Hartmut Pilch, der Vorsitzende des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII e.V.), sieht keinen Grund für die Befürworter von Softwarepatenten, das Ergebnis vom Mittwoch wirklich zu begrüßen: "Die können sagen, was sie wollen, aber Artikel 52 des Europäischen Patentübereinkommens bleibt in Kraft, und der schließt Patente auf Computersoftware ausdrücklich aus. Unsere Gegner wollten diesen Artikel mittels einer EU-Richtlinie verwässern. Dabei sind sie keinen Schritt vorangekommen."
Nach Pilchs Einschätzung haben "berechtigte Bedenken, dass Softwarepatente der Wirtschaft und der Innovation schaden" europaweit einen Aufmerksamkeitsgrad in Medien und Politik erlangt, "der ohne dieses Richtlinienverfahren nicht vorstellbar gewesen wäre". Er führte hierzu aus, dass beispielsweise mehrere nationale Parlamente Resolutionen im Sinne der Forderungen seiner Organisation verabschiedet haben. Nach dem ergebnislosen Ende des Verfahrens auf EU-Ebene glaubt Pilch, dass es gesetzgeberische Initiativen in den Mitgliedsstaaten der EU geben könnte.
"Erst haben sie viele Millionen Euro für Lobbying und PR zum Fenster hinausgeworfen, und jetzt wollen sie ihre Arbeit- und Auftraggeber beschwichtigen, indem sie eine glasklare Niederlage schönreden", sagte Florian Müller, der Gründer der NoSoftwarePatents.com-Kampagne. "Wenn man soviel Geld ausgibt, will man am Ende etwas mehr in den Händen halten als einen gescheiterten Anlauf, Softwarepatente im europäischen Recht festzuschreiben. Das hätten sie auch kostenlos haben können."
Die Bemühungen der Patentlobby hatten in der Tat gewaltige Ausmaße. Das Verteilen von Eiskrem an über 500 Personen zählte lediglich zu den Nebenkosten. Lobbyorganisationen führten während der zweiten Lesung auf nahezu täglicher Basis Veranstaltungen im Europaparlament und europäischen Hauptstädten durch. Sie produzierten diverse Videos und schalteten unzählige Zeitungsanzeigen im ganzseitigen Format. Sie engagierten mehrere renommierte PR-Agenturen sowie mit Pat Cox einen ehemaligen Präsidenten des Europaparlaments. An einem Gebäude in Parlamentsnähe hing ein großes Plakat. Dutzende Vollzeitlobbyisten -- darunter einige hochbezahlte Anwälte -- waren Monate lang in Brüssel stationiert. Eine Kampagne für Softwarepatente wurde von einem Lobbyisten geleitet, der sich mit einer 30 Mio. Euro schweren Initiative für Genpatente einen Namen gemacht hatte.
Für Müller ist es auffällig, dass dieselben Patentlobbyisten, die jetzt das abrupte Ende des Richtlinienverfahrens begrüßen, sich im Februar dagegen aussprachen, das Verfahren neu aufzurollen. Dazu forderte das Europäische Parlament seinerzeit die EU-Kommission auf. "Unser Lager hat damals die Europaparlamentarier von den Vorzügen eines Verfahrensneustarts überzeugt, und die anderen argumentierten, sie bräuchten schnellstmöglich diese Richtlinie. Vor nicht einmal drei Wochen haben sie dann die Tatsache begrüßt, dass der Rechtsausschuss des EP sich nicht auf größere Änderungen am Richtlinientext einigen konnte. Da wähnten sie sich schon kurz vor dem Ziel. Wer soll ihnen da glauben, dass sie jetzt glücklich sind?"