der Verwaltungsausgaben bei über vier Prozent – eine auffällige Disproportionalität. Wenn Krankenkassen öffentlichkeitswirksam Betrugsfälle im Gesundheitswesen anprangerten, sollten sie laut AVWL gleichzeitig bereit sein, ihre eigenen Verwaltungspraktiken auf den Prüfstand zu stellen. Die inflationäre Ausweitung von Retaxationen auf Bagatellniveau sei dabei ein Paradebeispiel für Ressourcenverschwendung.
Der AVWL fordert deshalb eine klare politische Regelung: vollständige Absetzungen von Rechnungen aufgrund geringfügiger formaler Fehler müssten verboten werden. Darüber hinaus sei eine verbindliche Bagatellgrenze für Rechnungskorrekturen einzuführen, um sowohl den Aufwand bei Apotheken als auch die ineffizienten Verwaltungskosten auf Kassenseite einzudämmen. Ohne systemische Korrekturen drohe das Retaxwesen weiter zu einem Werkzeug zu verkommen, das primär zur Belastung von Leistungserbringern beiträgt – ohne erkennbaren Nutzen für Patienten oder Beitragszahler.
Was sich auf den ersten Blick wie ein banaler Einzelfall liest, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Symptom eines systemischen Problems mit weitreichenden Folgen. Die Retaxation über 3,21 Euro ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil sie mit einem höheren Porto verschickt wurde, sondern weil sie ein Schlaglicht auf die eigentliche Logik hinter diesen bürokratischen Routinen wirft: Effizienz und Verhältnismäßigkeit scheinen keine Rolle mehr zu spielen. Statt medizinischer Relevanz entscheiden heute administrative Formalien über Rückforderungen, die in der Summe zu erheblichen Belastungen für eine ohnehin unter Druck stehende Berufsgruppe führen.
Die Apotheken sind integraler Bestandteil der wohnortnahen Gesundheitsversorgung. Während sie tagtäglich Patienten beraten, Lieferengpässe managen und durch pharmazeutische Dienstleistungen Versorgungslücken schließen, kämpfen sie gleichzeitig gegen ein Abrechnungssystem, das sie misstrauisch beäugt und selbst kleinste Formfehler mit Sanktionen versieht. Das signalisiert nicht nur ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Leistungserbringern und Kostenträgern, sondern auch eine strukturelle Fehlentwicklung im Gesundheitswesen.
Besonders fatal: Die Kassen geben jährlich Milliarden für ihre eigene Verwaltung aus und rechtfertigen dies mit der Notwendigkeit von Kontrolle und Transparenz. Wenn jedoch die Kontrollmechanismen selbst ineffizient, teuer und inhaltlich fragwürdig sind, stellt sich unweigerlich die Frage nach der Legitimität dieses Apparats. Der Fall Hamm ist insofern exemplarisch – nicht, weil er außergewöhnlich ist, sondern weil er den Normalzustand abbildet. Es braucht politische Konsequenzen: Bagatellgrenzen, eine verpflichtende Prüfung der Verhältnismäßigkeit und ein neues Verständnis für die Rolle der Apotheken. Ohne solche Reformen droht das Vertrauen in das System zu erodieren – bei Apotheken wie bei Versicherten.
Zwischen Zurückhaltung und Verantwortung: Zusatzverkäufe in Apotheken auf dem Prüfstand
In vielen Apotheken zeigt sich ein ambivalentes Bild, wenn es um Zusatzverkäufe geht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insbesondere in der Offizin, stehen häufig vor der Herausforderung, beratende Empfehlungen zu rezeptfreien Produkten auszusprechen, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, Kundinnen und Kunden zu etwas überreden zu wollen. Diese Haltung ist weit verbreitet und basiert auf dem Selbstverständnis vieler Apotheken als neutrale, beratungsorientierte Gesundheitsdienstleister. Gleichzeitig birgt diese Zurückhaltung nicht nur wirtschaftliche, sondern auch pharmazeutische Risiken.
Ergänzende Empfehlungen zu Hauptarzneimitteln – etwa begleitende Hautpflege bei Cortisontherapie, Elektrolytlösungen bei Durchfallerkrankungen oder Vitaminpräparate zur Unterstützung bei erhöhtem Bedarf – sind häufig fachlich sinnvoll und medizinisch indiziert. Dennoch werden solche Hinweise in vielen Fällen unterlassen. Die Begründung lautet oft, man wolle nicht aufdringlich erscheinen oder als „Verkäufer“ wahrgenommen werden. Dabei wird jedoch übersehen, dass eine unvollständige Beratung im Einzelfall auch eine Unterlassung fachlicher Fürsorge bedeuten kann.
Apothekenbetreiberinnen und -betreiber stehen hier vor einem strukturellen Spannungsfeld. Einerseits müssen sie ihren Teams die Sicherheit geben, beratende Empfehlungen mit fachlicher Begründung auszusprechen, andererseits gilt es, klare Abgrenzungen zu kommerziell motiviertem Zusatzverkauf zu wahren. Der rechtliche Rahmen erlaubt es Apotheken, Zusatzverkäufe durchzuführen, solange sie sich an den Maßgaben der ordnungsgemäßen Beratung orientieren. Allerdings bleibt es die Pflicht der Betreiber, dafür zu sorgen, dass Empfehlungen stets patientenindividuell, indikationsbezogen und nachvollziehbar erfolgen – und nicht als pauschale Verkaufsstrategie.
Darüber hinaus stellt sich auch eine haftungsrechtliche Frage: Werden potenziell sinnvolle Hinweise unterlassen, kann im Einzelfall geprüft werden, ob die Beratung vollständig war. Apotheken müssen daher nicht nur betriebswirtschaftliche Interessen im Blick behalten, sondern auch haftungsrechtliche Aspekte. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Medikationsanalyse sowie die standardisierte Begleitung von Selbstmedikation.
Die Fort- und Weiterbildung der Teams spielt eine zentrale Rolle. Ziel muss es sein, Unsicherheiten in der Kommunikation abzubauen und ein sicheres, professionelles Auftreten im Kundengespräch zu ermöglichen. Dabei geht es nicht um Verkaufsrhetorik, sondern um souveräne pharmazeutische Beratung auf Augenhöhe. Führungskräfte sind gefordert, dies nicht nur durch Schulungen zu fördern, sondern auch durch eine Unternehmenskultur, die klare Werte im Umgang mit Zusatzempfehlungen definiert.
Für Apothekenbetreiber bedeutet dies auch, Prozesse und Zielsetzungen im Bereich Zusatzverkäufe transparent zu machen: Was wird empfohlen? In welchen Situationen? Und wie wird dokumentiert, was im Beratungsgespräch thematisiert wurde? Nur mit klaren Standards lässt sich vermeiden, dass Zusatzverkäufe entweder unterbleiben oder in unreflektierte Verkaufsstrategien abgleiten.
Der Umgang mit Zusatzverkäufen in Apotheken offenbart eine tiefergehende Verunsicherung im Spannungsfeld zwischen Beratung, Verantwortung und wirtschaftlicher Realität. Auf der einen Seite steht das berechtigte Bedürfnis vieler Apothekenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, ihre Neutralität zu wahren und Kundinnen sowie Kunden nicht unter Druck zu setzen. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass eine aus Angst unterlassene Empfehlung im Einzelfall eine verpasste Chance für die Therapiebegleitung – oder im schlimmsten Fall eine fahrlässige Unterlassung – sein kann.
Es geht dabei nicht um Verkaufszahlen, sondern um die Frage, wie weit der Anspruch an ganzheitliche Versorgung reicht. Wer Zusatzverkäufe per se mit Kommerz gleichsetzt, verkennt, dass viele Produkte außerhalb des Rezeptpflichtbereichs eine medizinisch relevante Ergänzung darstellen. Die pauschale Ablehnung solcher Empfehlungen zeugt eher von Unsicherheit als von Prinzipientreue.
Apothekenbetreiber sind deshalb gefordert, klare Strukturen zu schaffen. Es braucht Leitlinien, wie Zusatzverkäufe ethisch, fachlich und rechtlich korrekt gehandhabt werden sollen. Ebenso wichtig ist eine Unternehmenskultur, die Beratung nicht als Risiko, sondern als Kernkompetenz versteht – auch dann, wenn sie über das Rezept hinausgeht.
Der Schlüssel liegt in der Haltung: Zusatzverkäufe sind weder Selbstzweck noch Tabu, sondern Ausdruck einer verantwortungsvollen, bedarfsgerechten Begleitung von Patientinnen und Patienten. Wer diese Verantwortung bewusst und professionell übernimmt, stärkt nicht nur das Ansehen der eigenen Apotheke, sondern auch das Vertrauen in die gesamte Branche.
Entlassrezepte auch von Vertretungen gültig – Apotheken vor Retax geschützt
Entlassrezepte dürfen nicht nur von Fachärzten, sondern auch von deren Vertretungen sowie von Ärzten in Weiterbildung ausgestellt werden. Das stellt eine praxisrelevante Klarstellung für Apotheken dar, die bei Unsicherheiten über die formale Richtigkeit solcher Verordnungen bislang ein finanzielles Risiko fürchteten. Wie aus der geltenden Rahmenvertragsregelung hervorgeht, ist eine Verordnung im Entlassmanagement auch dann zulässig, wenn sie im Namen eines Facharztes durch eine Vertretung erfolgt. Die Lebenslange Arztnummer (LANR) des Weiterbilders darf in diesen Fällen angegeben sein – eine Retaxation durch die Krankenkasse ist nicht zu erwarten.
Laut § 2 Absatz 4 der Anlage 8 des Rahmenvertrags zwischen Krankenkassen und Apotheken reicht es aus, wenn ein Facharzt oder dessen Vertreter die Entlassverordnung ausstellt. Das umfasst ausdrücklich auch Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung. Apotheken erkennen diese Verordnungen etwa daran, dass der ausstellende Arzt als Assistenzarzt gekennzeichnet ist, zusätzlich die Klinik und deren Telefonnummer vermerkt sind und die Signatur mit dem Heilberufsausweis (HBA) des Weiterbildungsarztes erfolgt. Die verwendete LANR entspricht in diesen Fällen der des Weiterbilders, was laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband den formalen Anforderungen genügt.
Fehlt auf einem Entlassrezept die LANR und ist die Verordnung dennoch als solche eindeutig erkennbar, dürfen Apotheken diese nachträglich ergänzen – auch bei BtM- und T-Rezepten. Ist keine LANR auffindbar, darf laut geltender Praxis die Pseudonummer „444444400“ eingetragen werden. Problematisch wird es hingegen bei formalen Mängeln wie fehlender Facharztbezeichnung oder dem Einsatz von Aufklebern im Personalienfeld bei besonderen Verordnungen. Für Standardverordnungen stellt dies in der Regel keine Retax-Gefahr dar, bei BtM- oder T-Rezepten kann es hingegen zum Erstattungsverlust führen.
Für Apotheken bedeutet die Klarstellung eine spürbare Entlastung im Umgang mit Entlassrezepten, insbesondere angesichts der häufig kurzfristigen Organisation im Klinikalltag. Die Möglichkeit zur Korrektur vermeidbarer Formfehler senkt das Risiko für wirtschaftliche Verluste – sofern die übrigen formalen Mindestvorgaben erfüllt sind.
Die Regelungen zum Entlassmanagement zeigen, wie wichtig klare und praxistaugliche Vorgaben im Gesundheitswesen sind – nicht zuletzt für Apotheken, die für die Einhaltung formaler Anforderungen haften, aber auf die Vorarbeit anderer Leistungserbringer angewiesen sind. Dass nun auch Verordnungen durch Ärzte in Weiterbildung und Vertretungsärzte als rechtssicher gelten, schafft Rechtssicherheit, wo bislang Verunsicherung herrschte. Die Möglichkeit zur Nachbesserung von Rezeptangaben – selbst bei sensiblen BtM- oder T-Rezepten – ist ein notwendiger Ausgleich für strukturelle Unwägbarkeiten im Klinikbetrieb.
Gleichzeitig macht der Fall deutlich, wie fragil das Zusammenspiel im Entlassmanagement bleibt. Denn wenn kleine Formfehler potenziell hohe wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen, liegt die Verantwortung einseitig bei den Apotheken. Eine langfristige Lösung müsste daher nicht nur in klaren Rahmenverträgen liegen, sondern auch in einer stärkeren Haftungsverlagerung zu den verordnenden Stellen. Bis dahin bleibt es für Apotheken entscheidend, die aktuelle Rechtslage zu kennen – und dokumentierte Nachbesserungen korrekt umzusetzen.
Pflegehilfsmittelversorgung auf neuen Grundlagen – Apotheken müssen bis 14. Mai Vertrag beitreten
Zum 1. Juni 2025 treten neue vertragliche Regelungen für die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln zum Verbrauch durch Apotheken in Kraft. Hintergrund ist das Auslaufen des bisherigen Vertrages aus dem Jahr 2007. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband konnten sich trotz langwieriger Verhandlungen nicht auf eine gemeinsame Neufassung einigen, weshalb die Entscheidung durch eine Schiedsstelle herbeigeführt wurde.
Apotheken, die ihre Patientinnen und Patienten weiterhin mit Verbrauchshilfsmitteln wie Bettschutzeinlagen, Handschuhen oder Desinfektionsmitteln versorgen wollen, müssen dem neuen Vertrag zwingend beitreten. Der Beitritt muss elektronisch über den Online-Vertragsassistenten (OVP) mit N-Ident-Zugangsdaten erfolgen und spätestens bis zum 14. Mai 2025 abgeschlossen sein. Eine rückwirkende Teilnahme ist ausgeschlossen, ebenso wurde keine Übergangsfrist vorgesehen.
Für Versicherte, die bereits vor dem Stichtag durch eine Apotheke betreut wurden, bleibt die bisherige Genehmigung gültig. Anders verhält es sich bei Erstbelieferungen: Hier muss vor der Abgabe eine neue Genehmigung eingeholt werden – sofern die jeweilige Pflegekasse bereits ein elektronisches Kostenvoranschlagsverfahren bereitstellt.
Einige Änderungen betreffen die Dokumentationspflichten: Ab dem Leistungsmonat Juni 2025 entfällt die Verpflichtung zur monatlichen Übermittlung der Empfangsbestätigungen. Diese verbleiben in der Apotheke und müssen nur noch auf Anforderung in elektronischer Form vorgelegt werden.
Eine bedeutende Neuerung tritt zum 1. März 2026 in Kraft: Pflegekassen sind dann verpflichtet, Apotheken unverzüglich über einen Wechsel des Leistungserbringers oder den Wegfall der Versorgungsberechtigung zu informieren. Damit sollen wirtschaftliche Ausfälle durch unerwartete Beendigungen der Belieferung vermieden werden.
Die Abrechnung der Pflegehilfsmittel wird schrittweise digitalisiert. Ab dem 1. Juni können Apotheken diesen Übermittlungsweg bereits nutzen, verpflichtend wird er jedoch erst ab dem Abrechnungsmonat November. Die Umsetzung in den Warenwirtschaftssystemen erfolgt gestaffelt zwischen Juni und November.
Auch die Preise für Pflegehilfsmittel wurden angepasst. Vor allem häufig nachgefragte Produkte wie Einmalhandschuhe, Flächendesinfektionstücher oder FFP2-Masken wurden höher vergütet. Gleichzeitig erweitert sich der Katalog um weitere abgabefähige Artikel wie Schutzservietten oder Desinfektionstücher. Die Pflegekassen sind verpflichtet, Rechnungen binnen 30 Tagen nach Eingang zu begleichen, dürfen jedoch in dieser Frist Beträge absetzen. Apotheken haben sechs Monate Zeit, um gegen Kürzungen oder nachträgliche Beanstandungen Einspruch einzulegen.
Der neue Pflegehilfsmittelvertrag markiert einen klaren Einschnitt in der Versorgungspraxis vieler Apotheken. Besonders kritisch ist die fehlende Übergangsfrist: Wer nicht bis Mitte Mai aktiv wird, verliert ab Juni das Recht zur Versorgung – mit potenziell spürbaren wirtschaftlichen Folgen für viele Betriebe. Der digitale Umbau der Abrechnung sowie die geänderten Nachweispflichten deuten zwar auf eine Modernisierung der Prozesse hin, werden in der Anfangsphase jedoch für Umstellungsprobleme sorgen.
Positiv zu bewerten ist die Verpflichtung der Pflegekassen, Apotheken künftig über Leistungswechsel zu informieren. Dies war in der Vergangenheit ein häufiges Ärgernis, das nicht selten zu unbemerkten Lieferausfällen und Retaxationen führte. Dass der Vertrag bis Ende 2027 festgeschrieben ist, bietet eine gewisse Planbarkeit – vorausgesetzt, Apotheken kennen und erfüllen die neuen Anforderungen rechtzeitig. Ein strukturiertes Informations- und Umsetzungsmanagement auf Seiten der Betriebe ist nun unerlässlich, um Versorgungslücken und wirtschaftliche Nachteile zu vermeiden.
Packungsfixum rauf, Bürokratie runter? Was der Koalitionsvertrag Apotheken wirklich bringt
Die neue Bundesregierung plant eine Anhebung des Packungsfixums von derzeit 8,35 Euro auf künftig 9,50 Euro – in Regionen mit unterdurchschnittlicher Versorgungsdichte könnten sogar bis zu 11 Euro möglich sein. Das geht aus dem finalen Koalitionsvertrag hervor, der auf den Ergebnissen der AG Gesundheit während der Verhandlungen basiert. Doch während politische Entscheidungsträger von einem Signal der Wertschätzung sprechen, regt sich in der Apothekerschaft Ernüchterung: Reicht dieser Schritt wirklich aus, um die wirtschaftliche Lage vieler Betriebe spürbar zu verbessern?
Tatsächlich wird die geplante Erhöhung von vielen Apothekeninhabern als überfällig bewertet, doch der Nachholbedarf ist gewaltig. Seit der letzten Anpassung im Jahr 2013 sind die Betriebskosten massiv gestiegen – allein durch Inflation, gestiegene Löhne und neue gesetzliche Anforderungen. Die geplanten 1,15 Euro mehr pro verschreibungspflichtigem Arzneimittel gleichen allenfalls einen Bruchteil dieser Mehrbelastungen aus. Hinzu kommt: Die regional differenzierte Staffelung des Fixums wirft neue Fragen auf. Wer entscheidet, wo die Grenze zwischen unterversorgt und regulär verläuft? Welche Kriterien werden angesetzt und wie schnell erfolgt die Umsetzung?
Auch in anderen Punkten enthält der Koalitionsvertrag wichtige Ankündigungen: So sollen Apotheken bei Investitionen durch eine erleichterte Abschreibung gestärkt werden. Geplant ist eine zeitlich begrenzte Sonderabschreibungsmöglichkeit auf digitalisierungsbezogene Investitionen, die es den Betrieben ermöglichen soll, schneller steuerliche Vorteile zu nutzen. Gleichzeitig sollen bürokratische Prozesse durch gezielte Gesetzesanpassungen entschlackt werden – etwa bei der Rezeptprüfung, Nachweisführung und Dokumentation.
Ob diese Maßnahmen reichen, um den Investitionsstau aufzulösen, der sich in zahlreichen Apotheken in den letzten Jahren aufgebaut hat, bleibt jedoch unklar. Viele Betriebe scheuen aktuell notwendige Modernisierungen – sei es beim Kommissionierautomaten, der EDV oder der baulichen Infrastruktur – weil sich die Investitionen unter dem derzeitigen wirtschaftlichen Druck kaum amortisieren lassen. Die angekündigten Entlastungen könnten hier erste Impulse setzen, brauchen jedoch zügige gesetzliche Konkretisierung, damit sie wirken.
Während die Koalition in ihrem Vertrag die Apotheken wieder als „unverzichtbare Säule der wohnortnahen Versorgung“ bezeichnet, mahnt die Realität zur Eile: Wenn wirtschaftliche Spielräume fehlen, Bürokratie lähmt und die Perspektive unklar bleibt, droht in den kommenden Jahren eine weitere Ausdünnung der Apothekenlandschaft – insbesondere in strukturschwachen Regionen.
Die Erhöhung des Packungsfixums klingt auf dem Papier nach einer Entlastung – doch sie greift zu kurz. Angesichts einer mehr als zehnjährigen Stagnation und stark gestiegener Kosten ist ein Zuschlag von 1,15 Euro kein echter Aufbruch, sondern bestenfalls Schadensbegrenzung. Wer in Berlin von 11 Euro in unterversorgten Regionen spricht, muss auch erklären, wie diese Zuschläge definiert, beantragt und umgesetzt werden sollen – sonst bleibt es beim Ankündigungscharakter.
Noch wichtiger ist jedoch der Blick auf die angekündigten Maßnahmen zur Entbürokratisierung und Investitionsförderung. Gerade kleinere Apotheken brauchen konkrete Anreize und Rechtssicherheit, um dringend notwendige Modernisierungen zu wagen. Die Erfahrung zeigt: Nur wenn solche Vorhaben schnell, unbürokratisch und mit klarer Wirkung umgesetzt werden, entfalten sie auch ihren gewünschten Effekt.
Die Politik steht nun in der Verantwortung, aus wohlklingenden Vertragspassagen belastbare Maßnahmen zu formen. Denn gute Absicht allein saniert keine Apotheke.
Chemiebranche warnt vor Eskalation – Industrie fordert Stabilität im transatlantischen Handel
Die deutsche Chemie- und Pharmabranche blickt mit wachsender Sorge auf die jüngsten Entwicklungen in der US-Handelspolitik. Nach mehreren unvorhersehbaren Wendungen der US-Administration rund um neue Zollmaßnahmen ruft der Verband der Chemischen Industrie (VCI) zur Deeskalation auf. In einer angespannten globalwirtschaftlichen Lage müsse einseitiger Druck durch Zölle dringend vermieden werden, um die Stabilität internationaler Lieferketten nicht weiter zu gefährden. Insbesondere die Versorgung mit pharmazeutischen Produkten dürfe nicht zum Spielball geopolitischer Auseinandersetzungen werden.
Die teilweise Aussetzung geplanter US-Zölle durch Präsident Donald Trump habe zwar kurzfristig für Entspannung gesorgt, sei aber nach Einschätzung des VCI lediglich ein vorübergehendes Signal ohne belastbare Perspektive. Die grundsätzliche Unsicherheit bleibe bestehen, da neue Sonderabgaben, etwa im Pharmabereich, weiterhin zur Debatte stünden. Die Branche fordert deshalb ein hohes Maß an politischer Umsicht, um wirtschaftliche Schäden zu begrenzen. Die Vereinigten Staaten seien trotz der aktuellen Spannungen ein zentraler Handelspartner für Deutschland – ein nachhaltiger Dialog müsse deshalb oberstes Ziel bleiben.
In Brüssel zeigte sich die Europäische Kommission ebenfalls zu einem Aussetzen von Gegenzöllen bereit, kündigte jedoch an, diesen Schritt auf 90 Tage zu begrenzen. Die EU wolle die Zeit nutzen, um Verhandlungen mit den USA zu führen, behielt sich aber explizit Gegenmaßnahmen vor, falls keine Einigung erzielt werde. Aus Sicht des VCI ist diese Linie nachvollziehbar, verlangt aber klare und koordinierte Kommunikation innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Deutschland solle aktiv dazu beitragen, dass Brüssel geschlossen auftritt und der Kommission ein starkes Mandat mitgibt.
Vor allem im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung warnt die Industrie vor den Folgen einer weiteren Eskalation. Produktionsketten in der pharmazeutischen Industrie sind komplex, grenzüberschreitend und in vielen Fällen auf einen reibungslosen Warenfluss angewiesen. Zusätzliche Zölle könnten nicht nur wirtschaftliche Verluste nach sich ziehen, sondern auch zu Engpässen bei essenziellen Medikamenten führen. Der VCI fordert daher, die Versorgungssicherheit in den Mittelpunkt der politischen Abwägungen zu stellen.
Die Warnung der Chemiebranche ist mehr als ein wirtschaftspolitisches Statement – sie ist ein Appell zur Vernunft in unübersichtlichen Zeiten. Während die internationale Handelspolitik zunehmend von kurzfristigen Machtkalkülen geprägt ist, gerät das Prinzip verlässlicher Partnerschaft ins Wanken. Gerade in kritischen Industriezweigen wie der Pharma- und Chemieproduktion, in denen es nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern auch um die öffentliche Gesundheit geht, ist ein solider und vertrauensvoller Austausch unerlässlich. Zölle als Mittel der politischen Machtdemonstration laufen Gefahr, langfristig genau das zu zerstören, was in Krisen dringend gebraucht wird: Kooperation, Planbarkeit und Versorgungssicherheit. Die EU ist nun gefordert, mit strategischer Ruhe zu handeln – und dabei nicht nur auf Worte, sondern auf handlungsfähige Strukturen zu setzen.
Kreatin im Fokus der Depressionsforschung – Nahrungsergänzung mit therapeutischem Potenzial?
Kreatin, bislang vor allem als leistungssteigerndes Supplement im Sport etabliert, rückt zunehmend in den Fokus der medizinischen Forschung. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass der körpereigene Energieträger über seine muskelphysiologischen Effekte hinaus eine Rolle in der Behandlung depressiver Störungen spielen könnte. Dabei stehen vor allem die Auswirkungen von Kreatin-Monohydrat (KMH) auf den Energiestoffwechsel im Gehirn und dessen Zusammenhang mit der Psyche im Zentrum des Interesses.
Mehrere klinische Studien zeigen, dass die zusätzliche Einnahme von Kreatin eine antidepressive Wirkung entfalten kann – insbesondere in Kombination mit kognitiver Verhaltenstherapie oder serotonerg wirkenden Antidepressiva. In Versuchsreihen, in denen Patientinnen und Patienten über mehrere Wochen täglich fünf Gramm KMH erhielten, wurde eine signifikante Verbesserung der depressiven Symptomatik dokumentiert. Besonders auffällig war dabei ein beschleunigter Wirkungseintritt der medikamentösen Therapie, was auf eine mögliche synergistische Wirkung hindeutet.
Ursächlich vermuten Forschende eine Verbesserung des zellulären Energiestoffwechsels im präfrontalen Kortex, einem Hirnareal, das für Emotionsverarbeitung und Entscheidungsfindung zuständig ist. Bereits zuvor war bekannt, dass bei depressiven Menschen die Kreatinkonzentration in dieser Region tendenziell niedriger ist. Kreatin könnte demnach nicht nur energetisch ausgleichend wirken, sondern auch neuroprotektive Eigenschaften besitzen. Darüber hinaus stehen mögliche Einflüsse auf NMDA- und Serotonin-Rezeptoren im Raum, die ebenfalls als Ansatzpunkte klassischer Antidepressiva bekannt sind.
Die Substanz gilt in empfohlenen Dosierungen als gut verträglich. Gelegentlich berichtete Nebenwirkungen wie Verdauungsbeschwerden oder eine temporäre Gewichtszunahme gelten als mild und reversibel. Dosen bis fünf Gramm täglich werden von Fachgesellschaften für gesunde Erwachsene als unbedenklich eingestuft. Menschen mit eingeschränkter Nierenfunktion sollten jedoch auf eine Einnahme verzichten, da mögliche Langzeitfolgen in dieser Risikogruppe nicht abschließend geklärt sind.
Während Kreatin bislang überwiegend in der Sporternährung Anwendung findet, könnten sich mit wachsender Evidenz neue Perspektiven für den Einsatz im medizinischen Bereich ergeben. Besonders für Betroffene, bei denen klassische Therapien nicht ausreichend wirken, stellt die Substanz möglicherweise eine ergänzende Behandlungsoption dar. Noch sind jedoch umfassendere Studien erforderlich, um eine dauerhafte Integration in Therapieempfehlungen zu rechtfertigen. Die bisher vorliegenden Ergebnisse liefern zwar Hinweise auf eine therapeutische Relevanz, lassen aber viele Fragen zur Langzeitwirkung und genauen Wirkmechanismen offen.
Die Hinweise auf einen antidepressiven Nutzen von Kreatin sind ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie eine Substanz mit ursprünglich sportmedizinischem Hintergrund in einem völlig neuen therapeutischen Licht erscheint. Dabei wäre es verfrüht, von einem Durchbruch in der Depressionsbehandlung zu sprechen. Vielmehr zeigt sich hier das Potenzial einer multimodalen Therapieergänzung, die nicht in Konkurrenz zu etablierten Methoden steht, sondern diese möglicherweise sinnvoll ergänzt.
Besonders relevant ist der Aspekt der Zugänglichkeit: Kreatin ist kostengünstig, weit verbreitet und in der Regel gut verträglich. In einer Zeit, in der psychische Erkrankungen zunehmen und viele Betroffene lange auf eine wirksame Behandlung warten müssen, ist jede wissenschaftlich fundierte Option von Bedeutung. Dennoch darf der Enthusiasmus nicht den Blick für die nötige wissenschaftliche Sorgfalt verstellen. Es braucht langfristige, groß angelegte Studien, die Sicherheit und Wirksamkeit klar belegen. Erst dann kann über eine gezielte Empfehlung im medizinischen Alltag nachgedacht werden.
Für Apotheken ergibt sich daraus eine anspruchsvolle Rolle: Als Schnittstelle zwischen Selbstmedikation und professioneller Versorgung sind sie gefordert, aufzuklären, zu beraten – und gegebenenfalls auch zur Vorsicht zu mahnen. Kreatin mag ein Baustein auf dem Weg zu einer individualisierten Depressionsbehandlung sein. Doch dieser Weg ist noch lang.
Vitamine auf Vorrat? Warum Nahrungsergänzungsmittel für Kinder gut überlegt sein müssen
Immer mehr Eltern greifen in der Hoffnung auf eine bessere Gesundheit ihrer Kinder zu Nahrungsergänzungsmitteln. Besonders in den Wintermonaten, wenn Infekte zunehmen, steigt die Nachfrage nach Vitaminpräparaten, Mineralstoffen und pflanzlichen Immunboostern. Auch das schlechte Essverhalten vieler Kinder, etwa die Ablehnung von Gemüse oder Obst, trägt zur wachsenden Beliebtheit solcher Produkte bei. Doch Fachleute warnen vor einem unkritischen Einsatz.
Kinder, die sich ausgewogen ernähren, benötigen in der Regel keine zusätzlichen Präparate, betonen Ernährungsexperten. Eine Überversorgung mit bestimmten Vitaminen – etwa fettlöslichen wie A, D, E und K – kann sogar schädlich sein. Auch die Stiftung Warentest und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) mahnen zur Vorsicht: Viele der frei verkäuflichen Produkte seien überdosiert oder enthielten problematische Zusatzstoffe, die für den kindlichen Organismus ungeeignet seien.
Besonders kritisch wird die Selbstmedikation ohne ärztlichen Rat gesehen. Eltern sollten nicht aus reiner Vorsorge handeln, sondern nur dann supplementieren, wenn ein tatsächlicher Mangel besteht – etwa bei nachgewiesenem Vitamin-D-Defizit oder Eisenmangel. Auch das Robert Koch-Institut verweist darauf, dass gesunde Kinder mit einer normalen Mischkost ausreichend versorgt sind. Ausnahmen gelten lediglich für spezielle Risikogruppen, etwa bei bestimmten Erkrankungen, veganer Ernährung oder Frühgeburtlichkeit.
Die Werbung für Nahrungsergänzungsmittel erweckt oft den Eindruck, dass sie einen aktiven Beitrag zur Krankheitsprävention leisten könnten. Doch wissenschaftliche Belege für einen signifikanten Nutzen bei gesunden Kindern fehlen weitgehend. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat zahlreiche gesundheitsbezogene Angaben von Herstellern bereits zurückgewiesen. Dennoch bleibt der Markt für Kindervitamine lukrativ – eine Entwicklung, die nicht nur Apotheken, sondern auch Drogerien und Onlineplattformen bedienen.
Eltern stehen damit vor einem Dilemma: Sie möchten das Beste für ihr Kind, bewegen sich aber in einem undurchsichtigen Markt mit widersprüchlichen Botschaften. Umso wichtiger ist die individuelle Beratung durch Fachpersonal – sei es durch Kinderärzte, Apotheker oder qualifizierte Ernährungsberater. Eine gezielte Aufklärung kann helfen, Überversorgung zu vermeiden und echte Bedarfe zu erkennen.
Die gut gemeinte Geste, dem Kind mit Vitaminen und Mineralstoffen etwas Gutes zu tun, wird schnell zum Balanceakt zwischen Fürsorge und Fehlsteuerung. Eltern handeln oft aus Sorge, nicht genug für die Gesundheit ihres Nachwuchses zu tun – ein nachvollziehbarer Impuls in einer Zeit, in der Ernährung, Immunität und Leistung eng verknüpft erscheinen. Doch gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.
Die Nahrungsergänzungsmittelindustrie nutzt diese Ängste geschickt. Bunte Verpackungen, kindgerechte Formen und Versprechen von mehr Abwehrkraft oder Konzentration verfehlen ihre Wirkung selten. Was im Supermarktregal harmlos aussieht, kann jedoch in der Summe problematisch werden – insbesondere, wenn mehrere Präparate kombiniert oder über einen längeren Zeitraum eingenommen werden.
Statt auf Kapseln und Gummibärchen mit Multivitaminwirkung zu setzen, sollte der Fokus auf einer langfristigen Veränderung des Essverhaltens liegen. Kinder lernen über Vorbilder, Wiederholungen und positive Erfahrungen. Wer Gemüse nicht auf dem Teller, sondern nur in der Tablette serviert, verpasst eine zentrale Erziehungsaufgabe.
Der Ruf nach mehr Orientierung ist berechtigt. Neben einer besseren Kennzeichnung und strengeren regulatorischen Vorgaben braucht es vor allem eines: mehr Aufklärung. Damit Gesundheit nicht zur Ware wird – und elterliche Sorge nicht zum Geschäft.
Von Engin Günder, Fachjournalist
Für Apothekenbetreiber bedeutet dies auch, Prozesse und Zielsetzungen im Bereich Zusatzverkäufe transparent zu machen: Was wird empfohlen? In welchen Situationen? Und wie wird dokumentiert, was im Beratungsgespräch thematisiert wurde? Nur mit klaren Standards lässt sich vermeiden, dass Zusatzverkäufe entweder unterbleiben oder in unreflektierte Verkaufsstrategien abgleiten.
Der Umgang mit Zusatzverkäufen in Apotheken offenbart eine tiefergehende Verunsicherung im Spannungsfeld zwischen Beratung, Verantwortung und wirtschaftlicher Realität. Auf der einen Seite steht das berechtigte Bedürfnis vieler Apothekenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, ihre Neutralität zu wahren und Kundinnen sowie Kunden nicht unter Druck zu setzen. Auf der anderen Seite zeigt sich, dass eine aus Angst unterlassene Empfehlung im Einzelfall eine verpasste Chance für die Therapiebegleitung – oder im schlimmsten Fall eine fahrlässige Unterlassung – sein kann.
Es geht dabei nicht um Verkaufszahlen, sondern um die Frage, wie weit der Anspruch an ganzheitliche Versorgung reicht. Wer Zusatzverkäufe per se mit Kommerz gleichsetzt, verkennt, dass viele Produkte außerhalb des Rezeptpflichtbereichs eine medizinisch relevante Ergänzung darstellen. Die pauschale Ablehnung solcher Empfehlungen zeugt eher von Unsicherheit als von Prinzipientreue.
Apothekenbetreiber sind deshalb gefordert, klare Strukturen zu schaffen. Es braucht Leitlinien, wie Zusatzverkäufe ethisch, fachlich und rechtlich korrekt gehandhabt werden sollen. Ebenso wichtig ist eine Unternehmenskultur, die Beratung nicht als Risiko, sondern als Kernkompetenz versteht – auch dann, wenn sie über das Rezept hinausgeht.
Der Schlüssel liegt in der Haltung: Zusatzverkäufe sind weder Selbstzweck noch Tabu, sondern Ausdruck einer verantwortungsvollen, bedarfsgerechten Begleitung von Patientinnen und Patienten. Wer diese Verantwortung bewusst und professionell übernimmt, stärkt nicht nur das Ansehen der eigenen Apotheke, sondern auch das Vertrauen in die gesamte Branche.
Entlassrezepte auch von Vertretungen gültig – Apotheken vor Retax geschützt
Entlassrezepte dürfen nicht nur von Fachärzten, sondern auch von deren Vertretungen sowie von Ärzten in Weiterbildung ausgestellt werden. Das stellt eine praxisrelevante Klarstellung für Apotheken dar, die bei Unsicherheiten über die formale Richtigkeit solcher Verordnungen bislang ein finanzielles Risiko fürchteten. Wie aus der geltenden Rahmenvertragsregelung hervorgeht, ist eine Verordnung im Entlassmanagement auch dann zulässig, wenn sie im Namen eines Facharztes durch eine Vertretung erfolgt. Die Lebenslange Arztnummer (LANR) des Weiterbilders darf in diesen Fällen angegeben sein – eine Retaxation durch die Krankenkasse ist nicht zu erwarten.
Laut § 2 Absatz 4 der Anlage 8 des Rahmenvertrags zwischen Krankenkassen und Apotheken reicht es aus, wenn ein Facharzt oder dessen Vertreter die Entlassverordnung ausstellt. Das umfasst ausdrücklich auch Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung. Apotheken erkennen diese Verordnungen etwa daran, dass der ausstellende Arzt als Assistenzarzt gekennzeichnet ist, zusätzlich die Klinik und deren Telefonnummer vermerkt sind und die Signatur mit dem Heilberufsausweis (HBA) des Weiterbildungsarztes erfolgt. Die verwendete LANR entspricht in diesen Fällen der des Weiterbilders, was laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband den formalen Anforderungen genügt.
Fehlt auf einem Entlassrezept die LANR und ist die Verordnung dennoch als solche eindeutig erkennbar, dürfen Apotheken diese nachträglich ergänzen – auch bei BtM- und T-Rezepten. Ist keine LANR auffindbar, darf laut geltender Praxis die Pseudonummer „444444400“ eingetragen werden. Problematisch wird es hingegen bei formalen Mängeln wie fehlender Facharztbezeichnung oder dem Einsatz von Aufklebern im Personalienfeld bei besonderen Verordnungen. Für Standardverordnungen stellt dies in der Regel keine Retax-Gefahr dar, bei BtM- oder T-Rezepten kann es hingegen zum Erstattungsverlust führen.
Für Apotheken bedeutet die Klarstellung eine spürbare Entlastung im Umgang mit Entlassrezepten, insbesondere angesichts der häufig kurzfristigen Organisation im Klinikalltag. Die Möglichkeit zur Korrektur vermeidbarer Formfehler senkt das Risiko für wirtschaftliche Verluste – sofern die übrigen formalen Mindestvorgaben erfüllt sind.
Die Regelungen zum Entlassmanagement zeigen, wie wichtig klare und praxistaugliche Vorgaben im Gesundheitswesen sind – nicht zuletzt für Apotheken, die für die Einhaltung formaler Anforderungen haften, aber auf die Vorarbeit anderer Leistungserbringer angewiesen sind. Dass nun auch Verordnungen durch Ärzte in Weiterbildung und Vertretungsärzte als rechtssicher gelten, schafft Rechtssicherheit, wo bislang Verunsicherung herrschte. Die Möglichkeit zur Nachbesserung von Rezeptangaben – selbst bei sensiblen BtM- oder T-Rezepten – ist ein notwendiger Ausgleich für strukturelle Unwägbarkeiten im Klinikbetrieb.
Gleichzeitig macht der Fall deutlich, wie fragil das Zusammenspiel im Entlassmanagement bleibt. Denn wenn kleine Formfehler potenziell hohe wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen, liegt die Verantwortung einseitig bei den Apotheken. Eine langfristige Lösung müsste daher nicht nur in klaren Rahmenverträgen liegen, sondern auch in einer stärkeren Haftungsverlagerung zu den verordnenden Stellen. Bis dahin bleibt es für Apotheken entscheidend, die aktuelle Rechtslage zu kennen – und dokumentierte Nachbesserungen korrekt umzusetzen.
Pflegehilfsmittelversorgung auf neuen Grundlagen – Apotheken müssen bis 14. Mai Vertrag beitreten
Zum 1. Juni 2025 treten neue vertragliche Regelungen für die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln zum Verbrauch durch Apotheken in Kraft. Hintergrund ist das Auslaufen des bisherigen Vertrages aus dem Jahr 2007. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband konnten sich trotz langwieriger Verhandlungen nicht auf eine gemeinsame Neufassung einigen, weshalb die Entscheidung durch eine Schiedsstelle herbeigeführt wurde.
Apotheken, die ihre Patientinnen und Patienten weiterhin mit Verbrauchshilfsmitteln wie Bettschutzeinlagen, Handschuhen oder Desinfektionsmitteln versorgen wollen, müssen dem neuen Vertrag zwingend beitreten. Der Beitritt muss elektronisch über den Online-Vertragsassistenten (OVP) mit N-Ident-Zugangsdaten erfolgen und spätestens bis zum 14. Mai 2025 abgeschlossen sein. Eine rückwirkende Teilnahme ist ausgeschlossen, ebenso wurde keine Übergangsfrist vorgesehen.
Für Versicherte, die bereits vor dem Stichtag durch eine Apotheke betreut wurden, bleibt die bisherige Genehmigung gültig. Anders verhält es sich bei Erstbelieferungen: Hier muss vor der Abgabe eine neue Genehmigung eingeholt werden – sofern die jeweilige Pflegekasse bereits ein elektronisches Kostenvoranschlagsverfahren bereitstellt.
Einige Änderungen betreffen die Dokumentationspflichten: Ab dem Leistungsmonat Juni 2025 entfällt die Verpflichtung zur monatlichen Übermittlung der Empfangsbestätigungen. Diese verbleiben in der Apotheke und müssen nur noch auf Anforderung in elektronischer Form vorgelegt werden.
Eine bedeutende Neuerung tritt zum 1. März 2026 in Kraft: Pflegekassen sind dann verpflichtet, Apotheken unverzüglich über einen Wechsel des Leistungserbringers oder den Wegfall der Versorgungsberechtigung zu informieren. Damit sollen wirtschaftliche Ausfälle durch unerwartete Beendigungen der Belieferung vermieden werden.
Die Abrechnung der Pflegehilfsmittel wird schrittweise digitalisiert. Ab dem 1. Juni können Apotheken diesen Übermittlungsweg bereits nutzen, verpflichtend wird er jedoch erst ab dem Abrechnungsmonat November. Die Umsetzung in den Warenwirtschaftssystemen erfolgt gestaffelt zwischen Juni und November.
Auch die Preise für Pflegehilfsmittel wurden angepasst. Vor allem häufig nachgefragte Produkte wie Einmalhandschuhe, Flächendesinfektionstücher oder FFP2-Masken wurden höher vergütet. Gleichzeitig erweitert sich der Katalog um weitere abgabefähige Artikel wie Schutzservietten oder Desinfektionstücher. Die Pflegekassen sind verpflichtet, Rechnungen binnen 30 Tagen nach Eingang zu begleichen, dürfen jedoch in dieser Frist Beträge absetzen. Apotheken haben sechs Monate Zeit, um gegen Kürzungen oder nachträgliche Beanstandungen Einspruch einzulegen.
Der neue Pflegehilfsmittelvertrag markiert einen klaren Einschnitt in der Versorgungspraxis vieler Apotheken. Besonders kritisch ist die fehlende Übergangsfrist: Wer nicht bis Mitte Mai aktiv wird, verliert ab Juni das Recht zur Versorgung – mit potenziell spürbaren wirtschaftlichen Folgen für viele Betriebe. Der digitale Umbau der Abrechnung sowie die geänderten Nachweispflichten deuten zwar auf eine Modernisierung der Prozesse hin, werden in der Anfangsphase jedoch für Umstellungsprobleme sorgen.
Positiv zu bewerten ist die Verpflichtung der Pflegekassen, Apotheken künftig über Leistungswechsel zu informieren. Dies war in der Vergangenheit ein häufiges Ärgernis, das nicht selten zu unbemerkten Lieferausfällen und Retaxationen führte. Dass der Vertrag bis Ende 2027 festgeschrieben ist, bietet eine gewisse Planbarkeit – vorausgesetzt, Apotheken kennen und erfüllen die neuen Anforderungen rechtzeitig. Ein strukturiertes Informations- und Umsetzungsmanagement auf Seiten der Betriebe ist nun unerlässlich, um Versorgungslücken und wirtschaftliche Nachteile zu vermeiden.
Packungsfixum rauf, Bürokratie runter? Was der Koalitionsvertrag Apotheken wirklich bringt
Die neue Bundesregierung plant eine Anhebung des Packungsfixums von derzeit 8,35 Euro auf künftig 9,50 Euro – in Regionen mit unterdurchschnittlicher Versorgungsdichte könnten sogar bis zu 11 Euro möglich sein. Das geht aus dem finalen Koalitionsvertrag hervor, der auf den Ergebnissen der AG Gesundheit während der Verhandlungen basiert. Doch während politische Entscheidungsträger von einem Signal der Wertschätzung sprechen, regt sich in der Apothekerschaft Ernüchterung: Reicht dieser Schritt wirklich aus, um die wirtschaftliche Lage vieler Betriebe spürbar zu verbessern?
Tatsächlich wird die geplante Erhöhung von vielen Apothekeninhabern als überfällig bewertet, doch der Nachholbedarf ist gewaltig. Seit der letzten Anpassung im Jahr 2013 sind die Betriebskosten massiv gestiegen – allein durch Inflation, gestiegene Löhne und neue gesetzliche Anforderungen. Die geplanten 1,15 Euro mehr pro verschreibungspflichtigem Arzneimittel gleichen allenfalls einen Bruchteil dieser Mehrbelastungen aus. Hinzu kommt: Die regional differenzierte Staffelung des Fixums wirft neue Fragen auf. Wer entscheidet, wo die Grenze zwischen unterversorgt und regulär verläuft? Welche Kriterien werden angesetzt und wie schnell erfolgt die Umsetzung?
Auch in anderen Punkten enthält der Koalitionsvertrag wichtige Ankündigungen: So sollen Apotheken bei Investitionen durch eine erleichterte Abschreibung gestärkt werden. Geplant ist eine zeitlich begrenzte Sonderabschreibungsmöglichkeit auf digitalisierungsbezogene Investitionen, die es den Betrieben ermöglichen soll, schneller steuerliche Vorteile zu nutzen. Gleichzeitig sollen bürokratische Prozesse durch gezielte Gesetzesanpassungen entschlackt werden – etwa bei der Rezeptprüfung, Nachweisführung und Dokumentation.
Ob diese Maßnahmen reichen, um den Investitionsstau aufzulösen, der sich in zahlreichen Apotheken in den letzten Jahren aufgebaut hat, bleibt jedoch unklar. Viele Betriebe scheuen aktuell notwendige Modernisierungen – sei es beim Kommissionierautomaten, der EDV oder der baulichen Infrastruktur – weil sich die Investitionen unter dem derzeitigen wirtschaftlichen Druck kaum amortisieren lassen. Die angekündigten Entlastungen könnten hier erste Impulse setzen, brauchen jedoch zügige gesetzliche Konkretisierung, damit sie wirken.
Während die Koalition in ihrem Vertrag die Apotheken wieder als „unverzichtbare Säule der wohnortnahen Versorgung“ bezeichnet, mahnt die Realität zur Eile: Wenn wirtschaftliche Spielräume fehlen, Bürokratie lähmt und die Perspektive unklar bleibt, droht in den kommenden Jahren eine weitere Ausdünnung der Apothekenlandschaft – insbesondere in strukturschwachen Regionen.
Die Erhöhung des Packungsfixums klingt auf dem Papier nach einer Entlastung – doch sie greift zu kurz. Angesichts einer mehr als zehnjährigen Stagnation und stark gestiegener Kosten ist ein Zuschlag von 1,15 Euro kein echter Aufbruch, sondern bestenfalls Schadensbegrenzung. Wer in Berlin von 11 Euro in unterversorgten Regionen spricht, muss auch erklären, wie diese Zuschläge definiert, beantragt und umgesetzt werden sollen – sonst bleibt es beim Ankündigungscharakter.
Noch wichtiger ist jedoch der Blick auf die angekündigten Maßnahmen zur Entbürokratisierung und Investitionsförderung. Gerade kleinere Apotheken brauchen konkrete Anreize und Rechtssicherheit, um dringend notwendige Modernisierungen zu wagen. Die Erfahrung zeigt: Nur wenn solche Vorhaben schnell, unbürokratisch und mit klarer Wirkung umgesetzt werden, entfalten sie auch ihren gewünschten Effekt.
Die Politik steht nun in der Verantwortung, aus wohlklingenden Vertragspassagen belastbare Maßnahmen zu formen. Denn gute Absicht allein saniert keine Apotheke.
Chemiebranche warnt vor Eskalation – Industrie fordert Stabilität im transatlantischen Handel
Die deutsche Chemie- und Pharmabranche blickt mit wachsender Sorge auf die jüngsten Entwicklungen in der US-Handelspolitik. Nach mehreren unvorhersehbaren Wendungen der US-Administration rund um neue Zollmaßnahmen ruft der Verband der Chemischen Industrie (VCI) zur Deeskalation auf. In einer angespannten globalwirtschaftlichen Lage müsse einseitiger Druck durch Zölle dringend vermieden werden, um die Stabilität internationaler Lieferketten nicht weiter zu gefährden. Insbesondere die Versorgung mit pharmazeutischen Produkten dürfe nicht zum Spielball geopolitischer Auseinandersetzungen werden.
Die teilweise Aussetzung geplanter US-Zölle durch Präsident Joe Biden habe zwar kurzfristig für Entspannung gesorgt, sei aber nach Einschätzung des VCI lediglich ein vorübergehendes Signal ohne belastbare Perspektive. Die grundsätzliche Unsicherheit bleibe bestehen, da neue Sonderabgaben, etwa im Pharmabereich, weiterhin zur Debatte stünden. Die Branche fordert deshalb ein hohes Maß an politischer Umsicht, um wirtschaftliche Schäden zu begrenzen. Die Vereinigten Staaten seien trotz der aktuellen Spannungen ein zentraler Handelspartner für Deutschland – ein nachhaltiger Dialog müsse deshalb oberstes Ziel bleiben.
In Brüssel zeigte sich die Europäische Kommission ebenfalls zu einem Aussetzen von Gegenzöllen bereit, kündigte jedoch an, diesen Schritt auf 90 Tage zu begrenzen. Die EU wolle die Zeit nutzen, um Verhandlungen mit den USA zu führen, behielt sich aber explizit Gegenmaßnahmen vor, falls keine Einigung erzielt werde. Aus Sicht des VCI ist diese Linie nachvollziehbar, verlangt aber klare und koordinierte Kommunikation innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Deutschland solle aktiv dazu beitragen, dass Brüssel geschlossen auftritt und der Kommission ein starkes Mandat mitgibt.
Vor allem im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung warnt die Industrie vor den Folgen einer weiteren Eskalation. Produktionsketten in der pharmazeutischen Industrie sind komplex, grenzüberschreitend und in vielen Fällen auf einen reibungslosen Warenfluss angewiesen. Zusätzliche Zölle könnten nicht nur wirtschaftliche Verluste nach sich ziehen, sondern auch zu Engpässen bei essenziellen Medikamenten führen. Der VCI fordert daher, die Versorgungssicherheit in den Mittelpunkt der politischen Abwägungen zu stellen.
Die Warnung der Chemiebranche ist mehr als ein wirtschaftspolitisches Statement – sie ist ein Appell zur Vernunft in unübersichtlichen Zeiten. Während die internationale Handelspolitik zunehmend von kurzfristigen Machtkalkülen geprägt ist, gerät das Prinzip verlässlicher Partnerschaft ins Wanken. Gerade in kritischen Industriezweigen wie der Pharma- und Chemieproduktion, in denen es nicht nur um wirtschaftliche Interessen, sondern auch um die öffentliche Gesundheit geht, ist ein solider und vertrauensv