Viele Unternehmen schauen denjenigen über die Schulter, die die Transformation bereits durchlaufen haben, um deren Best Practices bei der eigenen Transformation anzuwenden. Doch sind diese Best Practices und Erfahrungen Einzelner einfach replizierbar? Darüber hat Ulrich Parthier, Herausgeber IT-Management, mit Patric Dahse, CEO von Natuvion, gesprochen.
Die Transformation auf SAP S/4HANA ist ein hoch aktuelles Thema und es scheint keine leichte Aufgabe zu sein. Immerhin hat SAP seinen Kunden schon mehrfach Hilfestellung gegeben, um endlich die alten Versionen auf End of Life zu setzen. Wie sehen Sie als einer der großen Transformationsdienstleister die aktuelle Lage?
Patric Dahse: Eine SAP S/4HANA Transformation ist kein Spaziergang. Die Altsysteme laufen seit vielen Jahren, sind teilweise in einem extremen Ausmaß individualisiert, schlecht dokumentiert und die Daten sind oft dürftig gewartet.
Deswegen haben viele Unternehmen ihre Transformation mit sehr unterschiedlichen, teils unbefriedigenden Ergebnissen durchlaufen. Das zeigt unsere Untersuchung sehr deutlich. Mit 28 Prozent hat über ein Viertel ihr gesetztes Budget zu 10 Prozent überschritten, weitere 24 Prozent haben das Budget sogar um 20 Prozent überzogen. In puncto Zeitüberschreitung ist es bemerkenswert, dass 70 Prozent der Unternehmen ihr Transformationsprojekt um 20 Prozent und mehr überschreiten, bei 45 Prozent sind es sogar 30 Prozent und mehr Zeitüberschreitung. Das kostet nicht nur Geld, es behindert Unternehmen dabei, möglichst schnell mit optimierten Prozessen zu arbeiten.
Alarmierend ist zudem, dass 43 Prozent die Ziele ihrer Transformation nur teilweise oder überhaupt nicht erreicht haben. Wenn ein Unternehmen also nach Best Practices für die eigene Transformation sucht, muss es die anderen 57 Prozent oder einen erfahrenen Spezialisten finden und befragen.
Lediglich 57 Prozent an zufriedenen Unternehmen nach einer Transformation empfinde ich als ein ernüchterndes Ergebnis. Was haben diese Unternehmen richtig gemacht und was ist bei den 43 Prozent schiefgelaufen?
Patric Dahse: In unserer neuen Studie sehen wir, dass die bestehende Situation beispielsweise nicht zu den gesteckten Zielen und ebenfalls nicht zu bereitgestellten Budgets passt. Die meisten entscheidenden Fehler passieren gleich am Anfang, also bei der Planung der Transformation. Diesen Umstand wollten wir genauer untersuchen und haben explizit danach gefragt, wer in der Anfangsphase beteiligt ist.
Mit über 37 Prozent sind die Transformationen von der IT-Abteilung am häufigsten initiiert, gefolgt von der Geschäftsführung (29 %) und den Finanzen- und Controlling-Spezialisten (24 %). Am weiteren Entscheidungsprozess beteiligt sind 44 Prozent die IT-Abteilung, 31 Prozent die Geschäftsführung und 26 Prozent Finanzen und Controlling.
Es besteht kein Zweifel darüber, dass alle Gruppen wichtige Stakeholder in einer Transformation sind, aber nur selten befinden sich erfahrene Transformationsexperten darunter. Das führt dazu, dass sich Fehler in der Startphase exponentiell im gesamten Projektverlauf ausweiten. Ein Resultat ist, dass nur etwas mehr als 13 Prozent der Studienteilnehmer den Zeitplan ihrer Transformation eingehalten haben, was im schlimmsten Fall zu Produktionsverzögerungen, Ausfällen und zu einer höheren finanziellen Belastung für die Transformation führen kann.
Das klingt nach einem Transformations-Managementthema. Was genau sollte das Management vor einer Transformation wissen und welche Herausforderungen sollte es angehen?
Patric Dahse: Wir haben die Befragten dieses wie letztes Jahr gebeten, ihre größten Herausforderungen bei der Planung zu nennen – mit teilweise überraschenden Ergebnissen. Beispielsweise die Komplexität des Gesamtprojekts, letztes Jahr noch mit 41 Prozent auf Platz 1, sank bei der diesjährigen Befragung mit 34 Prozent auf Platz 3. Die Komplexität wurde vom „fehlenden oder ungenügenden Transformations-Know-how“ der Mitarbeitenden überholt. Das „fehlende Transformations-Know-how“ legte dabei um ganze 6 Prozent zu.
Bei der Frage, was im Transformationsprozess am überraschendsten war, antwortete rund ein Drittel mit „Ressourcenknappheit“ und „fehlende Erfahrung der Mitarbeitenden mit komplexen Projekten dieser Art“. Dies verdeutlicht, dass bei IT-Transformationen kompetente Berater und Mitarbeiter echte Mangelware sind und sich die Situation merklich verschärft.
Was also raten Sie den Unternehmen und vor allem dem Management?
Patric Dahse: Eine Transformation hat laut unserer Analyse weniger technische Gründe als viel mehr echte Business-Ziele. Die häufigsten Gründe für den Transformationsprozess sind die organisatorische Anpassung mit 36 Prozent, die Einführung neuer Technologien mit 27 Prozent, der Kauf oder die Verschmelzung von Unternehmen oder Unternehmensteilen mit 26 Prozent sowie die Einführung neuer Geschäftsmodelle mit 26 Prozent. Es geht also nicht um ein technisches Update, sondern viel mehr um eine strategische Ausrichtung des Business – und das braucht eine angemessene Zeit, sowohl in der Vorbereitung als auch in der Umsetzung.
Im gleichen Atemzug sollte erwähnt werden, was die Befragten im Transformationsprozess besonders überrascht hat. Fast ein Drittel der Befragten nannte 2023 wie auch 2024 „Probleme mit der Datenqualität“. Das sogenannte Housekeeping, also das Kennen, Konsolidieren und Ausmisten der Datenbestände, ist ein entscheidender Schritt in der Vorbereitung einer Transformation, der insbesondere bei großen Unternehmen ohne leistungsstarke Spezial-Tools nicht zu bewerkstelligen ist.
Was ich dem Management von Anfang an rate? Eine sehr gute Vorbereitung inklusive einer realistischen Einschätzung des internen Know-hows, des Zeitrahmens, des verfügbaren Budgets und der Ziele, die durch die Transformation erreicht werden sollen. Die Vorbereitung ist der entscheidende Schlüssel zum Transformationserfolg.
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch Herr Dahse.
Über die Transformationsstudie 2024
Im Rahmen einer strukturierten Befragung haben Natuvion und NTT Data Business Solutions 1.259 Führungskräfte in 15 Ländern nach den Erfahrungen aus ihrer letzten IT-Transformation befragt. Die granulare Befragung zahlt auf drei Hauptbereiche ein, damit Unternehmen ihre Transformation besser planen und auf Basis von Best Practices durchführen können: Welche Herausforderungen im Rahmen ihrer Transformation haben die Befragten überrascht? Was würden sie heute anders machen? Haben sie ihre Ziele erreicht, und falls nicht, warum?