Gut 120 Teilnehmer/-innen hatten sich am 7. November auf Einladung der DAW SE in Ober-Ramstadt eingefunden; was sie dort erlebten, war ein von A bis Z außergewöhnlicher Werkstofftag: Dieses Mal gab es keine neuen Produkte zu bestaunen, galt es keine ausgeklügelten Werkstoff-Kombinationen zu verstehen. Vielmehr hatte Franz Xaver Neuer, Technischer Leiter Caparol, Themen auf die Agenda gesetzt, die Mut und Weitsicht zugleich bewiesen: „Wir haben es mit einem Paradigmenwandel zu tun, der das Handwerk, wie wir es heute kennen, grundlegend verändern wird. Daraus resultiert erheblicher Gesprächsbedarf, dem Caparol mit diesem Werkstofftag ein Forum bietet“, merkte Neuer an, der den traditionsreichen Branchentreff – im Wechsel mit DAW-Innovationsmanager Uwe Michaelis – moderierte.
Produktivität erhöhen
Firmenchef Dr. Ralf Murjahn stellte die Notwendigkeit zur Rationalisierung und Effizienzsteigerung in Handwerk und Industrie in den Mittelpunkt seiner Rede: „Das ökonomische Umfeld verdunkelt sich zunehmend. Eine Besserung der Situation ist nicht in Sicht, und auch von Seiten der Politik gibt es keine Maßnahmen, die Wirtschaft zu stärken und leistungsfähiger zu machen.“ Die aktuelle Lage sei dadurch gekennzeichnet, dass es weder Wachstum noch Inflation gebe. „Wenn man in einem solchen Umfeld als Hersteller und Handwerk bestehen will, bleibt einem keine andere Wahl, als seine Produktivität deutlich und kontinuierlich zu erhöhen.“ Dass Caparol der richtige Partner ist, Handwerksbetriebe mit Produkten, Dienstleistungen und Schulungen zu den besten und effizientesten Unternehmen zu machen und sie auf dem Weg in die Zukunft zu begleiten, verdeutlichte der Werkstofftag in eindrucksvoller Weise.
Stefan Ehle, Vorsitzender des Ausschusses für Technik, Werkstoff und Umwelt (TWU) im Bundesverband Farbe Gestaltung Bautenschutz, erwartet vom verarbeitenden Handwerk konsequente Innovationsbereitschaft, um auf die sich abzeichnenden Veränderungen im Markt angemessen reagieren zu können: „Statt vorteilhafte Applikationsverfahren wie das farbnebelfreie Spritzen zu nutzen, um die eigene Wertschöpfung zu steigern und in Maßnahmen zur Verstetigung zu investieren, werden betriebliche Mehreinnahmen allzu oft reflexartig verschenkt, indem man ohne Not die Preise senkt.“, monierte er und folgerte, dass die digitale Ausrichtung des Handwerks ein Prozess ist, der noch viele Jahre Zeit in Anspruch nehmen wird. In den sich gegenwärtig abzeichnenden Umwälzungen lägen aber auch besondere Chancen für den technikaffinen Nachwuchs, für den das Smartphone schon heute ständiger Begleiter durch den Alltag ist. „Warum sollten Handwerker mobile Endgeräte nicht auch für digitale Aufzeichnungen auf Baustellen nutzen? Das wäre wesentlich einfacher und ginge zudem schneller als das Ausfüllen von Arbeitsnachweisen auf Papier“, regte er an.
Nespri-TEC: Optimale Wertschöpfung
Einer, der schon seit mehr als 25 Jahren aus tiefster Überzeugung auf Technikeinsatz setzt, ist Malermeister Horst Hubka. In München leitet er gleich drei Betriebe, zudem unterrichtet er an der Meister- und Technikerschule Arbeitsvorbereitung und Kalkulation. Spritzapplikation ist bei ihm gelebter Standard. Dafür und für die weitere tägliche Logistik hat er sich mehrere Spezialfahrzeuge zugelegt, die u.a. mit dem kompletten Nespri-TEC-Equipment, einer Caparol-Lackauswahl, Spritzzubehör sowie dem gesamten Maler-Baustellenequipment ausgestattet sind. „Die Rüstzeit auf der Baustelle dauert selten mehr als sieben Minuten, dann fangen meine Mitarbeiter auch schon mit dem Beschichten an“, erklärte der technikbegeisterte Malermeister. „Es geht darum, mit unserer Arbeit maximale Wertschöpfung, aber auch optimale Qualität zu erzielen. Pro Tag laufen bei uns drei bis fünf Airless-Geräte. Wir spritzen sehr viele Oberflächen, sind voll und ganz auf Technik eingestellt. Wir profitieren dadurch von erheblichen Zeitgewinnen und optimaler Qualität der Oberflächen. Das Spritzlackieren des Treppengeländers eines siebengeschossigen Hauses beispielsweise wird bei uns in anderthalb Stunden erledigt, mittels Elektrostatik-Aircoat-Verfahren“, erläuterte Horst Hubka. Ganz im Sinne seines Vorredners widmete sich Viktor Sorg, Director Product Management der J. Wagner GmbH aus Markdorf, der Trias >Digitalisierung, Automatisierung, Robotik<: „45 Prozent der Handwerksbetriebe haben die Digitalisierung bereits in ihre Unternehmensstrategie integriert.“ Sorg äußerte sich daher zuversichtlich, dass aufgeschlossene Maler auf lange Sicht von den neuen technischen Möglichkeiten profitieren werden, wozu die Wagner Group einen substanziellen Beitrag leisten will.
„Kooperative Roboter“ als Assistenten
Einen spannenden Ausblick in die Zukunft des Handwerks bot M. Sc. Wirtschaftsingenieur Carsten Diederich, der sich bei der DAW mit Foresight befasst, worunter die Abschätzung der Folgen von Trends und Technologien zu verstehen ist. „Seit geraumer Zeit schon steigt die Zahl der Patentanmeldungen für Beschichtungs-Roboter. Auf der ganzen Welt werden Prototypen entwickelt, von denen einige kurz vor der Erprobung am Markt stehen. Dabei handelt es sich um so genannte Cobots bzw. ‚kooperative Roboter‘, die wie Assistenten des Handwerkers fungieren. Der Maler programmiert die Aufgabenstellung, behält während der Ausführung sämtliche Vorgänge im Auge und beseitigt Umfeldstörungen; der Cobot trägt die gewünschte Farbe oder den Lack selbsttätig auf. Diese Arbeitsteilung von Mensch und Maschine macht die Ausführung schneller und effizienter, dies gilt besonders für große Flächen. In beengten räumlichen Verhältnissen präzise Arbeiten auszuführen, wird auch längerfristig die Aufgabe professioneller Maler bleiben“, führte Diederich aus.
Beschichtungs-Roboter im Kommen
Eine spontane Umfrage unter den rund 120 Teilnehmern des diesjährigen Caparol Werkstofftags ergab, dass die meisten Fachleute erwarten, dass ‚Painting Cobots‘ innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre auch in Deutschland eingesetzt werden.
„Immer mehr handwerkliche Prozesse wandern von der Baustelle in die Halle“, eröffnete Heiko Stark seinen Vortrag und lenkte die Aufmerksamkeit der Zuhörer damit vom ‚Ort des Bau-Geschehens‘ zum ‚Ort des Bau-Entstehens‘. Der Leiter des DAW-Geschäftsfeldes Gebäudehülle setzte sich mit dem Trend zur „Prefabrication“ auseinander, der maschinenunterstützten Vorfertigung von Gebäuden in immer größeren, komplexeren und kompletteren Teilen. Bereits in der Nachkriegszeit stand das serielle Bauen mit gleichförmigen Elementen hoch im Kurs, um in kurzer Zeit viel Wohnraum zum günstigen Preis zu schaffen. Heute mangelt es in Deutschland erneut an Wohnraum – aktuell fehlen rund 400.000 Wohneinheiten. Um das Problem in den Griff zu bekommen, bietet sich unter anderem das Aufstocken von Bestandgebäuden an. Bis zu 1,5 Mio. neue Wohnungen könnten so in städtischen und stadtnahen Lagen entstehen. Das käme zugleich der Tatsache entgegen, dass es immer mehr Menschen in die Metropolen zieht. Die Nachfrage nach Gebäuden aus vorgefertigten Teilen und modularen Einheiten wächst dementsprechend viermal schneller als der konventionelle Bausektor. Grund genug für die DAW, diese Entwicklung aufmerksam zu begleiten: „Es ist ein dynamischer Markt, der nach spezifisch abgestimmten Gestaltungsmitteln und Beschichtungsmethoden verlangt, um die wir uns mit gebotenem Qualitätsbewusstsein kümmern.“
Digitale Entwurfsgestaltung
Dipl.-Industriedesigner Pasquale DeGennaro vom Caparol FarbDesignStudio machte deutlich, dass in der digitalen Entwurfsgestaltung ein Stück Zukunft des Handwerks liegt: „Nehmen wir die Spectrum5-Software für fotorealistische Gestaltungen: Das FarbDesignStudio entwirft und speichert die Gestaltung eines Raumes oder einer Fassade als PDF auf einer Cloud. Der Mitarbeiter im Außendienst lädt sich die Datei herunter und geht damit zum Kunden; auf seinem Laptop kann er bei Bedarf direkt in der Datei Änderungen am Entwurf vornehmen. Die abgespeicherte Umgestaltung legt er wiederum auf der ‚digitalen Wolke‘ ab, auf die das FarbDesignStudio Zugriff hat. Dort werden die Änderungen auf Machbarkeit geprüft und in Materialbedarfe umgerechnet; der Fachberater hat auf diese Weise ortsunabhängig sowohl die Neugestaltung als auch die kaufmännischen Details vor Augen.“
Über die erfolgreiche Digitalisierung eines Malerbetriebs berichtete Maler- und Lackierermeister Frank Oswald, Geschäftsführer der Adam Oswald GmbH aus Geisenheim im Rheingau: „Für uns ist das Smartphone ein ganz normales Werkzeug.“ Den Einsatz solcher digitalen Helfer sieht er positiv, da ihre Bedienung intuitiv erfolgt. „App-Anwendungen können die Präsentation von Gestaltungsvorschlägen enorm erleichtern. Man weiß am Anfang allerdings nicht, wo man anfangen soll. Deshalb empfehle ich bei der Umstellung auf digitale Medien – ob es betriebliche Anwesenheits- und Tätigkeitsnachweise oder gestalterische Nutzungen sind – den Weg der kleinen, nachvollziehbaren Schritte“, riet Oswald seinen Kollegen.
Unternehmerisch Denken und Handels
Dass der technologische Fortschritt neue Ausbildungsformen und -inhalte bedingt, beschäftigte Konrad Martini, stv. Leiter der Schule für Farbe und Gestaltung in Stuttgart. Er betonte, dass in Zukunft mehr denn je ganzheitlich ausgebildete Fach- und Führungskräfte gefordert sein werden, die sich auf ihr Handwerk verstehen, und dabei unternehmerisches Denken und Handeln verinnerlicht haben. Von seiner gelungenen Weiterbildung für die berufliche Praxis an der Akademie für Betriebsmanagement in Stuttgart berichtete zum Abschluss Hugo Geiling: „Erst messen und durchrechnen, dann empfehlen und entstehen lassen“, lautete sein Credo. Einig waren sich Oliver Heib, Vorsitzender Bundesverband Ausbau und Fassade, und Jan Bauer, Präsident Bundesverband Farbe Gestaltung Bautenschutz, in ihrer Beurteilung der Perspektiven, die sich aus den technologischen Neuerungen für das Stuckateur- sowie das Maler- und Lackiererhandwerk ergeben: „Veränderungen passieren. Mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen arbeitet heute in Berufen, die es vor hundert Jahren noch nicht gab. Stellen wir uns den Herausforderungen der Zukunft daher in engem gegenseitigem Austausch zwischen unseren Verbänden. Dabei wird eine wesentliche Aufgabe sein, trotz allen Fortschritts den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Weil Wertschöpfung und Wertschätzung im Handwerk untrennbar verbunden sind. Das soll auch so bleiben.“
Ausblick: Der 23. Caparol-Werkstofftag findet am 5. November 2020 statt.
Text: Achim Zielke
*Bild: Konrad Martini (links), stv. Leiter der Schule für Farbe und Gestaltung in Stuttgart, führte vor Augen, dass die duale Ausbildung des handwerklichen Nachwuchses mit technologischen Herausforderungen wie der Digitalisierung Schritt halten muss. An die politisch Verantwortlichen richtete er den Appell, die dafür nötigen personellen und finanziellen Ressourcen bereitzustellen. Dass eine intensive Ausbildung im Handwerk Früchte trägt, zeigt das Beispiel von Meisterschüler Hugo Geiling (rechts), der den elterlichen Betrieb weiterführen und mittels digitaler Techniken zukunftsfähig machen will / Foto: Caparol Farben Lacke Bautenschutz/Achim Zielke