Die Präsentationen auf der CROI beschrieben Arbeiten, die von Wissenschaftlern der Universität Tor Vergata in Rom und der Firma Virco BVBA durchgeführt wurden. Es handelt sich dabei um die aktuellsten Ergebnisse einer Reihe von Kooperationen mit dem Virco-Labor zur Analyse und Auswertung von Daten, die durch Sequenzierung HIV-infizierter Proben mit dem Genome Sequencer FLX System gewonnen wurden. Die Studien untersuchen die Resistenz gegenüber einer neuen Wirkstoffklasse, die Integrase-Inhibitoren genannt wird, sowie den Tropismus der Viren im Detail. Die mit den 454-Sequenziersystemen mögliche ultratiefe Sequenzierung bietet eine gegenüber der herkömmlichen populationsbasierten Sequenzierung drastisch verbesserte Empfindlichkeit für den Nachweis seltener Virenvarianten, auch "Quasispezies" genannt.
Die erste Studie untersuchte Patienten unter antiretroviraler Langzeittherapie, die eine Kombinationstherapie mit dem Integrase-Inhibitor Raltegravir und einer optimierten Hintergrundtherapie erhielten. Die Forscher untersuchten zu mehreren Zeitpunkten genommene Proben mit der traditionellen Sanger-Genotypisierung, mit In-vitro-Phänotypisierung und mit der ultratiefen Sequenzierung. Sie fanden eine Vielzahl viraler Quasispezies, in Mengen weit unterhalb der normalen Nachweisgrenze, bei den Patienten, bei denen die Therapie versagte. Bei Patienten, deren Therapie erfolgreich war, wurde eine deutlich niedrigere Zahl an Quasispezies gefunden. Die Wissenschaftler nehmen an, dass die Anwesenheit vieler verschiedener Stämme die Entwicklung von Wirkstoffresistenzen begünstigen und so zu Therapieversagen führen kann.
Außerdem vermuten die Forscher, dass der Zusammenhang zwischen den vor Therapiebeginn gefundenen Quasispezies und dem Versagen der Therapie auf sehr viel komplexere Mechanismen zurückgeht als auf eine einfache medikamentenbedingte Selektion der jetzt identifizierten Primärmutationen. "Die Möglichkeit, mit Hilfe der Technologie des 454-Sequenziersystems Mutanten zu identifizieren, die nur in sehr geringen Mengen vorkommen, liefert neue Einblicke in mögliche Mechanismen, mit denen HIV Resistenzen gegenüber neuen Wirkstoffen wie den Integrase-Inhibitoren entwickelt", sagte Professor Perno von der Universität Tor Vergata. Seine Kollegin Dr. Ceccherini-Silberstein fügte hinzu: "Diese Technologie wird die vorhandenen Techniken ergänzen und kann zu einem wertvollen Werkzeug der HIV-Forschung werden."
In der zweiten Studie untersuchten Forscher Isolate von HIV-infizierten Patienten und charakterisierten den Tropismus der Viren sowohl mit herkömmlicher Phäno- und Genotypisierung als auch mit ultratiefer Sequenzierung. Mit "HIV-Tropismus" wird die Präferenz eines bestimmten HIV-Virus für die Verwendung von einem von zwei Korezeptoren auf den CD4-Immunzellen eines Patienten bezeichnet. Über diesen Korezeptor dringt das Virus dann in die Zelle ein und vermehrt sich dort. Die Bestimmung des vom jeweiligen HIV-Stamm verwendeten Korezeptors, entweder CCR5 oder CXCR4 oder beide, ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung und Überwachung von HIV. Dual-trope Viren können beide Korezeptoren zum Eindringen in die Zelle nutzen. In der Studie wurde bei zehn zufällig ausgewählten dual-tropen Isolaten die V3-Region mit ultratiefer Sequenzierung mit dem 454-Sequenziersystem untersucht und die Isolate wurden zu Forschungszwecken in menschlichen Immunzellen auf die Empfindlichkeit gegenüber Therapien getestet, unter anderem gegenüber dem CCR5-Antagonisten Maraviroc und dem CXCR4-Antagonisten AMD3100.
In diesen Proben fanden die Wissenschaftler, dass die dual-tropen Viren meistens Quasispezies sind, die sowohl den R5- als auch den CXCR4-Rezeptor verwenden können, und nicht Quasispezies, die aus einer Mischung von Viren bestehen, die entweder den einen oder den anderen Rezeptor benutzen. Dies ist ein neuer Einblick in die Methoden, mit denen der HIV-Virus sich durch Wahl des zum Eindringen in die menschlichen CD4-Zellen verwendeten Korezeptors anpasst. "Diese Untersuchung hilft beim Verständnis der komplexen Mechanismen des HIV-Korezeptor-Tropismus", sagte Dr. Lieven Stuyver, Vice President R&D bei VIRCO BVBA. "Wir glauben, dass die Anwendung der gängigen Techniken wie der Phänotypisierung, zusammen mit neueren Werkzeugen wie der ultratiefen Sequenzierung mit dem Genome Sequencer FLX System, in Verbindung mit Daten zu Behandlungsergebnissen die Aufklärung dieser komplexen viralen Mechanismen ermöglichen und so schließlich in Zukunft zu einer besseren Behandlung von HIV führen kann."
"Diese Studien zeigen wieder einmal den Nutzen des 454-Sequenziersystems für die Forschung an Viruskrankheiten und möglichen Behandlungen", erklärt Christopher McLeod, Präsident und Geschäftsführer von 454 Life Sciences. "Die Entwicklung neuartiger Therapien, wie der neuen Wirkstoffklassen für die HIV-Behandlung, erfordert oft den Einsatz begleitender Techniken zur Auswahl des geeigneten Behandlungsregimes für die in Betracht kommenden Patienten. Wir glauben, dass die Empfindlichkeit, Genauigkeit und Schnelligkeit des 454-Sequenziersystems die Art, wie HIV in naher Zukunft überwacht und behandelt wird, verändern werden.
454 Life Sciences, ein Center of Excellence von Roche Applied Science, entwickelt und vermarktet das innovative 454-Sequenziersystem für die ultraschnelle Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierung. Spezifische Anwendungsfelder der Technik sind zum Beispiel die De-novo-Sequenzierung und Resequenzierung von Genomen, Metagenomik, RNA-Analyse und die gezielte Sequenzierung bestimmter DNA-Bereiche. Das 454-Sequenziersystem zeichnet sich durch eine einfache, unvoreingenommene Probenvorbereitung und lange, präzise Leseweiten, auch bei Paired-End-Sequenzierung, aus. Mit Hilfe der 454-Sequenziertechnologie sind hunderte in Peer-Review-Zeitschriften veröffentlichte Studien durchgeführt worden, in so unterschiedlichen Bereichen wie Krebsforschung, Infektiologie, Wirkstoffsuche, Meeresbiologie, Anthropologie, Paläontologie und vielen anderen.