Es gibt einen positiven Zusammenhang zwischen der Anwesenheit kreativer Berufsgruppen und der Wertentwicklung von Immobilien. Eigentümer, die ihre leeren Grundstücke, Büro- oder Ladenflächen heute günstiger an Nutzer aus der Kreativwirtschaft verpachten oder vermieten, haben langfristig Aussicht auf ein rentables Geschäft. Auf eine entsprechende Untersuchung wies Ende vergangener Woche der niederländische Stadtplaner Jeroen Saris anlässlich der Fachtagung "Kreative Quartiere - Chancen für die Immobilienwirtschaft in der Metropole Ruhr" in Dortmund hin. Demnach hatten in Holland die problematischen Stadtteile mit kreativer Betriebsamkeit zwischen 1996 und 2004 ein größeres Wachstum der Immobilienwerte zu verzeichnen wie vergleichbare Stadtteile ohne Kreativwirtschaft. "Hieraus können wir schließen, dass Kreativwirtschaft Werterhöhung bringt", führte Saris aus. Und er ging noch einen Schritt weiter. Er sagte, dass die Daten auch Hinweise darauf geben, wo am besten in die Entwicklung kreativer Quartiere investiert werden soll: "In Stadtgebieten mit industriellem Erbe".
Aus Räumen spannende Orte machen - Vorbild Brooklyn
Was im New Yorker Stadtteil Brooklyn oder in Berlin Prenzlauer Berg gelang, soll auch in Bochum, Dinslaken, Dortmund, Essen, Herne, Mülheim an der Ruhr, Oberhausen und Unna möglich sein. Dies wurde auf der gemeinsamen Veranstaltung von der Wirtschaftsförderung metropoleruhr und der Wirtschaftsförderung der Stadt Dortmund ebenfalls deutlich. Renommierte Wissenschaftler und Stadtplaner bescheinigten den Kreativ.Quartieren der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 jedenfalls großes Potenzial. Sie zeigten in zahlreichen Projektbeispielen bereits gelungene Transformationen auf, die an Rhein und Ruhr als Vorbild dienen könnten. So stellte der britische Städteforscher und Publizist Charles Landry sein Konzept der "Kreativen Stadt" vor. Seiner Einschätzung nach müssen Städte und Regionen, die auch in Zukunft erfolgreich und lebenswert sein wollen, in der Lage sein, kreatives Potenzial auszubilden, anzuziehen und zu halten. Dazu gehört auch, über entsprechende Stadträume zu verfügen - günstige Flächen oder noch nicht reaktivierte Areale, die für Zwischennutzungen geeignet sind. Dies können Industriebrachen, historische Bauten, aufgegebene Brauereien, Zechenareale oder ungenutzte Gewerbeflächen sein. "Es muss immer darum gehen, aus Räumen Orte zu machen, an denen sich die Menschen wohl fühlen und wo sie sich gerne aufhalten", erklärte Landry.
London: "Baut keine Gefängnisse, sondern Regenschirme"
Über einen reichen Erfahrungsschatz als Umnutzungs- und Revitalisierungsexperte verfügt auch der Londoner Stadt- und Regionalplaner Eric Reynolds. Seit den 1970er Jahren war Reynolds an zahlreichen Großprojekten und Umnutzungen in London beteiligt. Als Entwickler übernahm er erfolglos gewordene Shoppingcenter und führte sie zu neuer Blüte, machte aus leerstehenden U-Bahnstationen rentable Einkaufs- und Gastronomieadressen und siedelte kreative Unternehmen in einer revitalisierten Schiffsbojenfabrik an. "Es sind eher die kleinen Projekte und die geringeren Summen, die viel bewirken können", führte er am Beispiel der Umnutzung der Merton Abbey Mills aus. Das älteste erhaltene Industriegebäude Londons sollte abgerissen und durch einen Supermarkt ersetzt werden. Es regte sich Protest. Reynolds erwarb das Grundstück und investierte 1,6 Millionen Euro in die Umwandlung des Areals in einen alternativen Straßenmarkt. Heute arbeiten hier 200 Menschen, die im Jahr mehr als zwei Millionen Euro umsetzen. "Merton Abbay Mills ist eine Touristenattraktion", so Reynolds. An Investoren und Projektentwickler gerichtet erklärte er: "Man muss kreativen Unternehmen Raum für Experimente lassen. Baut keine Gefängnisse, sondern Regenschirme. Kreativität kann in zu perfekten und abgeschlossenen Immobilien auch getötet werden."
Wien: "Coole Orte - wie baut man die?"
Der Urbanist Dr. Oliver Frey von der Technischen Universität in Wien stellte Quartiersentwicklungen in Wien und Linz vor. Er ging der Frage nach, ob kreative Quartiere überhaupt planbar sind. In seinem Beitrag betonte der Wissenschaftler und Buchautor, dass klassische Immobilienkriterien bei kreativen Nutzergruppen versagen können. "Es zählt oftmals nicht die Lage eines Ortes, sondern sein Image. Standorte müssen cool sein. Dies gilt für Stadtteile und für Immobilien", so Frey. Für das Developergeschäft bleibt das nicht ohne Folgen. Denn wer ist nun letztendlich in der Lage, "coole Orte" zu schaffen? Der in Renditekategorien verhaftete Entwickler oder der kreative Nutzer selbst? Die Beiträge des Tages belegten: beides ist möglich.
Reelle und virtuelle Räume mit einander verknüpfen
Aus Sicht des deutschen Architekten und Projektentwicklers Achim Nagel suchen Mietinteressenten aus der Kreativwirtschaft nicht nur einfach Arbeitsräume, sondern immer auch die räumliche Nähe zu Gleichgesinnten. Immobilien mit angegliederten Showrooms, Veranstaltungen oder Gastronomie böten diesen Nutzern eine ideale Plattform - auch zur Gründung von Communities. Dies skizzierte der Geschäftsführer der Primus Developments GmbH anhand des designbezogenen KAP-Forums im Kölner Rheinauhafen sowie am Projekt Designport in der Hamburger HafenCity.
Metropole Ruhr: Kreative arbeiten nicht von zuhause aus
Wer sind die Kreativen in der Metropole Ruhr und welche Wünsche an ihre Arbeitsumgebung haben sie? Thomas Abraham und Timo Heyn von Empirica Qualitative Marktforschung, Stadt- und Strukturforschung GmbH stellten erste Daten einer statistischen Analyse zur Beschäftigungssituation der Kreativen in der Metropole Ruhr vor. Demnach gab es 2007 rund 90.000 Menschen, die in der Kultur- und Kreativwirtschaft beschäftigt waren und einen Umsatz von 6,1 Milliarden Euro generierten. Eine erste Umfrage unter 50 Unternehmen ergab zudem, dass es sich um eine kleinteilig strukturierte Branche handelt: Viele Kreative sind als Freiberufler tätig. Wer ein Unternehmen hat, beschäftigt im Schnitt zwei bis drei Mitarbeiter. "Erstaunlich für uns war, dass die meisten Kreativunternehmen nicht von zuhause aus arbeiten und mit ihrer jetzigen Raumsituation sehr zufrieden sind", so Abraham. Die genauen Ergebnisse der von der Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH beauftragten Studie werden Anfang nächsten Jahres vorgestellt.
Kreativ.Quartiere in der Metropole Ruhr: Potenziale für die Zukunft
Über die gesamte Metropole Ruhr verteilen sich kreative Orte und heben sich von den bevorzugten Quartieren anderer Branchen ab: Kreative Akteure nutzen vor allem Stadträume, die eher nicht zu den boomenden Entwicklungsräumen der Städte zählen, etwa Altbauquartiere, leere Ladenlokale, aufgegebene Zechen oder ehemalige Industrieflächen. Einige von ihnen wurden am Veranstaltungsnachmittag vorgestellt.
So beispielsweise die ehemalige Tuchfabrik Scheidt'sche Hallen in Essen-Kettwig. Hier finden Designer, Fotografen und Architekten Hallen als Atelier- und Ausstellungsräume. Initiator Heinz Schnetger, Geschäftsführer der GKK Grundstücksgesellschaft Kettwig: "Auch Agenturen und Künstler siedeln sich bei uns an. Weitere entwicklungsoffene Bereiche schaffen zusätzliche Gestaltungsfreiheit auf dem Areal."
Ein weiteres Beispiel findet sich in Dortmund. Auf der Fläche der ehemaligen Union- Brauerei entsteht derzeit ein Zentrum für Kunst und Kreativität, das Kreativ.Quartier Dortmunder U. Im Mittelpunkt steht der U-Turm als Industriedenkmal und Symbol des Wandels hin zur Wissensgesellschaft. Neben dem Museum am Ostwall, das dort auf zwei Etagen eine neue Heimat findet, ziehen unter anderem Institute und Forschungsbereiche derTechnischen Universität Dortmund und der Fachhochschule Dortmund sowie das neue "European Centre for Creative Economy" (ECCE) in den Brauereiturm. "Im Umkreis sollen sich musik- und eventorientierte Unternehmen ansiedeln", sagt Thomas Ellerkamp, stellvertretender Leiter der Wirtschaftsförderung Dortmund.
Über eine Länge von 10 Kilometern erstreckt sich das Kreativ.Quartier.Am Kanal in Herne. Keimzelle bildet hier die Künstlerzeche "Unser Fritz", die inzwischen seit 45 Jahren von Künstlern und Kreativen genutzt wird. Im Umkreis der Zeche soll sich ein Pionierland für kreative Köpfe bilden. Im Januar 2009 wurde die Sanierung der ehemaligen Maschinenhalle abgeschlossen. "Jetzt warten in der nicht mehr genutzten Dannekampschule helle Räume und ein weitläufiges Außengelände auf neue Nutzer", so Frau Dr. Evelyn Stober von der Wirtschaftsförderung Herne.
Das Konzept für die Umwandlung des erst 2005 geschlossenen Bergwerkstandortes Dinslaken Lohberg hat die Eigentümerin RAG Montan Immobilien GmbH gemeinsam mit 90 Kreativen entwickelt. Mit der historischen Gartenstadt und den angrenzenden Halden bietet Lohberg eine inspirierende Mischung aus Industriedenkmal und Naturareal. Kunstinstallationen und temporäre Nutzungen sind auf dem 40,5 Hektar großen Areal des Kreativ.Quartiers Lohberg möglich. "Wenn Künstler einmal kommen, dann wird die Lage schnell zu einem Selbstläufer", so die Erfahrung von Prof. Hans-Peter Noll, Geschäftsführer der RAG Montan Immobilien GmbH.
Keine große zusammenhängende Fläche, sondern ein urbanes und gut erschlossenes Stadtviertel, das Lücken aufweist - so wäre das Quartier Altmarkt in Oberhausen am ehesten zu charakterisieren. Es umfasst das Gebiet rund um die ehemalige Haupteinkaufsstraße Marktstraße in zentraler Citylage, mit Geschäften und Kneipen. Aber auch mit vielen Leerständen, Folge eines Shoppingcenters, das vor einigen Jahren außerhalb der Innenstadt errichtet wurde. Jetzt finden Kreative und Künstler in den leeren Büros und Ladenlokalen günstige Experimentier- und Arbeitsräume. Wenige Gehminuten entfernt liegt der Wasserturm des Hauptbahnhofs Oberhausen. Das Baudenkmal wird für temporäre Veranstaltungen wie Kunstausstellungen, Workshops und Installationen genutzt. "Hier wird gewissermaßen die ganze Innenstadt zum Kreativquartier erklärt. Kreative sind in Oberhausen längst Treiber für die Stadtentwicklung geworden", sagt Burkhard Koch, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Oberhausen.
Unna-Massen. Das Kompetenzzentrum für Integration Unna-Massen war die zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge und Zuwanderer in NRW. Nun wird sie so nicht mehr gebraucht. Bis zum nächsten Jahr werden auf einer 20.000 Quadratmeter großen Fläche rund 40 Gebäude leer stehen, darunter eine Schule und viele Werkstätten. Hier könnten Wohn- und Arbeitsräume für 300 Menschen entstehen. Vorbild der Quartiersentwicklung ist die Villa Massimo in Rom, eine Auslandsakademie für Künstler, die auch Partner des Projektes ist. "Die Akademie ist als Zukunftsmodell mit Residenzprogrammen und Weiterbildungsangeboten für Kreative aus ganz Europa angelegt. Die Immobilien sind zum Teil noch komplett eingerichtet. Man kann hier morgen einziehen und arbeiten", sagt Prof. Dr. Ursula Sinnreich von den Kulturbetrieben Unna.
Kein Standort im Werden, sondern heute schon eine erfolgreiche Themenimmobilie: die Games Factory in Mülheim an der Ruhr. Auf 2.000 Quadratmetern Fläche finden Unternehmen aus der Software- und Spieleindustrie kurzfristig flexible Arbeits- und Produktionsflächen. Vier Studios mit zusammen 30 Mitarbeitern sind hier inzwischen heimisch geworden. "Immobilienanbieter müssen verstehen, dass es sich bei Nutzern aus der Kreativwirtschaft um Firmen mit eher kleinem und auch spontanem Flächenbedarf handelt", sagt Jürgen Schnitzmeier, Geschäftsführer der Mülheim &Business GmbH. Der Vermarktungserfolg der Games Factory spricht für sich: Innerhalb von sechs Monaten waren ein Drittel der Flächen vergeben.
Im sogenannten Gleisdreieck findet sich eine der letzten Brachflächen in der Bochumer Innenstadt. Hier, zwischen dem Schauspielhaus und dem legendären Freizeit- und Ausgehviertel Bermunda-Dreieck, sollen sich weitere Theater, Wissenschafts- und Ausbildungsinstitute sowie Kultureinrichtungen ansiedeln. Die zentrale Entwicklungsfläche für Privatunternehmen aus der Kreativwirtschaft ist das ehemalige Hauptbahnhofsgelände City-Tor-Süd. Das ViktoriaQuartierBochum soll als überregional bekannte Marke Nutzer aus der Kreativwirtschaft ansprechen. "Wir haben in unserer Stadt allein zehn Hochschulen. Für die Flächen im ViktoriaQuartier konnten wir aber noch keinen Ankernutzer identifizieren. Also müssen wir die Potenziale des Areals aggressiver vermarkten", sagte Dr. Patrick Dufour von der Wirtschaftsförderung Bochum.