Das neue Zukunftskonzept der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) sorgt für Diskussion – und für Ernüchterung. Zwar wurde das Papier mit seltener Geschlossenheit einstimmig von den 34 Kammern und Verbänden verabschiedet, doch auf dem Weg von der strategischen Idee zur konkreten Umsetzung tun sich massive Hürden auf. Die Pläne sind ambitioniert: Apotheken sollen künftig eine tragendere Rolle in der Gesundheitsversorgung einnehmen, etwa durch intensivere Patientenberatung, Medikationsmanagement und Präventionsangebote. Doch all das setzt voraus, dass die Apotheken mehr leisten können – und dürfen.
Bereits an dieser Stelle offenbart sich ein zentrales Problem: Die vorgesehene Ausweitung der pharmazeutischen Leistungen bedeutet eine erhebliche Mehrarbeit für die Betriebe. Dafür braucht es nicht nur zusätzliches Personal, sondern auch eine verlässliche und nachhaltige Vergütung. Bislang fehlt es jedoch an einer Finanzierungszusage. Weder das Bundesgesundheitsministerium noch die gesetzlichen Krankenkassen haben Bereitschaft signalisiert, die mit dem Konzept einhergehenden Kosten zu übernehmen. Die ABDA verweist auf die Notwendigkeit einer Anhebung des Fixhonorars, doch diese Forderung ist nicht neu – und bislang ohne politische Resonanz geblieben.
Das Papier bleibt in vielen Punkten vage. Es nennt keine konkreten Beträge, keinen verbindlichen Zeitplan und keine gesetzlichen Rahmenbedingungen, die notwendig wären, um die vorgeschlagenen Maßnahmen verbindlich zu machen. Damit ist die Tragfähigkeit des Konzepts fraglich. Dass einzelne Elemente „rasch umsetzbar“ seien, wie die ABDA betont, dürfte vor allem als Signal in Richtung Politik gedacht sein – realistisch betrachtet fehlen dafür jedoch die operativen Voraussetzungen.
Ein weiteres strukturelles Problem liegt im eklatanten Fachkräftemangel. Viele Apotheken kämpfen seit Jahren mit personellen Engpässen. Zusätzliche Aufgaben könnten in vielen Fällen schlicht nicht übernommen werden – selbst wenn die Honorierung gesichert wäre. Insbesondere im ländlichen Raum ist die Personaldecke so dünn, dass bereits bestehende Verpflichtungen nur mit Mühe eingehalten werden können. Die ABDA blendet diesen Aspekt weitgehend aus, obwohl er maßgeblich über Erfolg oder Scheitern des Konzepts entscheiden dürfte.
Hinzu kommt die politische Realität. Die aktuellen Reformbestrebungen im Gesundheitswesen konzentrieren sich stark auf Digitalisierung, Kostenkontrolle und Strukturveränderungen in der Krankenhauslandschaft. Für eine grundlegende Neuausrichtung der Apothekenversorgung fehlt bislang der politische Wille – ebenso wie die finanzielle Ausstattung. Selbst wenn Gespräche mit dem Gesundheitsministerium oder den Kassen in naher Zukunft stattfinden, ist eine Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode höchst unwahrscheinlich.
ABDA-Präsident Thomas Preis gibt sich dennoch optimistisch. Das Konzept sei ein klares Bekenntnis zur Zukunftsfähigkeit der Apotheken und ein Signal an Politik und Gesellschaft. Es gehe nun darum, in Gesprächen mit den relevanten Akteuren Akzeptanz und Unterstützung zu gewinnen. Die breite Zustimmung innerhalb der Berufsvertretungen wird als Rückenwind gewertet. Doch Zustimmung auf Verbandsebene ersetzt keine Umsetzungsfähigkeit im Praxisalltag. Die Apothekerinnen und Apotheker an der Basis erwarten zu Recht konkrete Lösungen, nicht bloß strategische Visionen.
Kommentar:
Das ABDA-Zukunftskonzept wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet. Es soll Orientierung geben, Verantwortung einfordern und neue Rollen für Apotheken definieren – doch es bleibt in entscheidenden Punkten unscharf und unvollständig. Die zentrale Schwachstelle liegt in der wirtschaftlichen Fundierung: Es ist schlicht nicht erklärbar, wie Apotheken zusätzliche Aufgaben übernehmen sollen, solange ihre wirtschaftliche Lage prekär bleibt und das Fixhonorar seit Jahren stagniert.
Das Papier versucht den Spagat zwischen Idealismus und Realpolitik, verheddert sich aber in einer problematischen Konstruktion: Es präsentiert einen Katalog von Leistungen, der politisch anschlussfähig klingen soll, ohne verbindliche Umsetzungskriterien zu benennen. Der Verweis auf „rasch umsetzbare Elemente“ wirkt im besten Fall beschönigend, im schlechtesten Fall realitätsfern. Die Sorge, dass dieses Konzept im politischen Raum als symbolischer Fortschritt verkauft wird, ohne echte Verbesserungen für die Apothekenpraxis zu bringen, ist nicht unbegründet.
Auch die strukturellen Voraussetzungen werden nicht ernsthaft thematisiert. Der Personalmangel ist kein neues Phänomen, doch in dieser Debatte bleibt er ein Nebensatz. Dabei ist längst offensichtlich: Ohne flächendeckend verfügbare pharmazeutische Fachkräfte ist jede Versorgungsstrategie zum Scheitern verurteilt. Wer Versorgung neu denkt, muss auch deren Machbarkeit mitdenken – andernfalls bleibt das Ganze ein Papiertiger.
Ein weiteres Problem ist die strategische Kommunikation. Die ABDA betont die Geschlossenheit der Standesvertretungen, vermeidet aber, sich mit den skeptischen Stimmen aus der Basis auseinanderzusetzen. Dabei ist gerade die Rückmeldung aus dem Apothekenalltag entscheidend: Wer zusätzliche Leistungen erbringen soll, will wissen, unter welchen Bedingungen das geschehen soll – und welche Unterstützung zu erwarten ist. Solange diese Klarheit fehlt, wird das Konzept kaum Akzeptanz finden.
Fazit: Die Richtung stimmt, der Anspruch ist richtig – aber Umsetzung, Finanzierung und Kommunikation bleiben auf halber Strecke stehen. Ohne klare politische Verbindlichkeiten, ein realistisches Finanzierungskonzept und Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel bleibt das ABDA-Zukunftskonzept ein gut gemeinter, aber weitgehend wirkungsloser Vorstoß. Die Gefahr ist groß, dass die Apotheken erneut in Vorleistung gehen, ohne dass die versprochene Systemveränderung je eintritt.
Von Engin Günder, Fachjournalist