Von der Forschung in den Lernalltag
Die Sprachwissenschaft beschäftigt sich schon länger mit den Zusammenhängen zwischen Sprache und der Ausführung von Gesten. Obwohl die Effektivität des sogenannten “gestischen Lernens” gut untersucht und belegt ist, hat diese Lernmethode noch nicht den Weg in den Lernalltag gefunden. Sprachwissenschaftler Dr. Christian Ebert wollte das ändern: “Die Vision, solche Erkenntnisse in einer zeitgemäßen Form zugänglich zu machen, hat mich einfach nicht losgelassen.”
Erste Studien an der Uni Tübingen
Ebert forschte und lehrte von 2009 bis 2017 als akademischer Rat an der Universität Tübingen im Bereich Computerlinguistik und Sprachwissenschaft und begann dort gestenbasierte Lernstrategien zu entwickeln. Seine wissenschaftliche Hilfskraft Christopher Dilley programmierte den ersten Prototypen zu Eberts Idee, welcher sogleich in ersten Pilotstudien getestet wurde: Versuchsteilnehmer lernten Vokabeln einer Fremdsprache auf einem Smart Device mit Touchscreen und führten zu jedem Wort passende Fingergesten auf einer Animation aus. Eine Vergleichsgruppe lernte währenddessen nur mit Text.
Die Ergebnisse zeigten deutlich, dass die Merkleistung der Probanden, welche mit Gesten lernte, signifikant besser war. Insbesondere die mittel- und langfristige Gedächtnisleistung wurde durch das gestische Lernen gesteigert.
Lernen mit Bewegung
Das gestische Vokabellernen bedient sich der neuronalen Verknüpfung zwischen Sprachverstehen und Handlung und aktiviert daher mehr Gehirnareale als beispielsweise das Lernen mit dem Karteikasten. Auch die Aktivität des Nutzers beim Lernen führt zu nachhaltigeren Lernerfolgen im Vergleich zur rein passiven Rezeption von Lerninhalten. “Wir wussten, dass all diese Erkenntnisse riesiges Potential hatten und es war klar, dass man das unbedingt zum Vokabellernen einsetzen muss”, so Ebert, “doch wie baut man Gesten nutzerfreundlich im Lernalltag ein?”
Digitale Möglichkeiten voll ausschöpfen
Die Lösung war die Entwicklung einer Lern-App für Smartphone und Tablet. Dort können Gesten mit den Fingern auf dem Touchscreen aktiv ausgeführt und mit Elementen wie Animationen und Audio verknüpft werden. Mit Designerin Lea Schumm wurde eine Kreativ-Kraft gefunden, die der App ein zielgruppengerechtes User-Interface gab und entsprechende Animationen entwickelte. Schumm erfand die Figur “Bo”, einen sympathischen Lernroboter, der den Nutzer durch die App begleitet und zum Ausführen von Gesten anleitet, indem er die Vokabeln darstellt. Mit diesen multisensorischen Ansatz wird der Wortschatz schneller und länger im Gedächtnis verankert, wie Ebert in Studien belegen konnte.
Das Forscherteam baute außerdem einen intelligenten Algorithmus ein, der sich an das Lernverhalten des Users anpasst und so den Lernprozess individualisiert. Auf diese Weise schöpft die App die digitalen Möglichkeiten von Smartphones und Tablets voll aus und wird zu einem sinnvollen und effektiven Werkzeug zum Vokabellernen.
Die Ausgründung
Mit dem Konzept für die App bewarb sich das Team mit der Unterstützung der Universität Tübingen erfolgreich für das EXIST-Gründerstipendium für innovative technologieorientierte Projekte. Prof. Detmar Meurers, Professor für Computerlinguistik und Direktor des Seminars für Sprachwissenschaft der Universität Tübingen, unterstützte als Mentor die Gründung der cabuu GmbH. Nach weiteren Monaten der intensiven Weiterentwicklung der App erschien nun zum Schulanfang 2019 die Vollversion von “cabuu” in den App-Stores von Apple und Google.
Ausgezeichnet und gefördert
Über 100.000 Downloads zählt das Start-up bisher. “Die Resonanz ist gut - viele Schüler berichten, dass sie bessere Vokabeltests schreiben und Eltern, dass ihre Kinder motivierter lernen. Jetzt gilt es, an den Feinheiten zu schrauben”, so Ebert. Das Konzept überzeugte auch das wissenschaftliche Expertengremium der Gesellschaft für Pädagogik, Information und Medien e. V.: Sie zeichnete die App mit dem renommierten Comenius-EduMedia-Award Siegel für herausragende digitale Bildungsmedien aus. Gefördert wird das Unternehmen außerdem vom Digital Content Funding, einem Förderprogramm der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, welches innovative, pädagogisch wertvolle digitale Projekte aus Baden-Württemberg unterstützt.
Erfolgreiche Ausgründung dank wissenschaftlichen Support
Die Universität Tübingen bekennt sich in ihrem Leitbild zu anwendungsbezogener Forschung, bestätigt Ebert: “Der Support durch die Uni Tübingen hat uns gute Starthilfe gegeben. Wir profitieren von professioneller wissenschaftlicher Begleitung, den Kontakten zu Experten sowie einem Gründernetzwerk, das bis heute noch hinter dem Projekt cabuu steht”. Erfolgreiche universitäre Ausgründungen wie die cabuu GmbH transferieren wissenschaftliches Know-how in Wirtschaft und Alltag - ganz dem Wunsch Eberts entsprechend, neue Lernmethoden aus Forschung für Sprachenlerner zugänglich zu machen.