Mit dem Gesundheitspass verfolgt die Apothekerkammer Niedersachsen das Ziel, die Rolle öffentlicher Apotheken in der ambulanten Versorgung zu stärken. Das neue Instrument dient der strukturierten Erfassung gesundheitsbezogener Daten wie Blutdruckwerte oder Blutzucker sowie der Dokumentation von pharmazeutischen Dienstleistungen. Patientinnen und Patienten sollen dadurch aktiv in ihre Versorgung eingebunden und Apotheken als niedrigschwellige Gesundheitsakteure sichtbarer gemacht werden. Der Gesundheitspass ist freiwillig, analog wie digital nutzbar und insbesondere für chronisch Erkrankte sowie ältere Menschen gedacht, die regelmäßig pharmazeutisch begleitet werden.
Gleichzeitig sorgt eine neue medizinische Leitlinie für Aufsehen, die sich erstmals systematisch der Gesundheitsversorgung von transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen widmet. Das von 26 Fachgesellschaften und zwei Patientenvertretungen entwickelte S2k-Regelwerk enthält konkrete Empfehlungen für Diagnostik, psychotherapeutische Begleitung und medizinische Maßnahmen. Die Leitlinie verfolgt das Ziel, medizinische Standards zu vereinheitlichen und Versorgungslücken zu schließen. Vor allem soll sie helfen, Unsicherheiten im Umgang mit jungen Menschen mit Geschlechtsinkongruenz zu reduzieren und Fehlbehandlungen vorzubeugen.
Unterdessen gerät die Arzneimittelpolitik der EU unter Druck. Der Critical Medicines Act, mit dem die EU-Kommission die Versorgungssicherheit strategisch stärken will, stößt in Deutschland auf Skepsis. Während Brüssel auf Diversifizierung von Lieferketten und verstärkte Produktionskapazitäten setzt, warnt die forschende Pharmaindustrie vor drohender Überregulierung. Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen, kritisiert vor allem den ausufernden Verwaltungsaufwand und mögliche negative Auswirkungen auf die Verfügbarkeit innovativer Medikamente.
Auch die Apothekerkammer Niedersachsen stellt wichtige Weichen. Bei ihrer jüngsten Versammlung diskutierten die Delegierten intensiv über die Digitalisierung der Notdienstplanung und die künftige Struktur des Beitragssystems. Während eine zentral organisierte Notdienstplanung Entlastung bringen soll, entzündete sich an der Beitragsgestaltung die Frage nach Fairness und Transparenz. Die Kammer will damit ihren Anspruch untermauern, die berufspolitischen Bedingungen ihrer Mitglieder aktiv mitzugestalten.
Parallel dazu bleibt der Druck auf die biomedizinische Forschung hoch. Trotz wachsender gesellschaftlicher Kritik und der Förderung tierfreier Testmethoden kommen Tierversuche in Deutschland weiterhin millionenfach zum Einsatz. Insbesondere die Arzneimittelentwicklung und die toxikologische Sicherheitsprüfung gelten bislang als ohne tierisches Modell kaum realisierbar. Doch auch innerhalb der Wissenschaft wächst der Zweifel, ob sich der Fortschritt nicht entschlossener in Richtung Alternativmethoden lenken ließe.
Schließlich rückt ein gesellschaftliches Dauerproblem erneut in den Fokus. Das Jahrbuch Sucht 2025 dokumentiert eine alarmierende Stabilität bei den Todeszahlen durch legale Drogen. Über 146.000 Menschen sterben jedes Jahr infolge von Alkohol- und Tabakkonsum – deutlich mehr als durch illegale Substanzen. Fachgesellschaften fordern seit Jahren eine stringente nationale Strategie, doch der politische Wille bleibt schwach. Das öffentliche Gesundheitswesen sieht sich mit einem vermeidbaren Massensterben konfrontiert, das bislang nur unzureichend bekämpft wird.
Kommentar:
Der Gesundheitspass der Apothekerkammer ist mehr als eine Verwaltungshilfe – er ist ein politisches Signal für eine bessere Patientenbindung vor Ort. Während sich digitale Gesundheitsprojekte oft in Visionen verlieren, schafft der Pass eine praxisnahe Schnittstelle zwischen Apothekenteam und Patient. Das ist gerade in Zeiten zunehmender Versorgungsengpässe ein Schritt in die richtige Richtung. Ebenso begrüßenswert ist die neue Leitlinie zur Trans-Jugendgesundheit, die wissenschaftlich fundierte Standards schafft, wo bisher Unsicherheit und Polarisierung dominierten. Medizinische Entscheidungen dieser Tragweite gehören in fachliche Bahnen – nicht in gesellschaftliche Stellvertreterdebatten.
Der EU-Gesetzesvorschlag zum Critical Medicines Act zeigt jedoch, wie schmal der Grat zwischen Versorgungssicherheit und Überregulierung ist. Eine stärkere europäische Souveränität in der Arzneimittelproduktion ist sinnvoll – doch wenn das regulatorische Pendel zu stark ausschlägt, werden aus Engpasslösungen neue Engpassursachen. Auch der Streit um das Notdienst- und Beitragssystem der Apothekerkammer offenbart ein zentrales Spannungsfeld: die Balance zwischen individueller Belastung und solidarischer Systemlogik. Wer Notdienste modernisieren will, darf dabei nicht die wirtschaftlichen Realitäten kleiner Apotheken übersehen.
Die Diskussion um Tierversuche hingegen ist symptomatisch für ein ethisches Dilemma ohne einfache Lösung. Solange die Alternativen nicht ausreichen, bleibt das Tiermodell eine wissenschaftliche Notwendigkeit. Doch genau deshalb braucht es mehr als Lippenbekenntnisse – nämlich eine echte Innovationspolitik für tierfreie Forschung. Am deutlichsten aber ist das politische Versagen beim legalen Drogenkonsum. Die Zahlen sind bekannt, die Todesopfer vermeidbar – und doch fehlt es an konsequenten Maßnahmen. Das ist kein Sachzwang, das ist unterlassene Hilfeleistung mit Ansage.
Von Engin Günder, Fachjournalist