In Deutschland gewinnen Apotheken zunehmend an Bedeutung in der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Die Grippesaison 2023/2024 hat einen deutlichen Trend gezeigt: Apotheken verzeichnen eine steigende Nachfrage nach Grippe- und Covid-19-Impfungen. Die Möglichkeit, sich direkt in der Apotheke impfen zu lassen, gibt es seit Oktober 2022 für Grippeimpfungen und seit April 2023 für Covid-19-Impfungen. Diese Maßnahmen haben den Zugang zu Impfungen erleichtert und Apotheken als zentrale Anlaufstellen für Gesundheitsprävention etabliert. Die Zahlen des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts (Dapi) bestätigen diesen Erfolg: Von Juli 2023 bis Juni 2024 wurden allein in Apotheken bundesweit 98.000 Grippe- und 103.000 Covid-19-Impfungen verabreicht. Diese beeindruckenden Zahlen spiegeln das Vertrauen der Bevölkerung wider, dass Apotheken nicht nur rezeptpflichtige und rezeptfreie Medikamente bereitstellen, sondern auch ein umfassendes Spektrum an Gesundheitsleistungen bieten können.
Die steigende Nachfrage nach Impfungen stellt Apotheken jedoch auch vor neue Herausforderungen. Die Integration der Covid-19- und Grippeimpfung in das Tagesgeschäft erfordert spezialisierte Schulungen, die Einhaltung strenger Hygienestandards und vor allem auch zusätzliche Versicherungsstrategien, um die Haftungsrisiken abzusichern. Hierbei spielt die Cyberversicherung eine entscheidende Rolle, da digitale Systeme für die Dokumentation und Abrechnung zunehmend genutzt werden. Auch spezielle Policen gegen Haftungsrisiken und zur Absicherung der Mitarbeitergesundheit sind unverzichtbar, um die neuen Leistungen langfristig nachhaltig anzubieten.
Ein weiteres bedeutendes Problem, das die deutsche Apothekenszene bewegt, ist der anhaltende Streit zwischen dem Deutschen Apothekerverband (DAV) und den Krankenkassen über die korrekte Abrechnung von Rezepturen. Ende 2022 hatte der DAV die Anlagen 1 und 2 der sogenannten Hilfstaxe gekündigt, die bisher die Basis für die Preisfestsetzung von Rezepturstoffen und -gefäßen darstellte. Diese Kündigung führte zu erheblichen Unsicherheiten über die Abrechnungspraxis, und seit Anfang 2023 sind Apotheken mit Retaxationen konfrontiert, die für sie erhebliche finanzielle Belastungen darstellen. Inzwischen hat der DAV eine Musterklage gegen die Krankenkassen eingereicht, um Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen. Dieser Konflikt wirft ein Schlaglicht auf die wachsenden bürokratischen Anforderungen an Apotheken, die zunehmend unter wirtschaftlichem Druck stehen, jedoch weiterhin eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung sicherstellen müssen.
In einem offenen Brief an die Bundesregierung äußerte die ABDA außerdem ihre Sorge über die potenziellen Auswirkungen der bevorstehenden EU-Pharmareform. Die Reform könnte Apotheken zusätzlich belasten, da in den aktuellen Vorschlägen zahlreiche administrative Anforderungen enthalten sind, die den Betrieb von Apotheken erschweren könnten. Die ABDA fordert daher eine kritische Begleitung der Trilogverhandlungen durch die Bundesregierung, um die Interessen der Apotheken zu schützen und unnötige Bürokratie zu vermeiden.
Auch im Bereich der Impfstoffversorgung gibt es wichtige Entwicklungen. Der hochdosierte Grippeimpfstoff Efluelda® steht in Frankreich seit der Grippesaison 2021/2022 für Menschen ab 65 Jahren zur Verfügung und zeigt in dieser Altersgruppe eine signifikante Reduktion von Krankenhausaufenthalten. Diese Alternative zum standarddosierten Impfstoff könnte auch in Deutschland künftig eine größere Rolle spielen, um die Belastung des Gesundheitssystems zu verringern und eine gezielte Prävention für ältere Patienten anzubieten.
Ein besonders sensibler Vorfall sorgte in der St. Morus-Apotheke in München für Empörung. Dort betreut Apothekerin Selin Welt einen jungen Patienten mit Down-Syndrom, der auf eine spezielle Ernährung angewiesen ist. Die Krankenkasse des Kindes stellte jedoch die Frage, ob eine „Heilung“ des Syndroms möglich sei – eine Anfrage, die sowohl die Familie als auch die Apothekerin fassungslos machte. Diese Situation verdeutlicht die Notwendigkeit einer einfühlsamen und professionellen Betreuung in Apotheken und zeigt, wie essenziell das Vertrauen zwischen Patient, Apotheke und Krankenkasse ist.
Eine Studie der University of Southern California unterstreicht indes die Relevanz frühzeitiger Präventionsmaßnahmen. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass eine frühzeitige Reduktion des Zuckerkonsums das Risiko für chronische Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck signifikant senken kann. Apotheken könnten in der Beratung ihrer Kunden verstärkt auf diese Erkenntnisse eingehen und präventive Gesundheitsstrategien in ihren Leistungskatalog aufnehmen, um die gesundheitlichen Langzeitrisiken der Bevölkerung zu mindern.
Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein (AVNR), machte in einem Gespräch mit dem CDU-Landtagsabgeordneten Marco Schmitz auf die prekäre Lage der Apotheken aufmerksam. Preis warnte vor den dramatischen Folgen weiterer Apothekenschließungen, die durch steigende Betriebskosten und sinkende Erstattungen zunehmend bedroht sind. Ein Rückgang der Apothekenstandorte hätte gravierende Auswirkungen auf die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Gebieten, wo die nächste Apotheke oft weit entfernt ist. Die Forderung nach mehr politischer Unterstützung wird immer lauter, doch die Reaktion der Bundesregierung bleibt bislang verhalten.
Auch auf dem internationalen Markt gibt es Entwicklungen, die den Wettbewerb verschärfen. Die niederländische Versandapotheke Redcare Pharmacy konnte im dritten Quartal 2024 im Segment der verschreibungspflichtigen Medikamente (Rx-Segment) ein dynamisches Wachstum verzeichnen. Allerdings führten hohe Investitionen zu gestiegenen Verlusten, was die langfristige Rentabilität des Geschäftsmodells infrage stellt. Die Entwicklung zeigt, dass der Versandhandel im Apothekenmarkt ein intensives Kapitalinvestment erfordert, um gegen die stationären Apotheken bestehen zu können.
Ein alarmierender Vorfall unterstreicht zudem die Bedeutung der Cybersicherheit: Der Arzneimittelgroßhändler AEP wurde Ziel eines Hackerangriffs, der die Arzneimittelversorgung in Deutschland erheblich beeinträchtigt. Zu Beginn der Woche war das Bestellsystem von AEP weiterhin nicht einsatzbereit, was viele Apotheken vor große Herausforderungen stellte und zu Engpässen bei der Versorgung führte. Der Vorfall zeigt auf, wie abhängig die Arzneimittelversorgung mittlerweile von digitalen Infrastrukturen ist und wie dringend Investitionen in Cybersicherheit erforderlich sind.
Schließlich enttäuscht auch das Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) viele Apothekenbetreiber. Ursprünglich als umfassende Modernisierung angekündigt, bleiben wichtige Anliegen der Branche, wie der Skontoabzug und die sogenannte Favoritenregelung, unberücksichtigt. Ohne diese Regelungen droht das Reformpaket an Rückhalt in der Branche zu verlieren, da viele Apotheken darin eher eine Belastung als eine Entlastung sehen.
Kommentar:
Der aktuelle Wandel im Apothekensektor ist geprägt von tiefgreifenden Herausforderungen und stellt die Branche vor eine ungewisse Zukunft. Die Integration von Grippe- und Covid-19-Impfungen in das Leistungsangebot der Apotheken ist zwar ein begrüßenswerter Schritt, der die Rolle der Apotheken in der öffentlichen Gesundheitsversorgung stärkt. Jedoch geht mit dieser Erweiterung des Leistungsspektrums auch eine erhebliche Mehrbelastung einher, da Apotheken zusätzlich in Schulungen, Hygienestandards und insbesondere Versicherungen investieren müssen, um die neuen Aufgaben sicher und professionell zu erfüllen. Es wird immer deutlicher, dass Apotheken heute weitaus mehr leisten, als lediglich Arzneimittel bereitzustellen. Sie sind zu einem integralen Bestandteil der präventiven Gesundheitsversorgung geworden.
Gleichzeitig verdeutlicht der Konflikt um die Rezepturabrechnung die wirtschaftlichen Hürden, die Apotheken im Alltag bewältigen müssen. Die wachsende Zahl von Retaxationen bedeutet für viele Apotheken ein ernsthaftes finanzielles Risiko und stellt die Wirtschaftlichkeit der Rezepturversorgung infrage. Dass der Deutsche Apothekerverband nun eine Musterklage eingereicht hat, zeigt die Dringlichkeit einer rechtlichen Klärung, um den Apotheken langfristig Sicherheit zu geben.
Die EU-Pharmareform könnte, sofern die Interessen der Apotheken nicht berücksichtigt werden, eine zusätzliche Belastung darstellen, die den ohnehin herausfordernden Alltag der Apotheken weiter erschwert. Der Appell der ABDA an die Bundesregierung, die Verhandlungen kritisch zu begleiten, ist daher ein notwendiger Schritt, um die deutsche Apothekenlandschaft vor überbordender Bürokratie zu schützen.
Doch der Reformbedarf endet hier nicht. Das Beispiel des hochdosierten Grippeimpfstoffs Efluelda® zeigt, wie wichtig es ist, das Gesundheitsangebot für ältere Menschen gezielt zu erweitern, um das Gesundheitssystem zu entlasten. Die in der Münchener Apotheke erlebte Unsensibilität der Krankenkasse gegenüber einem Kind mit Down-Syndrom verdeutlicht darüber hinaus, dass es nicht nur um ökonomische und rechtliche Fragen geht. Apotheken sind Orte, an denen persönliche und einfühlsame Betreuung gefragt ist – sie stehen in engem Kontakt zu Patienten und deren individuellen Bedürfnissen. Die Gesundheitsversorgung erfordert ein hohes Maß an Empathie, das im System allzu oft verloren geht.
Die Herausforderungen und Risiken, die der Cyberangriff auf AEP verdeutlicht, können für die Zukunft der Apothekenbranche nicht ignoriert werden. Der Vorfall verdeutlicht, wie sehr das Gesundheitssystem auf verlässliche IT-Infrastrukturen angewiesen ist, und wie empfindlich diese auf Bedrohungen reagieren. Apotheken müssen daher in Cybersicherheit investieren, um ihre Betriebssicherheit zu gewährleisten und die Medikamentenversorgung für die Bevölkerung zu sichern.
Die Enttäuschung über das Apotheken-Reformgesetz ist ebenfalls ein ernstzunehmendes Signal. Ohne Anpassungen, die die wirtschaftliche Lage der Apotheken wirklich verbessern, droht das Gesetz an Zustimmung zu verlieren und könnte die Branche weiter destabilisieren.
Von Engin Günder, Fachjournalist