"Die Integration virtueller Verfahren in die Arbeitsabläufe hat zu einer engen Verknüpfung mit der Versuchstechnik geführt. Erst durch die damit möglichen Synergien können virtuelle Methoden einen optimalen Nutzen bringen", fassten die Tagungsleiter Prof. Norbert Schaub von der Daimler AG und Dr. Werner Dirschmid, CAE Consulting, die Ergebnisse der Tagung zusammen. In über 70 Fachvorträgen stellten die Referenten neueste Erkenntnisse und aktuelle Verfahren aus der Industrie, Wirtschaft und den Hochschulen vor.
Im Bereich Fahrdynamik/Fahrkomfort präsentierte Dr. Michael Spickenreuther von BMW "Virtuelle Auslegung und Absicherung im Schwingungskomfort". Die Entwicklungsbereiche der Automobilindustrie müssen ständig eine steigende Anzahl von Fahrzeugmodellen in immer kürzeren Abständen realisieren. Die virtuelle Auslegung und Absicherung von einzelnen Komponenten bis hin zum Gesamtfahrzeug wird dabei zu einem wichtigen Baustein im Entwicklungsprozess. Bei BMW wurde deshalb in den letzten Jahren im Bereich des Fahr- und Schwingungskomforts die Kompetenz in den virtuellen Methoden und Prozessen stark ausgebaut. Grundlage für diesen Ausbau ist die Objektvierung von Schwingungskomfort-phänomenen und darauf aufbauende standardisierte Prüfstandsanalysen aus dem Hardwareversuch. Diese Phänomene werden durch sogenannte Mehrkörpersystem-Modelle virtuell ausgelegt und abgesichert. Auf dieser Basis ist eine virtuelle Methodik entstanden, welche es ermöglicht zusätzlich zur analogen Simulation von bekannten Hardwareversuchen, neue nicht standardisierte Analysen durch zu führen.
Einen besonderen Höhepunkt erlebten die Teilnehmer im Rahmen der Abendveranstaltung. Prof. Hanns Ruder, freischaffender Wissenschaftler im Bereich Physik und Astrophysik hielt einen kurzweiligen und abwechslungsreichen Vortrag über "Was auch Einstein sicher gern gesehen hätte - Visualisierung relativistischer Effekte". "Da wir nicht täglich mit 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit durch ein Wurmloch zu unserem Arbeitsplatz in der Nähe eines Schwarzen Lochs fliegen, sondern in einem durch die Newtonschen Gesetze sehr gut beschriebenen Zwickel des Universums leben, konnten wir leider keinen intuitiven Zugang für die spezielle und allgemeinrelativistische Raumzeit entwickeln" sagt Ruder. "Dank schneller Rechner und moderner Computergraphik können wir aber heute die relativistischen Effekte simulieren und visualisieren. Man "versteht" sie dadurch zwar auch nicht, aber man sieht sie wenigstens."
Michael Matthäi, Entwicklungsingenieur bei der ZF Friedrichshafen AG, stellte in der Sektion Virtuelle Erprobung die Co-Simulation von Fahrzeug und Fahrerverhalten zur Unterstützung der Getriebeentwicklung vor. Um realistischere Aussagen der Getriebebelastungen aus der Simulation zu ermitteln, wurde eine bei ZF verwendete Fahrzeugsimulationsumgebung um Komponenten aus dem IPG-Werkzeug "CarMaker" ergänzt. Vorteile dieser Co-Simulation sind erprobte und detaillierte Modelle von Straße, Reifen, Fahrer und Getriebe. Die Importfunktionalität von CarMaker lässt Strecken- und Fahrerprofile einfach modifizieren und ermöglicht einen realitätsnahen Test der Steuergerätesoftware. Prüfstandsversuche und Fahrten im realen Fahrzeug können mit dieser Technik zum Teil in die Simulationswelt verlagert werden, was zum einen Kostenvorteile mit sich bringt, aber auch eine hohe Reproduzierbarkeit der Tests.
Simulations- und Auslegungsmethoden für kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe am Beispiel einer CFK-Motorhaube für die automobile Serienproduktion standen im Mittelpunkt des Vortrages von Kristian Seidel vom Institut für Kraftfahrzeuge (ika) der RWTH Aachen in der Sektion Werkstoffe. Leichtbau ist unter Umweltaspekten eine wichtige Maßnahme, um die ökologische Effizienz zu steigern. Aufgrund herausragender gewichtsspezifischer Eigenschaften bieten vor allem kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe (CFK) ein hohes Potenzial zur Gewichtsreduktion. Gleichzeitig müssen leichte Fahrzeuge zu wettbewerbsfähigen Kosten gefertigt werden. Hinsichtlich kürzerer Entwicklungszeiten müssen darüber hinaus adäquate Simulationsmodelle und effektive Auslegungsmethoden geschaffen und etabliert werden, um die komplexen anisotropen Materialeigenschaften zu beherrschen und das volle Leichtbaupotenzial des Werkstoffes zu nutzen.
Im Rahmen der Veranstaltung zeichnete die VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik die besten Vorträge von Jung-Ingenieuren aus. In der Disziplin Berechnung erhielt Christopher Ortmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät Technik und Information an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg die Auszeichnung samt 500 Euro Preisgeld. Sein Thema: "Kombination von mathematischen Verfahren und aus Expertenwissen abgeleiteten Heuristiken zur topologischen Auslegung crashbelasteter Profilquerschnitte in Karosseriestrukturen".
Mit dem Thema "Konzeptanalyse eines selbstfahrenden Fahrsimulators basierend auf einer omnidirektionalen Bewegungsplattform zur Darstellung von stadttypischen Verkehrssituationen" setzte sich Alexander Betz, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Technischen Universität Darmstadt in der Disziplin Erprobung durch.
Die 17. SIMVEC findet im Herbst 2014 in Baden-Baden statt.