Die elektronische Patientenakte, liebevoll „ePA“ genannt, soll das deutsche Gesundheitswesen ins digitale Zeitalter katapultieren. Nach Jahren voller Planungen, politischen Verwirrungen und, seien wir ehrlich, einem eher unterhaltsamen Scheitern beim E-Rezept, verspricht das Bundesgesundheitsministerium: Diesmal wird alles anders. Ja, wirklich. Nun gut, fast alles. Denn bevor die digitale Revolution beginnen kann, scheint es, als müssten wir uns erst einmal mit einem Rollback ins analoge Steinzeitalter anfreunden.
Die Idee, die vor Einführung der ePA auf dem Tisch liegt, ist nämlich ebenso genial wie absurd: Bevor wir digital werden, testen wir erst mal die gute alte Papierwelt. Patienten sollen also brav Medikationspläne in die Apotheke bringen, wo diese sorgfältig abgeheftet werden. Zur Sicherheit, versteht sich. Falls der Apotheker Lust auf Nostalgie hat, kann er die Pläne dann per Fax an die Arztpraxis schicken, die dort handschriftlich Ergänzungen einträgt, bevor alles zurückgefaxt wird. Digitalisierung? Ach, lassen Sie uns doch erst einmal klären, ob unsere Faxgeräte überhaupt noch richtig eingestellt sind.
Man könnte das Ganze als praktischen Stresstest bezeichnen, doch eigentlich ist es ein Beweis für die beeindruckende deutsche Fähigkeit, komplizierte Lösungen für einfache Probleme zu finden. Was könnte schon schiefgehen, wenn Papierberge wachsen, während die Welt auf digitale Daten wartet? Die Vision von der ePA ist schließlich großartig: Jeder Patient hat Zugriff auf all seine Gesundheitsdaten, vom Medikationsplan bis zum Röntgenbild, und alles ist sicher gespeichert. Eine schöne Idee – sofern man irgendwann die Faxspulen durch Server ersetzt.
Der Plan für die Pilotphase ist ehrgeizig. Ab Januar starten die Modellregionen, darunter Franken und Hamburg. Hier wird die ePA getestet, freigeschaltet und, wenn alles klappt, nach vier Wochen bundesweit eingeführt. Aber keine Sorge, das Gesundheitsministerium hat natürlich eine Absicherung eingebaut: Sollten unerwartete Fehler auftreten – wie etwa, dass niemand weiß, wie man eine Patientenakte digitalisiert –, könnte man ja zur Not weiterhin Papier nutzen. Die Aktenordner in den Apotheken stehen schließlich bereit, und für den Ernstfall gibt es immer noch die Telekom-Hotline für kaputte Faxgeräte.
Natürlich ist allen Beteiligten klar, dass dies kein Projekt ist, bei dem Fehler toleriert werden. Die Gegner der Digitalisierung lauern an jeder Ecke und warten nur darauf, mit dem Finger auf das nächste Missgeschick zu zeigen. Und bei allem Fortschrittsoptimismus schwingt eine gewisse Angst mit: Was, wenn es am Ende wieder nicht klappt? Nach 20 Jahren Vorlauf und einem Milliardenbudget wäre das nicht nur peinlich, sondern wohl auch der endgültige Beweis dafür, dass das deutsche Gesundheitssystem auf technische Neuerungen reagiert wie ein Maulwurf auf Tageslicht.
Die Verantwortlichen geben sich jedoch gelassen. Alles läuft nach Plan, heißt es. Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist zuversichtlich und lässt keinen Zweifel daran, dass die ePA ein Erfolg wird. Für die Softwarehersteller bedeutet das: schnelle Anpassungen, abgespeckte Zertifizierungsprozesse und der Druck, bloß keinen Fehler zu machen. Für Apotheken und Arztpraxen heißt es derweil: ausprobieren, testen, hoffen. Und falls doch etwas schiefgeht? Nun, dann ist da immer noch der Aktenordner – ein Symbol für die ungebrochene deutsche Liebe zum Papier.
Am Ende bleibt die Frage: Wird die ePA das Gesundheitswesen wirklich revolutionieren oder bleibt sie ein weiteres Beispiel für überambitionierte Pläne, die an der Realität scheitern? Vielleicht beides. Bis dahin sollten wir die Übergangszeit genießen, denn wann hat man schon die Gelegenheit, den digitalen Fortschritt mit einer Prise Papierchaos und Faszination für Faxgeräte zu erleben? In diesem Sinne: Willkommen im neuen, alten Gesundheitswesen.
Von Engin Günder, Fachjournalist