Dass die Zahl der Ausbildungsverträge im vergangenen Jahr zurückgegangen ist (IHK: - 12,7 Prozent, HWK: - 10,1 Prozent), stehe dazu nicht im Widerspruch. Der Rückgang sei vielmehr ein Zeichen dafür, dass sich der Ausbildungsmarkt in einem fundamentalen Wandel befindet: Aus demographischen Gründen geht die Zahl der Schulabgänger kontinuierlich zurück, allein in den kommenden 10 Jahren um gut ein Drittel. Hinzu kommt, dass der Anteil der Jugendlichen, die sich für ein Studium entscheiden, weiter wächst. Inzwischen beginnen bereits mehr Jugendliche ein Studium als eine duale Ausbildung. Die Folge: Bewerber für die duale Ausbildung werden zunehmend knapp. "Zahlreiche kleine Betriebe bilden schon jetzt nicht mehr aus, weil sie keine geeigneten Bewerber finden können", so Wegner.
Den grundlegenden Wandel am Ausbildungsmarkt belegen auch folgende Fakten:
· Es gibt aktuell mehr offene Stellen als Bewerber (1 800 Stellen gegenüber 1 400 Bewerbern).
· Bereits in den vergangenen Jahren gab es zum Ende des Ausbildungsjahres jeweils nur noch rund 50 unversorgte Bewerber, aber mehr als 300 Ausbildungsplätze, die nicht besetzt werden konnten, weil es keine geeigneten Bewerber gab.
· Die Zahl der so genannten "Altbewerber" ist von Jahr zu Jahr gesunken.
· Bei der Kennzahl "neue Ausbildungsverträge je 100 Schulabgänger" liegt das Land im Reigen der Bundesländer hinter den Stadtstaaten Hamburg und Bremen auf dem dritten Platz. Saarländische Jugendliche haben also weiterhin bessere Chancen, einen Ausbildungsplatz zu finden als Bewerber in den anderen Flächenländern.
Von einem Rückzug der Wirtschaft aus der dualen Ausbildung könne vor diesem Hintergrund keine Rede sein. Im Gegenteil: Die Wirtschaft und ihre Organisationen investierten heute mehr denn je in die berufliche Ausbildung. Dr. Weber: "Unsere Unternehmen wissen: Wir müssen in der beruflichen Ausbildung alle Potenziale heben. Sonst wird der Fachkräftemangel schon bald zur Wachstumsbremse. Viele Unternehmen haben deshalb in den vergangenen Jahren über ihren eigenen Bedarf hinaus ausgebildet. Davon profitierten wir heute."
Ausbildungsreife verbessern!
Nach Auffassung der Kammern müssen jetzt auch Schulen und Eltern ihren Beitrag leisten. Wegner: "Die Landesregierung ist gefordert, die Qualitätsoffensive an den Schulen konsequent fortsetzen. Jeder Jugendliche sollte einen Schulabschluss machen und die grundlegenden Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen beherrschen." Es könne und dürfe nicht dabei bleiben, dass gut fünf Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss verlassen und jeder sechste Jugendliche nur bedingt ausbildungsfähig ist. "In der Ausbildungsphase lässt sich zwar noch die eine oder andere Schwäche beheben. Unsere Unternehmen können aber nicht auf Dauer "Reparaturbetriebe" der Schulen zu sein", so Weber.
Berufsorientierung verbessern und Ausbildungsabbrüche reduzieren!
Gemeinsam treten beide Kammern dafür ein, die Berufs- und Studienorientierung an den Schulen nachhaltig zu verbessern. Es sei ein Armutszeugnis, wenn junge Menschen heute noch die Schule verlassen, ohne konkrete Vorstellung davon, welche Vielfalt an Möglichkeiten ihnen berufliche Ausbildung, Studium und Arbeitsmarkt bieten. "Wir brauchen eine frühzeitige und umfassende Berufsorientierung an allen Schulen und in allen Schulformen - schon deshalb, damit Jugendliche nach ihrer Schulzeit eine fundierte Berufswahlentscheidung treffen können. Damit ließen sich Fehlentscheidungen und unproduktive Umwege ebenso vermeiden wie die nach wie vor hohe Zahl an Ausbildungs- und Studienabbrüchen", ist sich Weber sicher. "Eine gewissenhafte Vorbereitung der jungen Menschen auf das Berufsleben gehört ebenso in unsere Schulen wie die Vermittlung von Grundkenntnissen über wirtschaftliche Zusammenhänge", ergänzt Wegner. Die Entscheidung Baden-Württembergs, ein eigenes Schulfach "Wirtschaft und Berufsorientierung" einzuführen, sei dazu ein richtiger Ansatz. Vielleicht finde sich im Saarland ja ein Weg, dieses Fach ohne nennenswerte Mehrkosten einzuführen.
Als vorbildlich bewerten beide Kammern die im Saarland bestehenden Kooperationen zwischen Schulen und Unternehmen; sie ermöglichten es vielen Jugendlichen, schon frühzeitig praktische Einblicke in die Berufs- und Arbeitswelt zu gewinnen. Auch das Projekt "AnschlussDirekt" zeige beispielhaft, wie sich über eine gute Berufsorientierung und eine individuelle Betreuung deutlich mehr Jugendliche für eine berufliche Ausbildung gewinnen lassen, wie unnötige Warteschleifen vermieden und Abbrecherquoten gesenkt werden können.
Jugendliche mit Migrationshintergrund noch offensiver ansprechen
Noch immer entscheiden sich Jugendliche mit Migrationshintergrund deutlich seltener für eine berufliche Ausbildung als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Die Gründe dafür liegen nur teilweise in einer eingeschränkten Sprachkompetenz. Ein noch größeres Hindernis bildet die unzureichende Information dieser Jugendlichen und ihrer Eltern über die Möglichkeiten und Vorteile des dualen Ausbildungssystems; viele verzichten deshalb ganz auf eine weitere Ausbildung und suchen unmittelbar nach ihrer schulischen Ausbildung eine Beschäftigung. "Hier wollen wir künftig noch stärker ansetzen, auch mit eigenen Mitarbeitern, die sich in diesem Bevölkerungsteil auskennen", so Dr. Weber. "Auf interkulturellen Ausbildungstagen und gemeinsamen Veranstaltungen mit den Elternvereinigungen der einzelnen Nationalitäten werden wir offensiv und gezielt über die Chancen einer dualen Ausbildung informieren. Ich bin sicher, dass eine solche Informationsoffensive, ergänzt durch eine individuelle Beratung, den gewünschten Erfolg bringen kann. "
Mehr Gymnasiasten für eine duale Ausbildung gewinnen!
Bei Abiturienten ist seit Jahren ein anhaltender Trend in Richtung Studium zu erkennen. Zudem wechseln immer mehr Realschüler nach der zehnten Klasse in die Oberstufe eines Gymnasiums oder auf eine Fachoberschule. "Ganz klar: Wer das Zeug zum Studium hat, soll auch studieren dürfen. Ich wage aber zu behaupten, dass noch lange nicht jeder, der sein Abitur geschafft hat, auch an der Hochschule am besten aufgehoben ist. Das zeigt sich nicht zuletzt an der steigenden Zahl an Studienabbrüchen", erklärt Bernd Wegner. "Ein Studienabbruch ist zwar keine Schande, aber in jedem Fall ein Umweg. Oft könnte ein solcher Umweg vermieden werden, wenn schon in der Schule eine bessere Berufsorientierung stattfände." Deshalb sei es wichtig, gerade auch an den Gymnasien und Fachoberschulen intensiv über die Chancen der dualen Ausbildung zu informieren. "Ein Fehlstart in den Beruf ist für die jungen Menschen frustrierend und für die Gesellschaft sehr teuer", so Dr. Weber. Die duale Ausbildung könne gerade für Leistungsstärkere mit eher praktischer Begabung der richtige Karriereeinstieg sein. Eine Akademisierung um jeden Preis sei ein Irrweg - und nicht zuletzt mit ein Grund für die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa.
Deshalb müsse die duale Ausbildung wieder die Wertschätzung erfahren, die sie verdiene, sind sich Weber und Wegner sicher. Eine duale Ausbildung biete nicht nur eine solide und hochwertige Qualifizierung, sie eröffne auch vielfältige Karrierechancen. Trotzdem wisse kaum ein Schüler, dass Industrie- und Handwerksmeister besser verdienten als viele Akademiker. "Viele Länder beneiden uns um die duale Ausbildung", so Weber. "Es ist höchste Zeit, ihr auch im Inland wieder die Anerkennung zu Teil werden zu lassen, die sie verdient. Wir werden daher unser Marketing für die duale Ausbildung in Zukunft weiter verstärken."
Attraktive Angebote auch für Studienabbrecher
Je nach Fachrichtung schließen nur zwischen 30 und 60 Prozent der Studierenden ihr Studium ab. Einige davon wechseln zwar nur Studienfach oder Studienort und können ihr Studium danach noch mit Erfolg beenden. Ein großer Teil jedoch gesteht sich erst nach längerer Zeit ein, dass die Entscheidung für ein Hochschulstudium falsch war und sucht dann ohne Studienabschluss direkt eine Beschäftigung. "Mit gezielter Ansprache und Beratung - zum Teil auch vor Ort in den Hochschulen - wollen wir diesen jungen Menschen Perspektiven aufzeigen und sie möglichst früh für eine berufliche Ausbildung gewinnen. Dazu werden IHK und HWK sehr eng zusammen arbeiten, so Wegner. "Wir werden eine intensive, sehr individuelle Beratung anbieten - von der Suche nach dem passenden Qualifizierungsweg bis zur möglichst weitgehenden Anrechnung der schon erbrachten Studienleistungen. Industrie, Handel und Handwerk bieten Studienabbrechern, die diesen Weg gehen, interessante Karrierechancen. Wir wollen den jungen Menschen helfen, diese Chancen zu nutzen."