Apotheken gelten als systemrelevant, gesetzlich reguliert und flächendeckend verfügbar – doch ihre operative Realität steht zunehmend im Widerspruch zu ihrer gesellschaftlichen Funktion. Die Digitalisierung, neue gesetzliche Pflichten und die wachsende Verantwortung bei pharmazeutischen Dienstleistungen haben die Anforderungen an Apotheken deutlich erhöht. Gleichzeitig fehlt es an systematischem Risikomanagement, verbindlichen Sicherheitsstandards und branchenspezifisch angepasster Absicherung.
Ein zentrales Problem: Die digitale Transformation der Apothekenbetriebe schreitet voran, ohne dass eine einheitliche Sicherheitsarchitektur existiert. Während E-Rezepte, vernetzte Warenwirtschaft und elektronische Abrechnung längst zum Alltag gehören, bleibt der Schutz vor Cyberangriffen vielfach unzureichend. Zahlreiche Betriebe operieren mit veralteter Technik, ohne Back-up-Systeme oder spezielle Cyberversicherungen. Die Konsequenzen können gravierend sein – von Datenverlusten über Betriebsausfälle bis hin zu DSGVO-relevanten Rechtsfolgen.
Auch im juristischen Bereich steigt der Druck. Apothekerinnen und Apotheker haften persönlich für Verstöße gegen Dokumentationspflichten, Abgaberegeln und Datenschutzvorgaben. Neue Aufgaben wie die Durchführung pharmazeutischer Dienstleistungen oder die Belieferung von Heimen erhöhen die Verantwortung, während gleichzeitig passende Versicherungslösungen oder rechtliche Unterstützung oft fehlen.
Klassische Risiken – etwa Wasserschäden, Brände oder Stromausfälle – treffen Apotheken heute härter als früher. Die technische Komplexität, empfindliche Lagerbestände und die Relevanz kontinuierlicher Betriebsfähigkeit führen dazu, dass bereits kleinere Schadensereignisse zu kritischen Situationen führen können. Dennoch sind viele Policen nicht auf diese branchenspezifischen Anforderungen ausgelegt.
Besonders kritisch: Es existieren keine gesetzlichen Vorgaben zum Risikomanagement in Apotheken. Anders als Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen unterliegen Apotheken keiner Pflicht zur Sicherheitsprüfung, Notfallplanung oder IT-Auditierung. Auch die Berufsvertretungen stellen bislang keine verbindlichen Standards bereit. Die Verantwortung bleibt beim Einzelbetrieb – ungeachtet der systemischen Folgen, die ein Ausfall nach sich ziehen kann.
Ein flächendeckender Schutz der Apothekenbetriebe ist längst überfällig. Er betrifft nicht nur die wirtschaftliche Stabilität einzelner Betriebe, sondern die Versorgungssicherheit ganzer Regionen.
Kommentar:
Wer Versorgung fordert, muss Sicherheit garantieren
Apotheken sind kein optionales Glied der Gesundheitsversorgung – sie sind tragende Struktur. Doch sie arbeiten unter Bedingungen, die ihrer Bedeutung nicht gerecht werden. Die Politik überträgt Verantwortung, ohne Schutz mitzuliefern. Die Digitalisierung wird forciert, ohne für IT-Sicherheit zu sorgen. Neue gesetzliche Leistungen werden verlangt, ohne die damit verbundenen juristischen Risiken systematisch abzusichern.
Das ist nicht nur betriebswirtschaftlich problematisch – es ist gesundheitspolitisch gefährlich. Denn der Ausfall einer Apotheke betrifft nicht nur das Unternehmen selbst, sondern ganze Versorgungsketten. In ländlichen Regionen, in denen Apotheken oft die letzte Anlaufstelle sind, kann ein einziger Ausfall eine strukturelle Versorgungslücke reißen.
Es braucht jetzt eine politische Kurskorrektur: verbindliche Mindeststandards für Cybersicherheit, branchenspezifisch abgestimmte Versicherungskonzepte, rechtliche Klarheit bei neuen Leistungsanforderungen – und vor allem die Einsicht, dass Verantwortung nicht ohne Absicherung übertragbar ist. Apotheken tragen das System mit – aber sie können es nicht allein gegen alle Risiken abschirmen.
Wer von Apotheken Stabilität verlangt, muss sie auch strukturell absichern. Andernfalls bleibt das Gesundheitswesen auf einem Fundament stehen, das bei der nächsten Krise zu brechen droht.
Von Matthias Engler, Fachjournalist