Nach dem Euro-Gipfel: Finanzmärkte im Höhenrausch
Die Beruhigungspille für die Märkte ist auf den Weg gebracht. Und sie wirkt schon. An den internationalen Finanzmärkten sind heute alle Griechen: Kaum ein Wert, Index oder Devisenkurs blieb von der Entscheidung beim Euro-Gipfel unberührt. Eine Erleichterungsrally geht von Brüssel aus um die Welt.
Die Märkte in Fernost profitierten als erste von der Euro-Erleichterungsrally. Der Nikkei-Index für 225 führende Werte legte knapp 180 Punkte zu auf 8926 Punkte. Der Nikkei übersprang damit erstmals seit acht Wochen die psychologisch wichtige Marke von 8900 Punkten. Die Beschlüsse der EU sorgten auch im Bankensektor für kräftigen Aufwind.
Nachdem die Ergebnisse des Gipfels bereits die Märkte in Asien beflügelten, gab es zu Handelsbeginn auch gute Vorzeichen von den europäischen Börsen. London, Madrid, Paris, Mailand - alles starteten im Plus. Der Dax ist mit kräftigen Gewinnen bei rund 6315 Punkten um 4,98 Prozent auf den höchsten Stand seit Anfang August gesprungen. Der Leitindex gewann zuletzt 3, Prozent auf 6237 Punkte, der MDax legte 3,88Prozent auf 9386 Punkte zu. Der TecDax kletterte um 2,76 Prozent nach oben auf 724 Punkte.
Profitiert haben auch die Bank-Aktien. Teilweise lagen deren Werte nach Handelsbeginn um bis zu zehn Prozent im Plus. Und das, obwohl die Geldhäuser sich einverstanden haben, auf wichtige Forderungen gegenüber Athen zu verzichten. Und zum ersten Mal seit dem 8. September ist der Euro als Folge der Gipfelentscheidungen über die Marke von 1,40 US-Dollar gestiegen.
Euro-Rettung: Diesmal wirklich? Die Ökonomische Bilanz des Gipfels ist dünn
"Ruhe im Karton" solle in der Euro-Schuldenkrise herrschen - das kündigte die Bundesregierung schon im Mai 2010 an. Doch die Skepsis bleibt. Denn schon mehrfach hatte die EU Entscheidungen getroffen, die zunächst die Märkte beruhigen konnten. Dann aber kam die nächste Schreckensnachricht – und mit ihr das nächste Auf und Ab an den Börsen. Die jetzigen Maßnahmen der Euro-Zone sind quasi Reaktionen auf die Krise, um sie einzudämmen. Die Einzelheiten, die Ursachen für die Krise und der Umgang mit Schuldnerstaaten innerhalb der Europäischen Union sind noch lange nicht geklärt.
Die Gefahr, dass die Krise auch auf Spanien und Italien überspringt, ist keineswegs gebannt. Eine knappe Woche wurde in Brüssel verhandelt – mit Erfolg? Das käme auf die Sichtweise an. Politisch ist ein Durchbruch gelungen. Die Deutschen haben alle ihre Ziele erreicht. Die ökonomische Bilanz ist weniger erfreulich. Es hat Fortschritte gegeben. Dass sich Italien unter dem Druck der Europäer zu Reformen verpflichtet ist ein solcher. Doch die entscheidende Frage ist, wie die Investoren darauf reagieren, wenn Italien oder Spanien Zahlungsprobleme bekommt.
Europa steuert auf wirtschaftliche und politische Extremprobleme zu
Die zukünftige Konjunkturentwicklung hängt nicht allein von der europäischen Schuldenkrise ab. Tatsächlich ist das Schuldenproblem global und eine schnelle "Lösung" nach 65 Jahren Schuldenanhäufungen gibt es natürlich nicht. Für Europa kann es also nur um eine Verschiebung der Probleme, nicht um eine Lösung gehen. Stellt der Rettungsfonds eine "europäische" Rettung dar? Die Länder, die bereits unter dem Rettungsschirm sind - wie Italien und Spanien mit rund einem Drittel - können von der Haftungsliste gestrichen werden. Bleiben im wesentlichen Deutschland mit 43 Prozent und Frankreich mit 33 Prozent. Aber auch Frankreich dürfte bald zu den Nehmerländern gehören und fällt als Zahler für Europa aus.
Trotz "Schuldenbremse" steht Deutschland also eine gigantische Neuverschuldung bevor. Genauso wie es überflüssig war, die verhängnisvolle Fehlkonstruktion Euro zu beschließen, geht Deutschland jetzt den in der Geschichte einmaligen Weg, sich ohne Zwang in einem Ausmaß für „Ausländer“ zu verschulden, wie dies wohl noch nie ein Land getan hat. Deutschland wird also als letztes noch zahlungsfähiges Land in Europa in den Euro-Schuldensumpf gezogen.
Der Euro ist das unnötigste und gefährlichste anti-marktwirtschaftliche Experiment der Geschichte. Und dieser volkswirtschaftlich nicht durchdachten Idee fehlt jeder Mechanismus zur Korrektur von Fehlern (kein Ende der Wettbewerbs- und Arbeitslosigkeitsprobleme der Südländer und immer höhere Schulden als "Rezept" der Krisenbekämpfung). Die Verschuldung wäre ohne den künstlich niedrigen (deutschen) Euro-Zins nie so hoch gestiegen. Am Ende dürften nicht nur wirtschaftlich sondern auch politisch extreme Entwicklungen zu erwarten sein. Die Parteienlandschaft in Europa dürfte sich immer mehr zersplittern, da die Regierungen unter dem Zwang europäische Spar-Forderungen zu erfüllen, immer mehr an Rückhalt der Bevölkerung verlieren werden. Statt politischer Einigung in Europa wird der Euro am Schluss das Gegenteil ausgelöst haben.
Fehlkonstruktion Euro bringt keinen „Frieden für Europa“
Vor dem Hintergrund von über 8.000 Mrd. Euro europäischen Staatsschulden und über 36.000 Mrd. Euro Summe der Bankbilanzen nur der Euroländer, kann Deutschland hier auf Dauer nichtalleine Europa retten. Die einzige von den Märkten akzeptierte "Lösung" wird ähnlich wie in den USA und Großbritannien das Gelddrucken (Quantitative Easing) sein, wenn die EZB wie bisher durch Anleihekäufe die Zinsen bei knapp 6 Prozent auf akzeptablem Niveau hält, und so die Märkte wieder Vertrauen fassen.
Die Einführung des Euros wird sich nicht nur zu einem wachsenden wirtschaftlichen sondern zu einem wachsenden politischen Problem zwischen und auch innerhalb der Euro- Länder entwickeln. Neben den voraussehbaren wirtschaftlichen Euro- Folgen bringt die Zwangseinführung des Euros - ohne Volksabstimmung in Deutschland; jetzt strebt man in London sogar ein Volksbegehren zum EU Austritt an - nicht zwangsläufig den damals angekündigten "Frieden für Europa".
Schon heute sagen Anglo-Amerikaner und Chinesen, dass die Rettung für Europa nur vom deutschen Steuerzahler kommen kann. Wenn man jetzt der EZB Anleihekäufe verbietet und allein dem Rettungsschirm die Verschiebung der Probleme in Europa überlässt, werden die beschlossenen Billionen-Stützungen von den Märkten nicht als Beendigung der Krise angesehen werden. Dies wird erst der Fall sein, wenn auch in Europa durch die EZB massiv Geld gedruckt wird.
Eine echte Börsenwende nach oben wird es wahrscheinlich auch erst dann geben, wenn man der EZB ähnliche Aktivitäten erlaubt wie in den USA und Großbritannien, wo die Bilanzsumme der Notenbanken bereits um über 200 Prozent ausgedehnt wurde gegenüber "nur" 80 Prozent bei der EZB durch ca. 170 Mrd. Euro Anleihekäufe. In wie weit dies am Schluss "Geld drucken" bzw. zum zur Kasse bitten von deutschen Steuerzahlern führen wird, ist noch nicht ganz klar. Im realistischen Falle drohen jedoch neue hohe dreistellige Mrd. Euro-Belastungen für Deutschland.
G20 wollen Finanzmarktregulierung vorantreiben
Die übermäßige Verschuldung und die wirtschaftlichen Ungleichgewichte im Währungsraum lassen sich nicht durch Finanztricks oder Rettungsschirme beseitigen, sie erfordern nationale Kraftanstrengungen. Seit die Europäer Staatspleiten innerhalb ihrer Grenzen erlauben, sind die Mitgliedsländer der Euro-Zone dem Kapitalmarkt schutzlos ausgeliefert. Jeder souveräne Staat kann zur Not auf seine Zentralbank zugreifen, um einen Käuferstreik verängstigter Investoren zu überbrücken, die mit einer Pleite rechnen. Die Euro-Länder können das nicht. Sie haben keine eigene Zentralbank mehr, der Rettungsfonds kann die Aufgabe nicht übernehmen und gemeinsame Euro-Anleihen sind politisch nicht durchsetzbar. Dieses Grundproblem der Währungsunion hat der Euro-Gipfel nicht gelöst. So bleibt wie schon zuvor nur die Europäische Zentralbank, um das Feuer zu löschen. Sie wird sich nicht wie geplant aus dem Rettungsgeschäft zurückziehen können.
Auf dem G20-Gipfel in Cannes im November sollen die Staats- und Regierungschefs nun epochale Weichen zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte, zur Reform des Weltwährungssystems und zum Abbau globaler Ungleichgewichte stellen. Die Probleme drängen, nicht nur bei den Banken.