Versicherungsärger auf dem Rücken der Apotheken – Wenn Schadenbearbeitung zur Geduldsprobe wird
Die massive Zunahme von Beschwerden über verzögerte Schadenbearbeitung durch Versicherungsunternehmen betrifft auch Apothekenbetreiber unmittelbar. Während der aktuelle Jahresbericht des Versicherungsombudsmanns vor allem auf Kfz- und Rechtsschutzversicherungen fokussiert, zeigt sich in der Praxis, dass auch gewerbliche Versicherungsverhältnisse im Apothekenbereich nicht von den Problemen ausgenommen sind. Apotheker, die auf eine zügige Regulierung angewiesen sind, etwa bei Betriebsunterbrechungen, Einbruchdiebstahl oder IT-Schäden, geraten durch langsame Prozesse zunehmend in finanzielle und organisatorische Schwierigkeiten.
Kommt es etwa zu einem Wasserschaden im Rezepturraum oder zu einem Einbruch mit Lagerdiebstahl, kann jede Verzögerung bei der Regulierung unmittelbare Auswirkungen auf den laufenden Betrieb haben. Apotheken, die ohnehin unter wirtschaftlichem Druck stehen, sind dann gezwungen, nötige Sofortmaßnahmen wie Ersatzbeschaffung oder Sanierungsarbeiten auf eigenes Risiko vorzunehmen. Versicherer lassen sich in der Prüfung teils wochenlang Zeit oder verlangen wiederholt Unterlagen nach – oft verbunden mit unklaren Zwischenmitteilungen oder gar völliger Funkstille.
Die Schlichtungsstelle des Versicherungsombudsmanns meldet einen Anstieg von Beschwerden, bei denen die ausbleibende Reaktion der Versicherer selbst zum Hauptstreitpunkt wurde. In vielen Fällen kam es erst nach Androhung juristischer Schritte oder durch Einschaltung des Ombudsmanns zu einem Entgegenkommen. Diese Entwicklung deckt sich mit Erfahrungen vieler Versicherungsmakler, die von einem eklatanten Qualitätsverlust im Schadenmanagement berichten – auch im gewerblichen Bereich.
Apothekenbetreiber stehen dabei vor einem Dilemma: Einerseits sind sie auf funktionierende Policen angewiesen, die im Schadensfall ohne Reibungsverluste greifen. Andererseits erfordert die Durchsetzung berechtigter Ansprüche oft juristisches Wissen, Zeit und Geduld – Ressourcen, die im täglichen Betrieb meist knapp sind. Hinzu kommt die Unsicherheit, ob Leistungen überhaupt gewährt werden, wenn Begründungen von Ablehnungen für medizinisch oder betriebswirtschaftlich nicht versierte Personen kaum nachvollziehbar formuliert sind.
Auch im Bereich der Elektronikversicherung, etwa bei Schäden an Apothekenservern oder Warenwirtschaftssystemen, beklagen sich Betreiber über schleppende Abwicklung. In einer Branche, in der digitale Prozesse und Rezeptabrechnungen über IT-Systeme gesteuert werden, können derartige Verzögerungen existenzbedrohend werden. Kommen dann noch hohe Selbstbeteiligungen oder fehlende Transparenz über den Deckungsumfang hinzu, entsteht ein gefährlicher Unsicherheitsfaktor.
Fachkräftemangel und hohe Krankenstände werden von Versicherern als Erklärung für die schleppende Bearbeitung genannt. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte Versicherer zuletzt öffentlich zur Beschleunigung von Schadenprozessen gemahnt – auch im Hinblick auf die wachsende Zahl gewerblicher Versicherungsfälle.
Für Apothekenbetreiber ergibt sich daraus die klare Notwendigkeit, nicht nur auf eine günstige Prämiengestaltung zu achten, sondern insbesondere die Schadenpraxis und Kommunikationswege des Versicherers kritisch zu prüfen. Auch sollten Zuständigkeiten und Ansprechpartner im Vorfeld eindeutig geklärt sein, um im Ernstfall Zeitverlust zu vermeiden. Die Entwicklung unterstreicht zudem die Bedeutung regelmäßiger Versicherungsanalysen durch spezialisierte Berater, die die Bedürfnisse und Risiken im Apothekenalltag wirklich kennen.
Versicherungen sollen im Schadensfall entlasten – doch in vielen Fällen werden sie zur zusätzlichen Belastung. Für Apotheken, deren Betriebsfähigkeit von reibungslosen Abläufen abhängt, ist das ein unhaltbarer Zustand. Es genügt nicht, Policen im Regal liegen zu haben – was zählt, ist ihre Verlässlichkeit im Ernstfall. Die schleppende Bearbeitungspraxis vieler Gesellschaften droht, Apotheken in ohnehin angespannten Zeiten weiter zu destabilisieren. Versicherer, die Kommunikation als nachrangig betrachten, riskieren nicht nur Vertrauen, sondern auch das betriebliche Fortbestehen kleinerer Gesundheitsdienstleister. Wer Apotheken zukunftsfähig machen will, muss auch ihre Risiken ernst nehmen – und dazu gehört eine funktionierende Schadenregulierung ohne Umwege.
Boniverbot untergraben – Versandrabatte von DocMorris erneut im Visier der Aufsicht
Die Apothekerkammer Nordrhein geht erneut entschieden gegen den niederländischen Arzneimittelversender DocMorris vor. Im Mittelpunkt stehen zwei aktuelle Rabattaktionen, die aus Sicht der Kammer zentrale arzneimittelrechtliche Grundprinzipien verletzen. Insbesondere der sogenannte „Freundschafts-Vorteil“ sowie ein Bonus von bis zu 30 Euro für Privatrezepte rufen regulatorische Bedenken hervor und werfen erneut die Frage auf, ob die seit Jahren umstrittenen Ausnahmen für ausländische Versender noch zeitgemäß sind.
Der „Freundschafts-Vorteil“ sieht vor, dass Bestandskunden neue Kunden werben und dafür jeweils einen Gutschein in Höhe von 20 Euro erhalten. Dieser kann laut Werbung von DocMorris entweder zur Verrechnung mit der gesetzlichen Zuzahlung oder für andere Produkte im Sortiment eingesetzt werden. Die Apothekerkammer kritisiert diese Praxis als systemwidrig. Ein erheblicher Anteil der gesetzlich Versicherten sei ohnehin von der Zuzahlung befreit, sodass der wirtschaftliche Vorteil faktisch auf nicht verschreibungspflichtige Produkte ziele – insbesondere auf rezeptfreie Arzneimittel oder apothekenübliche Waren. Diese dürften laut Rechtsprechung jedoch nicht über Gutscheine rabattiert werden. Das Landgericht Freiburg hatte jüngst bekräftigt, dass eine solche Gutscheinpraxis rechtswidrig sei, da sie den heilmittelwerberechtlichen Rahmen sprenge.
Besonders schwer wiegt aus Sicht der Kammer die Intransparenz der Aktion. Kundinnen und Kunden könnten nicht ohne Weiteres erkennen, für welche Produkte der Gutschein tatsächlich gültig sei. Der Hinweis in der Werbung, dass bestimmte Einlösungen ausgeschlossen seien, wenn sie heilmittelwerberechtlich unzulässig wären, genüge nicht den Anforderungen des Transparenzgebots, wie es das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) fordert. Verbraucher würden dadurch in die Irre geführt. Die Werbewirkung der Aktion bleibe dennoch bestehen, während die rechtlichen Grenzen unklar blieben.
Auch der Gutschein für den werbenden Kunden stellt nach Ansicht der Kammer eine unzulässige Werbegabe gemäß § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) dar. Denn dieser sei nicht zweckgebunden und könne auch auf rezeptfreie Medikamente angerechnet werden. Die Kammer sieht darin eine gezielte Verkaufsförderung, die den rationalen, medizinisch indizierten Umgang mit Arzneimitteln untergrabe. Eine bewusste Verbrauchssteuerung sei bei Arzneimitteln jedoch ein zentrales öffentliches Anliegen. Wer durch Prämien den Konsum anheizt, gefährdet die Arzneimitteltherapiesicherheit und missachtet das Prinzip der Wirtschaftlichkeit in der Versorgung.
Neben dem Freundschaftsprogramm nimmt die Kammer auch eine Rabattaktion ins Visier, bei der Privatversicherte pro eingereichtem Rezept bis zu 30 Euro Bonus erhalten sollen. Auch dies sei eine produktbezogene Werbemaßnahme und verstoße gegen die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Eine pauschale Bewerbung verschreibungspflichtiger Arzneimittel unter dem Deckmantel des gesamten Sortiments könne nicht von den Werbebeschränkungen des HWG entkoppelt werden, so die Argumentation der Kammer. Vielmehr handele es sich um eine gezielte wirtschaftliche Anreizstruktur, die das ärztliche Verordnungsverhalten und die patientenbezogene Arzneimittelauswahl untergraben könne.
In diesem Zusammenhang stellt die Kammer die Gültigkeit des EuGH-Urteils von 2016 erneut zur Diskussion. Damals hatten die Luxemburger Richter entschieden, dass ausländische Versandapotheken nicht an die deutsche Arzneimittelpreisbindung gebunden seien, da sie sonst im grenzüberschreitenden Wettbewerb benachteiligt wären. Diese Einschätzung basierte auf den damaligen Marktgegebenheiten. Mit der Einführung des E-Rezepts und digitaler Übermittlungsverfahren wie Card-Link haben sich die Rahmenbedingungen jedoch grundlegend verändert. Aus Sicht der Kammer ist es nun möglich, gleiche Bedingungen für alle Marktteilnehmer herzustellen – unabhängig vom Sitz des Unternehmens. Damit falle auch das ursprüngliche Argument des EuGH, wonach ein Rabattverbot ausländische Anbieter strukturell benachteilige.
Rückhalt erhält die Kammer durch ein jüngst ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Februar 2025. In der Entscheidung (Az.: C-517/23) betont der EuGH die Pflicht der Mitgliedstaaten, Werbeformen zu untersagen, die zu einem übermäßigen oder unzweckmäßigen Arzneimittelkonsum führen. Gerade diese Tendenz sieht die Kammer in den aktuellen DocMorris-Kampagnen erfüllt. Gutscheine und Bonusaktionen vermittelten den Eindruck, Arzneimittel seien ein alltägliches Konsumgut, das sich in Rabattlogiken einfügt – ein gefährlicher Irrweg in einem Bereich, in dem gesundheitliche Notwendigkeit, ärztliche Verordnung und pharmazeutische Beratung im Mittelpunkt stehen müssten.
Mit der erneuten Abmahnung will die Apothekerkammer Nordrhein ein klares Zeichen setzen: Der Wettbewerb im Arzneimittelbereich dürfe nicht durch wirtschaftliche Lockangebote verzerrt werden, die gesetzliche Schranken umgehen und die Grundsätze der Gesundheitsversorgung in Deutschland aushöhlen. Die Kammer fordert eine konsequente Gleichbehandlung aller Anbieter – insbesondere in einem digitalen Marktumfeld, in dem physische Präsenz kein Wettbewerbsvorteil mehr ist. Der Gesetzgeber sei aufgefordert, diese regulatorischen Widersprüche zu beseitigen und die Integrität der Arzneimittelversorgung zu schützen.
Die Diskussion um das Boni-Verbot und die Rabattpraxis ausländischer Versandapotheken ist längst zu einem Symbol geworden – für die strukturelle Ohnmacht des nationalen Gesundheitsrechts im europäischen Binnenmarkt. Dass DocMorris auch im Jahr 2025 noch mit Prämien, Gutscheinen und Boni für rezeptpflichtige Arzneimittel werben kann, zeigt nicht etwa regulatorische Klugheit, sondern politische Nachlässigkeit und juristische Zögerlichkeit.
Während Vor-Ort-Apotheken unter strengen Preis- und Werberegeln arbeiten und jeden Formfehler mit Retaxation oder Disziplinarmaßnahmen bezahlen, agieren internationale Versandunternehmen weiterhin in einer Grauzone, die durch alte EuGH-Urteile legitimiert scheint. Dabei hat sich die Realität längst gewandelt: Das E-Rezept hat nicht nur den Bestellweg digitalisiert, sondern die Gleichwertigkeit der Marktteilnehmer faktisch hergestellt. Es gibt keinen vernünftigen Grund mehr, warum inländische Apotheken an Regeln gebunden sind, die andere bewusst umgehen dürfen.
Der Verweis der Kammer auf das neue EuGH-Urteil ist deshalb mehr als ein juristischer Hinweis – es ist ein Weckruf. Wenn Rabattaktionen zu einem übermäßigen Medikamentenkonsum führen können, dann wird aus einer handelsrechtlichen Frage eine gesundheitspolitische. Wer den Markt sich selbst überlässt, riskiert Fehlsteuerungen in der Versorgung. Gerade im sensiblen Bereich verschreibungspflichtiger Arzneimittel dürfen wirtschaftliche Anreize nicht über medizinische Notwendigkeiten gestellt werden.
DocMorris nutzt bewusst die Lücken, die das europäische Recht offenlässt, und setzt auf eine aggressive Marketingstrategie, die sich der Verantwortung entzieht. Die Politik darf dabei nicht weiter zusehen. Es geht nicht um Protektionismus für deutsche Apotheken, sondern um den Erhalt einer sicheren, transparenten und verantwortungsbewussten Arzneimittelversorgung. Wer diesen Anspruch aufgibt, öffnet Tür und Tor für eine Ökonomisierung, die letztlich auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten ausgetragen wird.
Telemedizin in der Notlage: Aachen testet Videosprechstunden im WC-Container
An der Uniklinik RWTH Aachen wird derzeit ein ungewöhnliches, aber zukunftsweisendes Projekt erprobt: Videosprechstunden in mobilen, ehemaligen WC-Kabinen. Die improvisierten Behandlungseinheiten sollen in Krisen- und Katastrophensituationen flexibel einsetzbar sein – insbesondere dort, wo herkömmliche medizinische Versorgung kurzfristig nicht mehr möglich ist. Finanziert wird das Projekt mit einer Fördersumme im siebenstelligen Bereich durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Die umgebauten Container sind mit Monitor, Kamera, Stromversorgung und einem sicheren Internetzugang ausgestattet. Sie ermöglichen medizinische Konsultationen per Videoschaltung, auch wenn Infrastruktur und Zugänglichkeit in der Umgebung eingeschränkt sind. Gedacht ist das System für Katastrophenlagen wie Hochwasser, Stromausfälle oder Flüchtlingsunterkünfte – aber auch für den ländlichen Raum, wo ärztliche Versorgung zunehmend ausdünnt.
Entwickelt wurde das Konzept in enger Zusammenarbeit mit Technikerteams und medizinischem Fachpersonal der RWTH Aachen. Ziel ist es, eine praxistaugliche, schnelle und robuste Lösung für telemedizinische Anwendungen bereitzustellen – dort, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Die abgeschirmten Kabinen sollen Intimsphäre gewährleisten und trotzdem so kostengünstig bleiben, dass eine flächendeckende Aufstellung im Ernstfall möglich wäre.
Die Projektverantwortlichen betonen, dass es sich nicht um ein Gimmick handelt, sondern um einen ernsthaften Beitrag zur Resilienz des Gesundheitssystems. Inzwischen laufen erste Tests unter realitätsnahen Bedingungen, etwa auf Klinikgeländen und in Randbereichen der Notfallversorgung.
Das Projekt ist Teil einer größeren Strategie des Bundes, digitale und telemedizinische Strukturen krisenfester zu machen. Der Bedarf ist unübersehbar, wie zuletzt auch die Pandemie und die Flutkatastrophe im Ahrtal gezeigt haben. Wie belastbar das Aachener Modell in der Fläche sein kann, bleibt abzuwarten – doch die Grundidee trifft einen Nerv.
Der erste Reflex mag Belustigung sein: Medizin im Klohäuschen? Doch das Projekt aus Aachen zeigt, wie ernsthaft und pragmatisch Innovation aussehen kann, wenn man Gesundheitsversorgung wirklich neu denkt. Nicht jeder Ort ist geeignet für ein Behandlungszimmer mit Wartebereich und Empfangstresen – aber jeder Mensch hat Anspruch auf medizinische Betreuung, auch in der Krise.
Telemedizin darf nicht auf hippe Start-ups in urbanen Lofts reduziert werden. Sie muss robust, mobil und einfach einsetzbar sein. Genau das versucht das Aachener Modell. Wenn dabei ehemalige WC-Kabinen zur medizinischen Kontaktstelle werden, ist das keine Panne, sondern ein Beispiel funktionaler Improvisation – und vielleicht ein kleiner, aber bedeutender Schritt in Richtung eines flexibleren Gesundheitssystems.
Kosmetik im Visier: Apotheken als Ziel von Diebstahlserien
In mehreren deutschen Städten registrieren Apotheken zunehmend Fälle von Diebstahl hochwertiger Kosmetikprodukte. Die Polizei ermittelt aktuell in zwei besonders auffälligen Fällen in Bonn und Taunusstein, bei denen gezielt apothekenexklusive Pflegeprodukte entwendet wurden. Die Täter gehen dabei systematisch und mit teils professionellen Methoden vor.
In Bonn-Poppelsdorf wird eine bislang unbekannte Frau verdächtigt, Anfang Januar Kosmetika im Wert von rund 500 Euro aus einer Apotheke entwendet zu haben. Die Tat wurde durch die Videoüberwachung der Apotheke dokumentiert. Die Frau soll diverse Produkte an sich genommen und das Geschäft anschließend verlassen haben, ohne zu bezahlen. Die Ermittlungen der Polizei dauern an. Die Fahndung nach der mutmaßlichen Täterin läuft, Hinweise aus der Bevölkerung werden geprüft.
Ein zweiter Fall ereignete sich in einer Apotheke im hessischen Taunusstein. Dort verschafften sich zwei Männer durch einen Trick Zugang zu einer sensiblen Verkaufssituation. Sie täuschten ein Beratungsgespräch vor, lenkten das Apothekenpersonal gezielt ab und entwendeten anschließend mehrere hochpreisige Kosmetikartikel. Die Täter hatten es laut Apothekenangaben auf bestimmte Markenprodukte wie Vichy Neovadiol abgesehen. Der Gesamtschaden liegt im vierstelligen Bereich. Auch hier ermittelt die Polizei und prüft, ob es sich um eine reisende Tätergruppe handelt.
Laut Branchenbeobachtungen mehren sich Berichte über gezielte Beutezüge auf Apotheken, bei denen Diebe bevorzugt apothekenexklusive Kosmetik ins Visier nehmen. Die Artikel sind aufgrund ihres Verkaufswerts, ihrer Beliebtheit und des freien Zugangs in der Offizin besonders attraktiv. Neben Einzeltätern treten auch immer wieder gut organisierte Gruppen in Erscheinung, die arbeitsteilig und unter Nutzung von Ablenkungsmanövern agieren. Die Vorfälle belasten die betroffenen Apotheken nicht nur wirtschaftlich, sondern sorgen auch für eine zunehmende Verunsicherung im Alltag.
Viele Betriebe reagieren mit technischen Nachrüstungen, etwa durch Kameraüberwachung, Warensicherungssysteme oder Änderungen in der Warenpräsentation. Gleichzeitig stellt die Balance zwischen Sicherheitsmaßnahmen und kundenfreundlicher Atmosphäre eine große Herausforderung dar. Die Sorge, dass wiederholte Vorfälle langfristig das Vertrauen zwischen Apotheken und Kundschaft beeinträchtigen könnten, ist nicht unbegründet.
Die Ermittlungen in den aktuellen Fällen konzentrieren sich unter anderem auf mögliche Zusammenhänge mit ähnlichen Vorfällen in anderen Regionen. Die Polizei mahnt zur Aufmerksamkeit und ruft Apotheken dazu auf, Verdachtsmomente frühzeitig zu melden und Beweismaterial wie Videoaufzeichnungen zu sichern.
Der gezielte Diebstahl von apothekenexklusiver Kosmetik ist kein Einzelfall, sondern Ausdruck eines wachsenden Problems, das nicht länger als gelegentliche Ausnahme abgetan werden kann. Apotheken sind nicht nur Gesundheitsdienstleister, sondern zunehmend auch Orte, an denen hochwertige Konsumgüter angeboten werden – ein Umstand, der Kriminelle offenbar verstärkt anzieht.
Während große Handelsketten längst auf umfangreiche Sicherheitssysteme setzen, stehen inhabergeführte Apotheken vor der schwierigen Aufgabe, sich mit begrenzten Mitteln gegen gut organisierte Diebstähle zu wappnen. Jede gestohlene Ware ist nicht nur ein finanzieller Verlust, sondern ein Schlag gegen die betriebliche Stabilität. Zugleich dürfen Maßnahmen gegen Diebstahl nicht dazu führen, dass Kundinnen und Kunden sich in der Apotheke überwacht oder unwillkommen fühlen.
Die aktuelle Häufung von Fällen sollte als Warnsignal verstanden werden. Es ist Aufgabe der Sicherheitsbehörden, entschlossen zu ermitteln, aber auch der Branche, gemeinsam Strategien zu entwickeln, um Apotheken als offene, aber zugleich geschützte Orte zu erhalten. Denn wo Sicherheit fehlt, leidet nicht nur das Vertrauen – sondern letztlich die Versorgung selbst.
Ex-Korruptionsermittler muss ins Gefängnis – BGH bestätigt Urteil gegen früheren Oberstaatsanwalt
Der Bundesgerichtshof hat die Verurteilung des ehemaligen hessischen Oberstaatsanwalts Alexander B. wegen Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung weitgehend bestätigt. Damit bleibt die vom Landgericht Frankfurt im Mai 2023 verhängte Freiheitsstrafe von sechs Jahren bestehen. Der einst als Korruptionsbekämpfer bekannte Jurist verliert endgültig seinen Beamtenstatus.
Alexander B. leitete über Jahre hinweg die „Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen“. Die auf diesen Bereich spezialisierte Staatsanwaltschaft war 2009 als erste ihrer Art in Deutschland gegründet worden. B. trat öffentlich als engagierter Ermittler auf, beriet als Experte politische Gremien und galt als prominente Figur im Kampf gegen Betrug im Gesundheitswesen.
Im Jahr 2020 geriet der einstige Vorzeigestaatsanwalt selbst ins Visier der Ermittler. Ihm wurde vorgeworfen, einem langjährigen Bekannten – einem Unternehmer – in unzulässiger Weise Aufträge für Gutachten zugeschanzt zu haben, die später in Ermittlungsverfahren verwendet wurden. Dabei soll er bewusst auf die gebotene Prüfung alternativer Anbieter verzichtet haben. Die Vorwürfe kamen durch Aussagen seiner damaligen Lebensgefährtin ans Licht.
Das Landgericht Frankfurt sah es als erwiesen an, dass B. in 86 Fällen Bestechlichkeit, in 54 Fällen Untreue und in neun Fällen Steuerhinterziehung begangen hat. Die erlangten Gelder summierten sich auf mehr als eine halbe Million Euro, die ebenfalls eingezogen wurden.
Auch der mitangeklagte Unternehmer wurde im selben Verfahren verurteilt. Gegen ihn verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wegen Bestechung in 67 Fällen und Subventionsbetrugs in drei Fällen.
Beide Männer hatten Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. Der 1. Strafsenat wies diese nun zurück. Das Urteil des Landgerichts enthalte keine entscheidenden Rechtsfehler, heißt es in der Mitteilung des BGH. Nur in zwei untergeordneten Punkten – einem Fall der Steuerverkürzung bei B. sowie einem Fall des Subventionsbetrugs beim Mitangeklagten – habe es rechtliche Bedenken gegeben. Diese Verfahrensteile waren jedoch bereits zuvor aus Gründen der Verfahrensökonomie eingestellt worden.
Damit ist das Strafmaß rechtskräftig, ebenso wie der Verlust des Beamtenstatus für den ehemaligen Oberstaatsanwalt. Noch offen ist lediglich die Entscheidung zur Einziehung der Taterträge beim mitangeklagten Unternehmer, über die der Bundesgerichtshof in einem gesonderten Verfahren entscheiden wird.
Der Fall Alexander B. ist ein Mahnmal für die Gefährdung rechtsstaatlicher Institutionen durch individuelles Fehlverhalten an verantwortlicher Stelle. Ausgerechnet der Leiter einer Anti-Korruptionseinheit missbrauchte seine Position zur persönlichen Vorteilsnahme. Die Tragweite dieses Falls reicht über das individuelle Strafmaß hinaus.
Wenn Vertrauen in die Unabhängigkeit und Integrität der Justiz erschüttert wird, droht langfristiger Schaden für das gesamte System. Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung ein wichtiges Zeichen gesetzt: Auch höchste Amtsträger stehen nicht über dem Gesetz. Die rechtskräftige Verurteilung von B. ist notwendig, aber sie darf nicht das letzte Wort bleiben.
Die Justiz muss sich kritisch mit der Frage auseinandersetzen, wie ein derartiges Verhalten über Jahre unentdeckt bleiben konnte. Interne Kontrollmechanismen, transparente Auftragsvergaben und die Stärkung einer unabhängigen Fachaufsicht sind essenziell, um solche Fälle künftig zu verhindern. Recht sprechen reicht nicht – der Rechtsstaat muss sich auch selbst überprüfen.
Koalitionsvertrag als Signal: Verband sieht neue Perspektiven für Apotheken
Der Verband innovativer Apotheken (via) bewertet den aktuellen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD als positives Signal für die Zukunft der Apothekenlandschaft in Deutschland. Auch wenn die im Vertrag vorgesehenen Maßnahmen noch keine unmittelbare wirtschaftliche Entlastung der Betriebe bedeuten, erkennt der Verband eine gestiegene Wertschätzung für die pharmazeutische Arbeit und sieht darin einen ersten Schritt in Richtung struktureller Verbesserungen.
Besonders hervor hebt der Verband die geplante Erhöhung des Apothekenfixums. Diese Maßnahme sei zwar keine Lösung für die tiefgreifenden wirtschaftlichen Belastungen vieler Apotheken, unterstreiche jedoch die politische Bereitschaft, die Rolle der Apotheken im Gesundheitssystem neu zu bewerten. Der Vorsitzende des Verbandes, Benedikt Bühler, äußerte sich zufrieden darüber, dass langjährige Forderungen der Berufsgruppe in konkreten politischen Formulierungen aufgegriffen wurden.
Ein zentrales Anliegen des Verbands betrifft die Wettbewerbsbedingungen zwischen Versandapotheken und Präsenzapotheken. Die im Vertrag enthaltene Ankündigung, für beide Marktteilnehmer „gleich lange Spieße“ zu schaffen, wird als entscheidender Fortschritt gewertet. Ziel sei es nicht, den Versandhandel zu beschneiden, sondern einheitliche und verlässliche Standards für alle Beteiligten zu etablieren. Dabei verweist der Verband insbesondere auf die bei Vor-Ort-Apotheken geltenden Anforderungen an Lagerung, Temperaturführung und Dokumentation, die im Interesse der Arzneimittelsicherheit auch im Versandhandel gelten müssten.
Positiv aufgenommen werden zudem die angekündigten Maßnahmen zum Bürokratieabbau. Via sieht darin die Chance, Apothekenteams spürbar zu entlasten und so mehr Kapazitäten für die Patientenversorgung freizusetzen. Auch die angestrebte Weiterentwicklung des Notdienstfonds zu einem umfassenderen Sicherstellungsfonds wird als sinnvoller Schritt bewertet, um die flächendeckende Versorgung insbesondere in strukturschwachen Regionen langfristig abzusichern.
Zukunftsorientiert zeigt sich der Verband auch in Bezug auf digitale Versorgungsstrukturen. Die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Ansätze zur Förderung telemedizinischer Leistungen könnten den Apotheken eine stärkere Rolle im digitalen Gesundheitswesen ermöglichen und neue Versorgungsmodelle erschließen.
Via signalisiert seine Bereitschaft zum Dialog mit dem Bundesgesundheitsministerium, um gemeinsam an einer modernen, qualitätsgesicherten und wirtschaftlich tragfähigen Arzneimittelversorgung mitzuwirken. Der Koalitionsvertrag wird somit nicht als Endpunkt, sondern als Ausgangsbasis für weiterführende Gespräche und konkrete gesetzgeberische Schritte verstanden.
Der Apothekenalltag in Deutschland ist geprägt von wachsendem wirtschaftlichem Druck, zunehmender Bürokratie und einem verschärften Wettbewerb durch Versandapotheken. In diesem Spannungsfeld wirkt der Koalitionsvertrag wie ein vorsichtiges Aufatmen – nicht, weil er sofortige Lösungen liefert, sondern weil er die Apotheken überhaupt wieder ins politische Blickfeld rückt. Die im Vertrag erkennbaren Formulierungen lassen erkennen, dass die Bedeutung pharmazeutischer Leistungen für die Versorgungssicherheit wieder stärker gewichtet wird.
Die geplanten regulatorischen Gleichstellungen zwischen Versand- und Vor-Ort-Apotheken sind ein klares Zeichen: Fairer Wettbewerb darf nicht auf Kosten der Arzneimittelsicherheit gehen. Die Politik scheint die Balance zwischen Marktmechanismen und Versorgungsqualität neu austarieren zu wollen. Ebenso bedeutsam ist der geplante Bürokratieabbau – ein Versprechen, das nun mit Substanz gefüllt werden muss.
Der Verband innovativer Apotheken zeigt sich dialogbereit, was auch als Einladung an die Politik verstanden werden darf, Reformen nicht über, sondern mit der Berufsgruppe zu gestalten. Denn echte Versorgungssicherheit entsteht nicht auf dem Papier, sondern im konkreten Handeln – vor Ort, im Apothekenalltag.
Memantin-Starterpackungen von Merz wieder verfügbar
Die seit Längerem eingeschränkt lieferbaren Starterpackungen von Axura und Memantine Merz sind seit Monatsbeginn wieder erhältlich. Wie das Unternehmen Merz mitteilte, sind die memantinhydrochloridhaltigen Arzneimittel nun wieder regulär über den Großhandel und Apotheken zu beziehen. Beide Produkte dienen der Behandlung von moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz und gelten als therapeutisch identisch, wobei Memantine Merz das originalidentische Generikum von Axura darstellt.
Die Lieferprobleme hatten in den vergangenen Monaten insbesondere zu Beginn einer Therapie für Unsicherheiten bei der Medikation geführt. Starterpackungen ermöglichen eine schrittweise Dosisanpassung und gelten in der ärztlichen Praxis als unerlässlich für den Therapiebeginn. Ihre zeitweilige Nichtverfügbarkeit hatte sowohl bei Ärztinnen und Ärzten als auch in Apotheken zu organisatorischen Herausforderungen geführt.
Merz betont, dass nun wieder beide Präparate in der jeweils üblichen Dosistitration lieferbar seien. Die Rückkehr zur Normalversorgung könnte dazu beitragen, bestehende Therapieabbrüche zu vermeiden und den Behandlungsbeginn für neue Patienten zu erleichtern.
Ein Hinweis auf die weiterhin angespannte Liefersituation bei verschiedenen anderen neurologischen Präparaten bleibt jedoch bestehen. Die kurzfristige Verbesserung bei Memantin darf daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Arzneimittelversorgung im Bereich der Demenztherapie insgesamt fragil bleibt.
Die Wiederverfügbarkeit der Memantin-Starterpackungen ist eine längst überfällige Entlastung für den Versorgungsalltag in Arztpraxen und Apotheken. Sie zeigt aber auch, wie abhängig die Versorgungssicherheit von wenigen Herstellern und funktionierenden Lieferketten ist. Der Fall Memantin steht exemplarisch für eine strukturelle Schwäche im deutschen Arzneimittelmarkt: Wenn bereits der Ausfall eines einzelnen Produkts in seiner Starterform zu Behandlungsverzögerungen führt, ist das ein Warnsignal.
Gerade bei chronischen und neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Demenz sind zuverlässige Therapieabläufe entscheidend. Die Politik wäre gut beraten, Lieferengpässe nicht nur zu verwalten, sondern durch langfristige Strategien zu verhindern. Dazu gehören verpflichtende Bevorratungsregeln, faire Produktionsbedingungen und eine stärkere Diversifizierung der Herstellerlandschaft. Die Rückkehr der Memantin-Starterpackungen ist ein Schritt in die richtige Richtung – aber kein Grund zur Entwarnung.
Neues Peptidhormon BRP senkt Körpergewicht unabhängig von bekannten Signalwegen – Hoffnungsträger jenseits von GLP-1
US-amerikanische Forscher haben ein bislang unbekanntes Peptidhormon entdeckt, das in präklinischen Studien an Mäusen zu einer signifikanten Gewichtsreduktion führte – und das ohne Aktivierung der bislang bekannten hormonellen Signalwege. Das neu identifizierte Peptid trägt den Namen BRP (Brain-Regulated Peptide) und besteht aus lediglich zwölf Aminosäuren. In den Tierversuchen reduzierte BRP nicht nur die spontane Nahrungsaufnahme der Mäuse, sondern senkte auch deren Körpergewicht deutlich – und das bei ansonsten unveränderter Bewegungsaktivität und Stoffwechselrate.
Im Gegensatz zu GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1), das derzeit in zahlreichen Medikamenten zur Behandlung von Typ-2-Diabetes und Adipositas eingesetzt wird, handelt es sich bei BRP nicht um ein sogenanntes Inkretin, also kein Hormon, das direkt auf die Insulinfreisetzung einwirkt. Vielmehr scheint BRP über einen bisher nicht beschriebenen neuroendokrinen Mechanismus zu wirken, der unabhängig von GLP-1-, GIP- oder Leptin-Rezeptoren funktioniert. Erste molekularbiologische Analysen deuten darauf hin, dass das Peptid möglicherweise direkt auf bestimmte Hirnareale einwirkt, die für die Regulation des Hunger- und Sättigungsgefühls zuständig sind.
Besonders bemerkenswert: Die Verabreichung von BRP führte nicht zu den typischen Nebenwirkungen, die bei GLP-1-basierten Therapien häufig beobachtet werden, etwa Übelkeit, Erbrechen oder eine verlangsamte Magenentleerung. Auch das Herz-Kreislauf-System der Versuchstiere blieb unbeeinträchtigt. Die Mäuse zeigten keine Anzeichen von Stress oder Verhaltensänderungen – ein Befund, der das Sicherheitsprofil des Peptids unterstreicht, auch wenn belastbare Daten zu Langzeiteffekten noch ausstehen.
Die Entdeckung erfolgte im Rahmen eines groß angelegten Screenings bislang unbekannter Peptidfragmente im zentralen Nervensystem. Dabei wurden insbesondere Fragmente untersucht, deren Genexpression in hypothalamischen Regionen des Gehirns bei überernährten Mäusen verändert war. Unter den zahlreichen Kandidaten stach BRP durch seine starke Wirkung auf die Nahrungsaufnahme hervor – ein Effekt, der in mehreren, voneinander unabhängigen Studiengruppen repliziert werden konnte.
Noch ist völlig offen, ob BRP auch im menschlichen Organismus in ähnlicher Weise aktiv ist oder ob es sich um eine mäusespezifische Besonderheit handelt. Klinische Studien sind bislang nicht initiiert worden. Auch der genaue Rezeptor und der intrazelluläre Signalweg des Hormons sind noch unbekannt. Die Forscher betonen jedoch, dass BRP das Potenzial habe, ein völlig neues Wirkprinzip in der Therapie von Adipositas und möglicherweise auch anderen metabolischen Erkrankungen zu begründen.
Unabhängige Experten sehen die Ergebnisse mit vorsichtigem Optimismus. „Diese Entdeckung ist ein Lehrbuchbeispiel dafür, dass wir das endokrine System noch längst nicht vollständig verstanden haben“, kommentierte ein renommierter Endokrinologe, der an der Studie nicht beteiligt war. „Sollte sich der Effekt bei Menschen bestätigen, könnten wir es mit einer neuen Klasse von Therapeutika zu tun haben – jenseits der Inkretin-basierten Ansätze, die momentan den Markt dominieren.“
Die Entdeckung des Peptidhormons BRP markiert einen bemerkenswerten Fortschritt in der endokrinologischen Grundlagenforschung – und könnte sich langfristig als Meilenstein in der Behandlung von Adipositas erweisen. Während sich in den letzten Jahren nahezu sämtliche therapeutischen Innovationen auf das Inkretin-System konzentrierten, offenbart BRP einen alternativen Weg, um das Körpergewicht zu regulieren – abseits der bekannten Hormonachsen, ohne GLP-1-Rezeptorbindung und frei von typischen Nebenwirkungen.
Diese Entwicklung kommt zur rechten Zeit. Die Zahl übergewichtiger Menschen weltweit nimmt weiter zu, während bestehende Medikamente trotz teils beeindruckender Wirksamkeit nicht frei von Kritik sind: Nebenwirkungen, hohe Kosten, begrenzte Langzeitdaten und mangelnde Wirkung bei bestimmten Patientengruppen. Der Bedarf an alternativen, besser verträglichen und langfristig wirksamen Therapien ist hoch. BRP könnte hier eine Lücke schließen – vorausgesetzt, es gelingt, die Wirkung auf den Menschen zu übertragen und die pharmakologische Stabilität sowie Sicherheit auch im klinischen Kontext zu gewährleisten.
Gleichzeitig verdeutlicht BRP, wie wenig die Forschung bislang über die komplexe hormonelle Steuerung des menschlichen Stoffwechsels weiß. Dass ein derart kleines Peptid über bislang unbekannte Mechanismen Einfluss auf Hunger, Sättigung und Gewicht nimmt, stellt gängige Lehrmeinungen infrage. Es öffnet die Tür für neue Ansätze – etwa in der neuroendokrinen Forschung, in der Entwicklung individualisierter Therapien oder sogar im Bereich der Prävention.
Doch bei aller Euphorie: Der Weg vom Labortisch zum Medikament ist weit. Ohne klinische Studien bleibt BRP ein vielversprechendes, aber theoretisches Konzept. Es gilt nun, die biochemischen Grundlagen zu entschlüsseln, geeignete Rezeptorstrukturen zu identifizieren, potenzielle Nebenwirkungen auszuschließen und eine nachhaltige pharmakologische Formulierung zu entwickeln. Erst dann kann sich entscheiden, ob BRP mehr ist als ein wissenschaftlicher Glücksfund – nämlich der Ausgangspunkt für eine neue Generation von Stoffwechseltherapien.
Von Engin Günder, Fachjournalist